Die AEVIS Victoria Gruppe befindet sich in einem stetigen Wandel. Einst mit der Clinique de Genolier gestartet, entwickelte sich das Unternehmen zu einem führenden Schweizer Anbieter in der Gesundheits- und Luxus-Hotellerie. Zukäufe, Devestitionen und eine geschickte Auslagerung der Spital- und Hotelimmobilien haben zum Wachstum beigetragen. Nun schickt sich das Unternehmen an, durch eine Kooperation mit der Versicherungsgruppe Visana den Gesundheitsmarkt aufzurütteln.
Der VR-Delegierte Antoine Hubert erklärt im Gespräch mit schweizeraktien.net die Logik dieser Kooperation, geht auf die Ausland-Wachstumspläne der Gruppe im Hospitality-Bereich ein und äussert sich zu den Semesterzahlen. Im 1. Semester 2023 erzielte die AEVIS Victoria SA einen Umsatz von 488.3 Mio. CHF und rutschte mit einem Reinverlust von 10.2 Mio. CHF in die roten Zahlen.
Als wir das letzte Interview mit Ihnen geführt haben, hat AEVIS gerade im Hospitality-Segment die Seiler Hotel AG gekauft. Mittlerweile hat Ihre Gruppe die Pandemie gut überstanden: Dies auch dank eines starken Standbeins im Gesundheitssektor. Der Aktienkurs konnte zwischenzeitlich rund 50% zulegen. Wie wichtig ist die Diversifikation für Ihre Gruppe?
Antoine Hubert: Wir betrachten unsere Gruppe heute als Investmentgesellschaft, die Beteiligungen an Tochterunternehmen im Gesundheitssektor wie Swiss Medical Network (SMN), in der gehobenen Hotellerie mit MR Hospitality sowie im Bereich der Infrastruktur hält. Zur Infrastruktur gehören die Infracore SA und die Swiss Hotel Properties. Durch die Transformation unserer Gruppe sind wir entsprechend diversifiziert.
Im Fokus stehen für uns bei allen Aktivitäten die Menschen. Wir bieten einen «Service to People». Gesundheit beginnt für unsere Gruppe nicht erst, wenn eine Person krank ist und ins Spital muss. Gesundheit beginnt vor allem auch in der Prävention. Dazu leistet auch unser Hospitality-Bereich mit seinen Spas und Wellnessangeboten einen wichtigen Beitrag.
AEVIS hat im Juli bekannt gegeben, dass sich die Krankenversicherung Visana mit 11,1% an der Swiss Medical Network SA beteiligt. Was waren die Gründe für die Beteiligung?
Wir arbeiten gemeinsam mit Visana und dem Kanton Bern an einem Gesundheitsnetzwerk im Jurabogen, dem Réseau de l’Arc. Im Rahmen dieses Projektes werden wir zusätzlich zu bestehenden Leistungserbringern wie Spitäler, Ärztezentren, Apotheken, Radiologien und Rettungsdiensten weitere Gemeinschaftspraxen, Hausarztpraxen und auch Spitex-Dienste übernehmen. Das Ziel von Réseau de l’Arc ist es, medizinische Dienstleistungen aus einer Hand zu erbringen. Dies zum Vorteil des Patienten und Versicherten. Bereits heute gibt es Interesse aus anderen Regionen, dieses Modell zu kopieren.
Das Ziel von Réseau de l’Arc ist es, medizinische Dienstleistungen aus einer Hand zu erbringen
Visana wird nun eine spezielle Versicherung anbieten, die sich Viva-Gesundheitsplan nennt. Wie funktioniert diese, und ab wann werden Sie erste Patienten haben?
Viva wird per 1. Januar 2024 exklusiv für die Bevölkerung im Jurabogen in den Kantonen Bern, Jura und Neuenburg eingeführt. Dabei handelt es sich um ein alternatives Grundversicherungsprodukt, welches aber nicht wie eine klassische Versicherung, sondern eher wie eine Mitgliedschaft der Versicherten ausgestaltet ist. Das Gesundheitsangebot im Réseau de L’Arc wird pauschal pro Mitglied finanziert. Durch die integrierte Versorgung und die Vernetzung der Behandlungspartner lassen sich nicht nur die Qualität der Behandlungen verbessern, sondern auch die Kosten reduzieren. Ausserdem bieten wir umfangreiche Präventionsangebote an, die für unsere Mitglieder kostenlos sind. Das Modell ist nicht neu. Es funktioniert in Spanien und den USA bereits seit langem sehr erfolgreich.
Stehen die Leistungen im Hôpital du Jura und den anderen Angeboten denn nur exklusiv den Viva-Mitgliedern zur Verfügung?
Nein. Jeder Versicherte wird dort weiterhin behandelt und die Behandlung über seine Krankenversicherung abgerechnet. Viva-Mitglieder profitieren allerdings, wenn im Réseau de l’Arc die Kosten niedriger als budgetiert ausfallen, durch tiefere Tarife. Und die Mitglieder profitieren von einer koordinierten und persönlichen Versorgung, die es bei anderen Anbietern in dieser Form nicht gibt.
Sie haben erwähnt, dass das Interesse auch aus anderen Regionen vorhanden ist. Geplant sind bis zu fünf weitere Regionen. Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Wir starten am 1. Januar 2024 mit dem Réseau de l’Arc. Ein Jahr später folgen idealerweise dann bereits ein bis zwei weitere Regionen. Schauen Sie sich die Kostenexplosion im Gesundheitswesen an. Nächstes Jahr werden die Krankenkassenprämien nochmals steigen. Es muss sich also etwas ändern im Gesundheitswesen. Die Krankenversicherungen allein können nichts ändern. Ihr Modell funktioniert nach dem Prinzip der Umverteilung. Sie haben aber wenig Einfluss auf die Leistungserbringer wie Spitäler und Ärzte. Diese sind vor allem an Volumen interessiert. Es kann nur funktionieren, wenn sich Krankenversicherungen und Leistungserbringer zusammentun. Auch ein staatliches Gesundheitswesen hat nichts gebracht, was wir in Frankreich exemplarisch sehen.
Wie gross muss die Anzahl Mitglieder oder Versicherte sein, damit das Modell funktioniert?
Für das neue Produkt Viva rechnen wir im kommenden Jahr mit 10’000 Mitgliedern. Wenn wir eine hohe medizinische Qualität liefern, werden die Mitglieder auch bei uns bleiben. Da es sich um ein full-capitation-Modell handelt, also eine Pauschalfinanzierung pro Mitglied, ist es auch möglich, dass der Aufwand für das Gesundheitsnetzwerk am Ende des Jahres geringer ausfällt als budgetiert, und so Überschüsse reinvestiert oder durch Beitragssenkungen an die Mitglieder zurückgeführt werden. Auf breiter Basis und bis zur kompletten Wandlung des Gesundheitswesens sind aber wohl bis zu 20 Jahre realistisch, um zu zeigen, dass es funktioniert. Die Kundenzufriedenheit wird dabei der wichtigste Erfolgsfaktor sein.
Der Tourismus in der Schweiz boomt, in den Bergen wie auch in den Städten. Wie hat sich der Hospitality-Bereich seit Jahresbeginn entwickelt?
Die guten Zahlen aus 2022 wurden nochmals übertroffen. Der konsolidierte Umsatz stieg um 10,1% auf 88.3 Mio. CHF, und der Betriebsgewinn lag bei 20.0 Mio. CHF.
Die Hotels werden künftig unter der Marke Michel Reybier Hospitality auftreten; die Victoria Jungfrau Collection verschwindet. Wie sieht Ihre Strategie im Hospitality&Lifestyle-Segment aus?
In der Schweiz werden wir unsere Aktivitäten in den zwei touristischen Destinationen Zermatt und Interlaken weiterentwickeln. Dazu gehören Erweiterungen auf dem Areal des Victoria-Jungfrau Grand Hotel in Interlaken und Zukäufe in der Region Zermatt. Dort haben wir vor kurzem den Täscherhof erworben. Der Täscherhof soll zum Eintrittstor für Zermatt werden. Ausserdem möchten wir auch Restaurants im Skigebiet übernehmen. Denn unsere Gäste sind nur am Morgen oder Abend bei uns im Hotel. Tagsüber können wir sie bisher nicht bedienen. Das würde sich dann ändern.
Welche Pläne haben Sie für die Stadthotellerie? Bisher sind Sie auch nur mit einem Hotel in London im Ausland vertreten.
Unser Stadthotels werden wir unter der Marke La Réserve führen. In Zürich würden wir gerne ein zweites Hotel übernehmen. Auch im Ausland suchen wir Betriebe in Grossstädten wie New York oder Los Angeles. Das ist vor allen Dingen auch für Mitarbeiter unserer Gruppe wichtig. Denn diese möchten gerne in anderen Betrieben und im Ausland Erfahrungen sammeln. Wenn wir ihnen diese Möglichkeiten nicht geben, gehen sie zu grossen Hotelketten, die ihnen diese Chance bieten.
Auch im Ausland suchen wir Betriebe in Grossstädten wie New York oder Los Angeles
Welche Strategie verfolgen Sie bei Ihren Beteiligungen wie Batgroup und Well? Medgate konnte die AEVIS-Gruppe erfolgreich an Otto verkaufen.
Die AEVIS-Gruppe ist heute eine Investmentgesellschaft und hält Beteiligungen im Gesundheitssektor. Dazu gehört auch die Batgroup, die den Reinigungsteil der Hotellerie nach Hause bringt. Ausserdem kann Batgroup auch als Plattform für unsere Gesundheitsbetriebe genutzt werden. Da wir mit dem SMN auf den Schweizer Markt fokussieren, Medgate aber ins Ausland expandieren wollte, haben wir gemerkt, dass wir nicht mehr der richtige Eigentümer sind. Mit der Otto Gruppe können sie diese Auslandsexpansion besser fortsetzen.
Nach wie vor arbeitet die AEVIS-Gruppe mit einem hohen Leverage. Die Eigenkapitalquote liegt gerade einmal bei 28,5%, die Nettoverschuldung bei rund 900 Mio. CHF. Werden Sie gerade mit Blick auf die stark gestiegenen Zinsen die Verschuldung in den kommenden Monaten reduzieren?
Unsere Bilanz weist keinen Goodwill auf, und die konsolidierten Kennzahlen haben sich schon nach dem Semesterabschluss 2023 verbessert. Wir konnten seit Januar 150 Mio. CHF an Schulden zurückführen. Per Ende August lag die Eigenkapitalquote bei 35,5%. Und Sie müssen bei der Verschuldung auch berücksichtigen, dass ein grosser Teil des Fremdkapitals bei unseren Immobiliengesellschaften in Form von Hypotheken anfällt und wir dabei konservative Belehnungsgrade im Bereich von 50% anwenden. Ebenso wichtig ist im Falle unserer Beteiligungsgesellschaft ein Blick in die statutarische Bilanz, die eine Eigenkapitalquote von knapp 70% ausweist.
Dennoch könnten die stark gestiegenen Hypothekarzinsen rasch zu einem höheren Finanzaufwand führen.
Als ich 1996 in das Immobiliengeschäft eingestiegen bin, lagen die Zinsen bei 4,5%. Davon sind wir noch weit entfernt. Die Nullzinsphase war also eine Ausnahme in der Wirtschaftsgeschichte. Die höheren Zinskosten können wir durch höhere Zimmerpreise kompensieren.
Sie haben bereits in unserem letzten Interview angekündigt, dass die Hauptaktionäre, also Michel Reybier und Sie mit knapp 75%, auch bereit wären, Anteile abzugeben. Mittlerweile ist die von Ihnen geplante Transformation in eine reine Investmentfirma weit vorangeschritten. Wann werden Sie den Streubesitz erhöhen?
Wir haben nicht die Absicht, Aktien zu verkaufen. Allerdings könnte sich unser Anteil durch Kapitalerhöhungen verwässern. Unser Aktienkurs hat sich gut entwickelt und notiert nur etwas unterhalb des NAV von 19 bis 21.50 CHF. Sie können sicher sein, dass wir auch bei künftigen Immobilienkäufen als smarte Käufer auftreten. Denn wir wollen keine Trophy Immobilien kaufen, wir kaufen und entwickeln unsere Immobilien dann selbst zu Trophy Immobilien. Schauen Sie sich unser Eden au Lac in Zürich an.
Nachhaltigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung. In der Hotellerie, aber vor allem im Klinikbereich gibt es erhebliches Potenzial zum Energiesparen und der Vermeidung von Abfall. Welche Wege beschreitet Ihre Gruppe?
Wenn Sie unser Modell Réseau de l’Arc nehmen, dann leisten wir allein damit einen sehr wichtigen Beitrag mit sozialem Impact. Denn die steigenden Krankenkassenprämien bereiten der Schweizer Bevölkerung gemäss Umfragen am meisten Sorgen, mehr sogar als der Klimawandel und der Ukraine-Krieg.
Energiesparen und Abfallreduktion sind Themen, mit denen wir uns schon länger beschäftigen. Beim Swiss Medical Network haben wir nun die Stelle des Chief Sustainability Officer geschaffen. Auch ist der Frauenanteil in unseren Betrieben hoch. Was uns ebenfalls freut, ist, dass die Arbeitszufriedenheit unserer Mitarbeitenden sehr gross ist. Wer bei uns begonnen hat und nicht zufrieden ist, geht innerhalb der ersten zwei Jahre. Oder er bleibt für immer.
Wenn Sie so engagiert im Bereich der Nachhaltigkeit sind, warum publizieren Sie keinen Nachhaltigkeitsbericht?
Wir werden für 2023 einen non-financial Report publizieren, der auch ESG-Aspekte umfasst. Zudem evaluieren wir, auf Stufe Swiss Medical Network, unserer grössten Beteiligung, einen separaten Nachhaltigkeitsbericht zu verfassen.
Im 1. Semester 2023 ist die AEVIS Gruppe in die Verlustzone gerutscht. Was waren die Gründe, und was haben Sie unternommen, damit Sie für das Gesamtjahr wieder einen Gewinn ausweisen können?
Auf operativer Stufe, also beim organischen Wachstum sowie dem EBITDAR und EBITDA Margen, haben sich unsere Beteiligungen gut entwickelt. Wir befinden uns seit 2022 in einem inflationären Umfeld mit einer angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt, was wir bei uns ebenfalls gespürt haben. Wir haben letztes Jahr Massnahmen dagegen ergriffen, die nun greifen. Wir gehen daher davon aus, dass das zweite Halbjahr gut sein wird und das organische Wachstum weitergeht.
Wir gehen davon aus, dass das zweite Halbjahr gut sein wird
Da wir sowohl bei den Kliniken als auch bei den Hotels in Bereichen arbeiten, die viel Infrastruktur benötigen, weisen unsere konsolidierten Zahlen hohe Abschreibungen aus, die jedoch non-cash sind. Somit orientieren wir uns weniger am von Ihnen erwähnten Reinverlust.
Zu guter Letzt noch eine Frage zur Dividende, die für 2022 bei 0.75 CHF lag. Welche Dividendenpolitik verfolgen Sie, und mit welcher Ausschüttung kann der Aktionär für 2023 rechnen?
Die AEVIS Victoria Gruppe hat das Ziel, ihre Dividendenpolitik im Rahmen der Investitionstätigkeit der Gruppe sowie der Realisierung weiterer Kapitalgewinne aus dem aktuellen Beteiligungsportfolio fortzusetzen. In den vergangenen Jahren bedeutete dies eine reguläre Dividende von 45 Rappen pro Aktie, ergänzt durch ausserordentliche Dividenden bei überdurchschnittlichen Kapitalgewinnen. Dies waren für 2022 nochmals 30 Rappen zusätzlich.
Herr Hubert, vielen Dank für das Gespräch.
Antoine Hubert wird am Investoren-Meeting im Rahmen des Branchentalk Tourismus am 26. Oktober refererieren. Sie können sich hier direkt anmelden: https://www.schweizeraktien.net/anmeldung-investoren-meeting-branchentalk-tourismus-2023/