Erinnert sich noch jemand an Minuszinsen? Unsere schnelllebige Zeit pflegt Sachen, die uns mal sehr wichtig waren, sehr schnell zu entsorgen, sobald ein neues, spannendes Thema am Horizont auftaucht. Vor nicht einmal einem Jahr hob die Schweizerische Nationalbank den Leitzins aus dem Minus. Seither lebt die Finanzwelt wieder im Rhythmus der regelmässigen Zinserhöhungen. Mit dem erneuten Anstieg des Leitzinses am 22. Juni hält die Notenbank an ihrer straffen Geldpolitik fest, um die Inflation einzudämmen. Das ist nun bereits der fünfte Zinsschritt in Folge. Zwar hat sich die Inflation seit Februar markant zurückgebildet auf 2.2%. Doch die Notenbank verfolgt weiterhin das Ziel der Preisstabilität, worunter sie einen jährlichen Anstieg der Konsumentenpreise zwischen 0 und 2% versteht.
Neukäufer müssen höhere Zinskosten tragen
Die Auswirkungen der laufenden Leitzinserhöhungen auf die Wirtschaft sind mannigfaltig, aber richtig spürbar sind höhere Zinsen in erster Linie für solche Personen, die von einem Eigenheim träumen. Hypothekarnehmer mit einer noch einige Zeit laufenden Festhypothek bleiben vorerst verschont. Schuldner mit einem variablen Zinssatz und Neukäufer müssen hingegen die höheren Zinskosten tragen. Saron-Hypotheken sind nun ähnlich teuer wie längerfristige Festhypotheken. Bisher haben die Saron-Hypotheken den Hypothekarnehmern eine gewisse Zuflucht vor den stark gestiegenen Zinsen für Fixhypotheken gewährt, doch mit dem neuen Zinsschritt wird sich die Zinsdifferenz zwischen den Saron- und den Fixhypotheken nochmals verringern.
Die Höhe der Saron-Hypothek ergibt sich approximativ aus dem Leitzins der Schweizerischen Nationalbank und einer Bankmarge von rund 0.5 Prozentpunkten (50 Basispunkte). Es ist daher durchaus möglich, dass der Saron bis Ende Jahr auf 2.5% oder mehr ansteigen könnte, sollte die SNB weiter an der Zinsschraube drehen.
Direkte Immobilienanlagen
Die höheren Finanzierungskosten für privates Wohneigentum müssten eigentlich in der Marktlogik von Angebot und Nachfrage die Preisdynamik für Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen und Mehrfamilienhäuser drosseln. Doch zum Erstaunen der Marktkenner ist davon im 2. Quartal dieses Jahres wenig zu sehen. Eine aktuelle Studie des Immobilienberatungs-Unternehmens IAZI macht dies deutlich.
Mehrfamilienhäuser wurden im 2. Quartal 2023 zu 1.6% höheren Werten gehandelt, wie die aktuelle Auswertung der Transaktionsdaten im Rahmen des «SWX IAZI Investment Real Estate Price Index» zeigt. Die Werte von Wohnrenditeliegenschaften ziehen also bereits wieder an, nachdem sich die Entwicklung im 1. Quartal kurzzeitig stark verlangsamt hatte. Die weiterhin positive Dynamik widerspiegelt sich auch in der anhaltend hohen Jahreswachstumsrate von 5.6%.
Im Markt für Wohneigentum war nach Ablauf des 2. Quartals ebenfalls eine stärkere Zahlungsbereitschaft festzustellen. Eigenheime wurden im Landesmittel zu 0.8% höheren Preisen gehandelt als im Vorquartal, wie aus dem «SWX IAZI Private Real Estate Price Index» hervorgeht. Über die letzten zwölf Monate ergibt sich eine Preissteigerung von 4.8%. Diese liegt nach wie vor deutlich über dem langfristigen Trend.
Besonders Einfamilienhäuser lagen im 2. Quartal in der Gunst der Käuferinnen und Käufer. Die Transaktionspreise in diesem Teilmarkt verzeichnen ein Wachstum von 1.1%. Etwas flacher verlief die Preiskurve bei Eigentumswohnungen mit einem Plus von 0.5%.
Wieso steigen die Immobilienpreise trotz höheren Zinsen und wachsenden Finanzierungskosten? Mehrere Faktoren kommen derzeit zusammen: Die Schweiz ist als Wohnort im internationalen Vergleich nach wie vor höchst attraktiv. Eine kaum stillbare Nachfrage der Unternehmen nach hochqualifizierten Arbeitskräften mit entsprechender Kaufkraft und eine verhältnismässig tiefe Teuerung führen im laufenden Jahr voraussichtlich zu einer rekordverdächtig hohen Arbeitsmigration. Die zusätzliche Nachfrage ist sowohl im Eigenheim- als auch im Mietwohnungsmarkt zu spüren. Steigende Mieten wirken sich stützend auf die Werte von Mehrfamilienhäusern aus. Gleichzeitig wird das Wohnungsangebot nur schleppend ausgeweitet, und eine Beschleunigung der Bautätigkeit ist kurzfristig kaum realistisch. Die nunmehr geringe Leitzinserhöhung der Schweizerischen Nationalbank auf 1.75% in Kombination mit seit Monaten stagnierenden Langfristzinsen deutet zudem darauf hin, dass sich die Fremdfinanzierungskosten stabilisieren dürften.
Immobilienfonds
Offensichtlich haben die steigenden Zinsen am schweizerischen Immobilienmarkt unterschiedlich tiefe Spuren hinterlassen. So mussten vor allem die indirekten Anlagen, die an der Börse gehandelten Immobilienfonds und -aktien, schmerzliche Kursverluste hinnehmen. Der SWIIT, der Immobilienfonds-Index der Schweizer Börse, hat seit Januar letzten Jahres seinen Abwärtstrend laufend fortgesetzt. Seit diesem Zeitpunkt bis heute hat der Index etwa 15% an Wert eingebüsst.
Im damaligen Tiefzinsumfeld profitierten Immobilien als Anlageklasse vom sogenannten Anlagenotstand. Für institutionelle Anleger gab es schlichtweg keine Alternativen zu den krisensicheren Häusern. Diese warfen positive Renditen ab im Gegensatz zu Obligationen. Zum Höhepunkt des Tiefzinsumfelds wiesen rund 30% des globalen Obligationenmarkts mit Anlagequalität (Investment Grade), gemessen am Bloomberg Global Aggregate Bond Index, eine negative Rendite auf. Ende Mai 2023 ist dieser Anteil auf 3% geschrumpft.
Gerade Pensionskassen stehen immer unter Druck, Neugelder in ihren Kassen ständig anzulegen im Gegensatz zu Banken oder Versicherungen. Die Konsequenz: Man hat oft gar nicht so genau hinschauen wollen. Hauptsache, es stand Immobilien auf dem Etikett. Dadurch kam es zu starken Überbewertungen in dem Segment. Vor allem die Immobilienfonds waren stark überbewertet mit Agios von 50 bis 60%. Das Agio bezeichnet den Aufpreis auf den Wert der in den Fonds enthaltenen Liegenschaften.
Ob der Zeitpunkt für eine Investition in die an der Börse gehandelten Instrumente nun wieder günstig ist, hängt stark von den Zinserwartungen ab. Viele Auguren gehen davon aus, dass der Zinshöhepunkt demnächst erreicht wird und es danach weder zu einer Entspannung kommt. Die Zürcher Kantonalbank geht davon aus, dass die SNB im September den Leitzins um weitere 25 Basispunkte erhöht. Dann dürfte eine gewisse Stabilität einkehren, und in etwa einem Jahr dürften die Zinsen wieder leicht zurückkommen. Dieses Szenario würde einen Einstiegsmoment für indirekte Immobilienanlagen (sprich: Fonds) bieten.
Immobilienaktien
Effektiv kommen die beiden bekanntesten Immobilienaktien dieses Jahr bei der Börse kaum vom Fleck. Bei der Nummer eins auf dem Markt, Swiss Prime Site (SPS), entspricht der Kurs in etwa dem Stand von Anfang Jahr. Die Aktien des zweitgrössten Immobilienunternehmens, PSP Swiss Property, haben seit Jahresanfang rund 8% verloren. Der Swiss Performance Index verzeichnet im selben Zeitraum ein Plus von 4%.
Anders als die meisten anderen Sektoren hat das Segment der kotierten Immobilienunternehmen den Kurssturz nach dem Beginn der Coronakrise nicht aufgeholt, wie das Finanzblatt «Finanz & Wirtschaft» analysiert. Die Aktie von Swiss Prime Site wird immer noch rund 15% tiefer gehandelt als im Mai 2022. PSP Swiss Property kommt auf knapp 17% weniger Börsenwert in etwa der gleichen Zeitperiode.
2019 hatten Immobilientitel, wie bereits erwähnt, noch vom Anlagenotstand vor dem Hintergrund der Tiefzinsphase profitiert. Es gibt zwei Gründe für die negative Performance der Immobilienaktien.
Erstens sank die Attraktivität des Geschäftsimmobilienmarktes unter dem Eindruck von Homeoffice und damit der Prognose einer sinkenden Nachfrage. Swiss Prime Site und PSP Swiss Property bewirtschaften zum grossen Teil Gebäude mit Büros und Läden. Die nächstgrösseren kotierten Immobiliengesellschaften, Allreal und Mobimo, besitzen auch zahlreiche Häuser mit Wohnungen, nach denen die Nachfrage derzeit grösster ist als nach Büros. Während der Börsenkurs von Mobimo im Vergleich zum Jahresanfang ziemlich unverändert notiert, verbucht Allreal ein Kursplus von 16% seit dem letzten Tiefstand im Oktober letzten Jahres.
Zweitens haben sich die steigenden Zinsen als Belastung für den Sektor erwiesen. Die damit verbundenen tieferen Bewertungen der Immobilien wirken sich auf den Nettoinventarwert (NAV) der Immobilienunternehmen (Summe aller zum Marktwert bewerteten Vermögenswerte abzüglich des Fremdkapitals) aus, was wiederum Folgen für die Eigenkapitalposition hat. Das langanhaltende Tiefzinsumfeld verleitete dazu, die in der Bewertung der Liegenschaften angewandten Diskontierungssätze drastisch zu reduzieren, was zu höheren Buchwerten und hohen Neubewertungsgewinnen führte. Die Immobilienunternehmen in Europa generierten auf diese Weise jahrelang Gewinne und Eigenkapital aus dem Nichts, während in den USA (unter US GAAP) keine Aufwertungsgewinne dieser Art und Weise generiert werden können. So müssen nach US-Rechnungslegung die Wertsteigerungen der Immobilien als stille Reserven im Unternehmen verbleiben.
Bisher haben die grossen Schweizer Immobilienunternehmen ihre Eigenkapitalquote allerdings gut im Griff. Dies wirkt für die Kurse aber eher als Absicherung gegen unten, als dass es den Aktienkurs treiben würde. Wer Immobilienaktien im Depot hat, besitzt sichere, defensive Werte. Der Einstiegsmoment ergibt sich erst, wenn die Schweizerische Nationalbank ihre Zinserhöhungen beendet, was Ende Jahr der Fall sein dürfte.
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