Seit Anfang 2023 verfügen die virtuelle und die hybride GV über eine gesetzliche Grundlage im neuen Aktienrecht. Damit ist keine physische Präsenz des Verwaltungsrates oder des Aktionariats mehr notwendig, um beschlussfähig zu sein.
Bei den meisten Gesellschaften in der Schweiz stösst eine rein elektronische Durchführung der Generalversammlung bisher allerdings auf wenig Begeisterung, wie schweizeraktien.net auf Nachfrage bei kleinen börsenkotierten und auf OTC-X gelisteten Gesellschaften festgestellt hat. Ähnlich sieht es bei der hybriden Form aus, bei welcher die Versammlung zeitgleich physisch und virtuell stattfindet.
Viel offener zeigen sich für diese neue Form der GV Start-ups und besonders junge Unternehmen. Diese begrüssen die neuen Möglichkeiten, mit welchen Generalversammlungen flexibler und moderner umgesetzt werden können.
Voraussetzungen für eine virtuelle Generalversammlung
Um eine virtuelle GV nach neuem Aktienrecht durchzuführen, müssen insbesondere zuerst die Statuten entsprechend geändert werden, sodass eine elektronische Durchführung statutarisch vorgesehen ist. Ferner muss der Verwaltungsrat einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen. Darauf können nicht kotierte Aktiengesellschaften allerdings verzichten.
Besonders wichtig ist zudem, dass auch weniger technikaffinen Personen problemlos der Zugang zur GV ermöglicht werden muss. Es ist Aufgabe des Verwaltungsrates, dafür zu sorgen, dass dieser Zugang einfach und sicher ist und dass bei technischen Problemen Unterstützung geleistet werden kann.
Hybride Generalversammlung verbindet physisch und virtuell
Statt einer rein virtuellen Durchführung können Gesellschaften auch eine hybride Generalversammlung durchführen. Diese Form gibt den Aktionären daher die freie Wahl, auf welche Art und Weise sie an der Versammlung teilnehmen wollen. Im Gegensatz zur virtuellen Generalversammlung bedarf die Durchführung einer hybriden GV keiner Anpassung der Statuten.
Dabei muss aber ein besonderes Augenmerk auf die Einhaltung des Unmittelbarkeitsprinzips gelegt werden. Da bei dieser Durchführungsart der Verwaltungsrat und ein Teil des Aktionariats physisch versammelt ist, weitere Aktionäre aber virtuell zugeschaltet werden, muss sichergestellt werden, dass sämtliche Aktionäre alle Informationen zur gleichen Zeit erhalten und sich unmittelbar dazu äussern können.
Die meisten kotierten Aktiengesellschaften sehen bei der hybriden GV in erster Linie einen grösseren Aufwand und höhere Kosten, wie im Beitrag zur virtuellen GV nach neuem Aktienrecht bereits erläutert wurde. Zudem führe die virtuelle Zuschaltung gemäss Sharecomm und Nimbus immer zu einer leichten zeitlichen Verzögerung, was für die physisch anwesenden Aktionäre sehr mühsam sein könne.
Elektronische GVs vor allem bei jungen Unternehmen beliebt
Auch kleinere, nicht kotierte Unternehmen sind bisher grösstenteils wenig begeistert von den neuen Durchführungsmöglichkeiten der Generalversammlung. Gerade regional verwurzelte Gesellschaften wie die Schilthornbahn nutzen die jährliche Versammlung gerne, um den Kontakt mit den Aktionären zu pflegen.
Anders sieht dies bei jüngeren KMUs und Start-ups aus. So bestätigt beispielsweise Christian Wilk, CEO von Aequitec, dass die überwiegende Mehrheit der von ihnen betreuten Gesellschaften sich für eine hybride Durchführung entschieden hätten. Die restlichen Versammlungen seien je hälftig als Präsenz-GV oder rein virtuell durchgeführt worden. Nach seiner Erfahrung stosse insbesondere die hybride Form auf grossen Anklang, da man damit das Beste aus beiden Welten verbinden könne. Je nach Grösse des Aktionariats könne die virtuelle Zuschaltung per Zoom, Google Teams oder eine spezialisierte Videocall-Software durchgeführt werden. Damit könne das Unmittelbarkeitsprinzip problemlos gewahrt werden. Zudem schätzen institutionelle Investoren die Flexibilität, um ihre Stimmrechte auszuüben.
Diese Sicht wird auch von Dominik Witz, Mitgründer von Konsento, bestätigt. Dieses Jahr habe das Unternehmen rund 50 GVs begleitet, wovon 15 virtuell und 35 hybrid abgehalten worden seien. Die grösste Gesellschaft sei die Crowdfundingplattform wemakeit gewesen, welche mit 5’000 Aktionären eine rein virtuelle GV durchgeführt habe. Eine reine Präsenz-GV habe keiner dieser Gesellschaften mehr durchgeführt.
Nicht nur Fintech-Unternehmen setzen auf virtuell oder hybrid
Bei daura seien etwa 50% der Versammlungen dieses Jahr hybrid durchgeführt worden. Die übrigen 50% hätten aber nach wie vor überwiegend auf eine Präsenz-GV gesetzt. Komplett virtuelle GVs konnte CEO Peter Schnürer bisher kaum beobachten. Dies liege aber auch daran, dass dafür dieses Jahr bei vielen Gesellschaften zuerst Statutenanpassungen vorgenommen werden mussten.
Gemäss Dominik Witz sei das Interesse an einer digital unterstützen GV allerdings nicht auf eine einzige Branche beschränkt. Nach seiner Erfahrung sei das Interesse besonders gross bei Unternehmen, die entweder über ein sehr grosses Aktionariat verfügen oder deren Aktionäre geografisch breit gestreut seien.
Auch Peter Schnürer bestätigt, dass Gesellschaften aus allen Branchen sich für eine zumindest teilweise virtuell durchgeführte GV entscheiden würden. Auffällig sei aber, dass der durchschnittliche Nutzer der Daura-Plattform, welcher wohl auch dem durchschnittlichen Aktionär der von daura unterstützten Gesellschaften entsprechen dürfte, im Schnitt zwischen 35 und 45 Jahre alt ist. Solche Aktionäre kennen sich damit einerseits mit Zoom und ähnlichen Softwares bestens aus und haben aufgrund der Berufstätigkeit auch selten Zeit, um an Präsenz-GVs teilzunehmen. Bei den Gesellschaften beobachtete er, dass Unternehmen, deren Aktien einen eher emotionalen Charakter hätten, wie beispielsweise die Brauereien Brauerei Oerlikon und Stadtwächter, die GV lieber physisch abhalten und dafür den digitalen Workflow der daura Plattform nutzen. Sehr technisch affine Unternehmen, wie Cow Level, setzen dagegen am liebsten auf eine rein virtuelle GV.
Technische Unterstützung essenziell
Mit der entsprechenden Software entstehen gemäss Wilk, Witz und Schnürer auch bei der hybriden Durchführung kaum Mehrkosten oder Mehraufwand. Christian Wilk betont allerdings, dass die Aktionäre früh genug darauf hingewiesen werden müssen, dass eine Stimmrechtsplattform genutzt werde. Nur so könne sichergestellt werden, dass alle Aktionäre zur richtigen Zeit ihre Stimmrechte ausüben können.
Zudem sei bei der Einladung bereits ein FAQ-Dokument mit den wichtigsten Fragen mitgeschickt worden. Ferner fanden die Aktionäre darin auch gleich eine Hotline, an welche sie sich bei technischen Problemen wenden konnten. Diese werde im Schnitt von etwa 1 bis 2% der Aktionäre genutzt. Im Grossen und Ganzen seien aber sämtliche von Aequitec betreuten hybriden GVs ohne Probleme über die Bühne gegangen. Diese Erfahrungen werden auch von Konsento und daura geteilt.
Fazit
Während die grosse Mehrheit der Publikumsgesellschaften aktuell nichts von einer virtuellen oder hybriden GV hält, scheinen diese neuen Durchführungsformen insbesondere bei jungen KMUs auf grosse Begeisterung zu stossen. So sehen diese Unternehmen gerade in der hybriden Durchführung den grossen Vorteil, dass auch berufstätige Aktionäre einbezogen werden können, die nicht immer die Zeit haben, an einer Präsenz-GV teilzunehmen.
Darin zeigt sich allerdings auch der bedeutendste Unterschied. Aktionäre von jungen Unternehmen und Start-ups sind in der Regel wesentlich jünger und technisch bewandert, als das Aktionariat von grossen AGs oder regional verwurzelten Gesellschaften. Dass sich Aktionäre von Start-ups bei einer virtuellen Durchführung einer GV problemlos zuhause fühlen, ist wenig überraschend.
Es scheint also, als ob es sich bei der Durchführungsart der Generalversammlung auch um eine Generationenfrage handelt. Gerade deswegen ist das neue Aktienrecht ein wertvoller Zusatz für die Generalversammlung in der Schweiz. Denn damit können Gesellschaften die für ihre Bedürfnisse beste Lösung wählen.