In dem ersten Jahr nach dem erfolgreichen Spin-off von Metall Zug überraschte die V-Zug-Aktie mit einer furiosen Kurssteigerung auf über 150 CHF. Doch nach der Home-Improvement Sonderkonjunktur während der Pandemie rückten die Lieferkettenproblematik, die Rückkehr der Inflation und die Folgen des Kriegsgeschehens in den Vordergrund. Trotz veränderter Marktbedingungen setzt V-Zug unbeirrt die bewährte Premium-Strategie fort. Im Gespräch mit schweizeraktien.net erläutern CEO Peter Spirig und Head of Sustainability Marcel Niederberger, warum sich die Marge erholt, wie sich die internationale Expansion entwickelt, bis wann die Fahrzeugflotte voll elektrifiziert ist und weshalb «Grüner Stahl» die CO2-Bilanz signifikant verbessert.
Herr Spirig, nach der Pandemie-Sonderkonjunktur haben sich die Marktbedingungen 2022 und auch im ersten Halbjahr 2023 spürbar verschlechtert. Handelt es sich Ihres Erachtens um einen ganz normalen zyklischen Abschwung oder um strukturelle Änderungen im Markt der Haushaltgeräte?
Die Pandemie hat tatsächlich zu einer erfreulichen Sonderkonjunktur von Mitte 2020 bis Anfang 2022 geführt; dies vor allem bei Renovationen – weltweit. In der Schweiz machen Renovationen grob ein Drittel unseres Umsatzes aus. Hier ergibt sich im Vorjahresvergleich naturgemäss eine Abschwächung. Weiter machen Neubauten und Ersatzinvestitionen je ein Drittel aus, wobei letztere sich grundsätzlich konjunkturunabhängig stabil entwickeln. Bei den Neubauten stellen wir seit einiger Zeit eine Seitwärtsbewegung fest, zuerst waren es die hohen Bodenpreise, danach die Inflation und die gestiegenen Zinsen, welche angebotsdämpfend wirken. Die Nachfrage nach Wohnungen ist ungebrochen hoch.
Sie senken die Produktionskosten, die sonstigen Betriebsaufwände sowie auch den Personalstand und steigern durch weiterhin hohe Investitionen die Effizienz, dennoch ist die EBIT-Marge der dominierenden Haushaltgerätesparte von 9,2% im Jahr 2021 auf 0,9% in 2022 gefallen. Was sind die Gründe, und wie sieht der Pfad zur Wiedererreichung der traditionellen Margen aus?
Das liegt an den im Vergleich zu 2021 deutlich tieferen Absatzvolumen und den deutlich höheren Einkaufspreisen, welche im Jahr 2022 noch nicht vollständig durch Verkaufspreiserhöhungen aufgefangen werden konnten. Sobald der Zyklus sich etwas erholt, wird auch die Fixkostenabsorption besser und damit die Profitabilität.
«Sobald der Zyklus sich etwas erholt, wird auch die Fixkostenabsorption besser und damit die Profitabilität», Peter Spirig, CEO
V-Zug hält sich mit Blick auf die währungsbereinigte Umsatzentwicklung ja relativ gut im Vergleich mit den ungleich grösseren Branchenvertretern wie Electrolux oder Whirlpool, dennoch zeigen die drei Aktien die gleiche Tendenz auf und liegen auf tiefem Niveau. Mit welchen Differenzierungsmerkmalen wollen Sie im Wettbewerb um Investoren nachhaltig punkten?
Wir differenzieren uns mit Premiumprodukten, die sich durch Qualität, Design und Einfachheit auszeichnen. Schweizer Qualität und ansprechendes Design werden im In- und Ausland sehr geschätzt, ebenso die Einfachheit, was die Bedienung als auch den Besitz betrifft.
V-Zug konzentriert sich in jüngerer Zeit auf die Internationalisierung, um der Marke Weltgeltung zu verleihen und neue Absatzmärkte zu erschliessen. Gerade wurde in Kopenhagen eine Präsenz eröffnet. Wie ist die Zwischenbilanz bei den länger bestehenden Auslandspräsenzen in London und Paris?
Die Zwischenbilanz ist durchaus erfreulich. Mittlerweile haben wir den Anteil der internationalen Märkte auf 20% vom Gesamtumsatz gesteigert. In den internationalen Märkten verfolgen wir konsequent eine Premium-Strategie. Wir sind in Metropolen präsent und ziehen dort eine gehobene Käuferschaft an. London und Paris sind hierfür gute Beispiele.
Und wie weit sind Sie bei den für 2023 geplanten Studio-Eröffnungen in Hamburg, Berlin, Wien, Mailand und Sydney?
Alle diese V-Zug Studios befinden sich im Bau und werden ab Oktober 2023 bis im ersten Halbjahr 2024 eröffnet.
Was ist Ihr Ziel für den Anteil der internationalen Umsätze am Gesamtumsatz in 5 Jahren? Seit 2020 konnten Sie den Anteil bereits von 9,4% auf 20,4% steigern.
Wir gehen von einer weiteren Steigerung aus, allerdings nicht in der gleichen Geschwindigkeit wie bisher. Ein Anteil in Höhe von 25 bis 30% am Gesamtumsatz erscheint uns mittelfristig realistisch. Unser Hauptmarkt wird weiterhin die Schweiz bleiben.
Die Frankenstärke ist für V-Zug grundsätzlich nichts Neues, stellt aber Unternehmen, die in der Schweiz produzieren, dennoch vor Herausforderungen, sowohl mit Blick auf die Erfolgsrechnung als auch die Wettbewerbsfähigkeit. Wie steuern Sie gegen?
Das ist sicherlich eine Herausforderung, die uns – und andere Schweizer Unternehmen – immer wieder zwingt, besonders effizient und innovativ zu sein. Wir differenzieren uns insofern nicht über den Preis, sondern die Leistung. Nebenbei ist noch zu sagen, dass wir zwar in der Schweiz produzieren, aber auch viele Materialen und Teile aus dem Ausland beziehen; so wie andere Wettbewerber auch.
Wie schreitet die Arealtransformation voran?
Die Arealtransformation – welche wir zusammen mit dem Tech Cluster Zug (TCZ) vornehmen – schreitet planmässig voran. Im 2024 erfolgt die Inbetriebnahme unserer vertikalen Fabrik, die den Produktionsprozess zwischen der Pressehalle «Zephyr Hangar» (2020) und dem Montagegebäude «Mistral» (2016) stark vereinfacht.
Kommen wir nun auf ein wichtiges Differenzierungsmerkmal von V-Zug zu sprechen: die seit Langem nachhaltige Ausrichtung. Im Tech Cluster beispielsweise wird nicht nur konsequent auf CO2-neutrale Energieversorgung gesetzt, sondern auch Recycling-Beton verwendet, der darüber hinaus mit CO2 angereichert wird, um so eine noch bessere Klimabilanz zu erzielen. Was können Sie zur Evolution dieser strategischen Priorisierung in Ihrem Unternehmen, der Umsetzung und den Zielsetzungen sagen?
Peter Spirig (PS): Im Jahr 2021 haben wir eine Nachhaltigkeitsroadmap mit über 20 quantifizierbaren Zielen (mittel-/langfristig) erarbeitet und verabschiedet. Der Fortschritt wird jährlich gemessen und transparent im Nachhaltigkeitsbericht ausgewiesen. Der Nachhaltigkeitsbericht ab dem Berichtsjahr 2023 wird mit dem Geschäftsbericht zum Jahresbericht kombiniert.
Marcel Niederberger (MN): Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Die Senkung der CO2-Emissionen ist auf gutem Weg. Dabei hilft die Lenkungswirkung unserer internen CO2-Abgabe in Höhe von 120CHF/tCO2 in den CO2-Fonds: sie ermöglicht, diverse Emissions-Senkungs-Massnahmen umzusetzen. Ebenso ist die Kreislaufwirtschaft in der Produktentwicklung auf gutem Weg. Wir verzeichnen erste Erfolge mit Lieferanten und haben neue Geschäftsmodelle lanciert, z.B. Product as a Service. Die Diversität in der Führungsetage nimmt laufend zu. Wo wir uns ebenfalls weiter verbessern möchten, ist bei der Reduktion der Arbeitsunfälle.
Sie haben auch den ersten E-LKW in Betrieb genommen. Wie sind Ihre Erfahrungen? Und bis wann planen Sie die vollständige Elektrifizierung des Fahrzeugparks?
MN: Unseren ersten E-LKW haben wir zwar im März 2023 bestellt; er wird aber erst Anfang 2024 in Betrieb genommen. Die Umstellung der Serviceflotte auf E-Fahrzeuge ist in vollem Gang, wobei wir schon gute Erfahrungen in der Praxis sammeln. Die grösste Herausforderung ist die Ladeinfrastruktur bei den Servicetechnikern zu Hause. Das geht von eigenem Haus (einfach), zur Mietwohnung mit geteilter Tiefgarage (lösbar), bis hin zu städtischem Wohnen mit Parken in der blauen Zone (herausfordernd). Diese infrastrukturellen Herausforderungen werden sicher in nicht allzu langer Zeit gelöst sein.
«Die Umstellung der Serviceflotte auf E-Fahrzeuge ist in vollem Gang»
Stahl ist ein wichtiger Bestandteil Ihrer Produkte. Die Stahlproduktion ist enorm energieintensiv, und die Industrie steuert mit 8% wesentlich zu den globalen Emissionen bei. V-Zug nutzt deshalb nun «grünen Stahl». Wie sieht der Unterschied, auch in Zahlen ausgedrückt, aus?
MN: Wir sind erfreut, dass wir heute schon nachhaltigen Edelstahl im Einsatz haben. Wichtige Kennzahlen sind der Recyclinganteil und die CO2-Emissionen insgesamt. Heute im Einsatz: ca. 90% Recyclinganteil (Branchendurchschnitt ca. 45%) und 1.8tCO2/tStahl (Branche: 5.4t, Edelstahl aus Asien: 7.8t).
Mit Circle Green Steel gehen wir einen Schritt weiter. Der Recyclinganteil steigt auf nahezu 100%, daraus resultiert eine CO2-Intensität von 0.6tCO2. Die erste Produktion wird in diesem Herbst starten. Dieses Projekt ist teilweise durch unseren CO2-Fonds finanziert, mit dem Ziel dieses Material zu skalieren und mittelfristig die Kosten zu senken.
Sprechen wir noch über das Problem Plastik. Heute besteht ein grosser Teil der Kleidung, aber auch Schuhe, Schonbezüge oder Duschvorhänge aus Erdöl-Derivaten. Beim Waschen werden Fasern und Partikel gelöst, die am Ende als toxisches Micro- und Nano-Plastik in den Gewässern landen. Darunter sind PFAS-Verbindungen, die auch «forever-chemicals» genannt werden, wie in Goretex, die u.a. zu Unfruchtbarkeit bei Meeresbewohnern und Menschen führen sowie nun in den USA und in der EU schrittweise verboten werden. Was unternehmen Sie als Vorreiter, um zur Lösung dieses planetarischen Problems beizutragen?
MN: Mikroplastik ist global eine grosse Herausforderung, und die Quellen von Mikroplastik sind mannigfaltig. Wir begrüssen es, dass die Textilindustrie bei der Materialwahl anfängt umzudenken, wenn auch teilweise nur mit Druck aus der Politik. Letzteres zeigt sich bei verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen. Grundsätzlich sind wir überzeugt, dass es Initiative auf allen Ebenen braucht: Politisch, in der Wirtschaft und bei jedem von uns als Konsumenten. Mikroplastik wird in der Schweiz in der Kläranlage gefiltert und der Klärschlamm anschliessend thermisch verwertet. Das ist aus unserer Sicht der richtige Ort und der richtige Ansatz, um die hoffentlich immer kleiner werdenden Mengen von Mikroplastik aus dem System zu nehmen. Das ist rationaler und effektiver, als bei jeder Waschmaschine oder jedem Haushalt zu filtern. Leider ist das noch nicht global der Fall, aber die Entwicklung soll in diese Richtung vorangetrieben werden.
Wissen die Investoren das starke Nachhaltigkeitsprofil und die konkreten Fortschritte bei der Dekarbonisierung zu würdigen? Welche Erkenntnisse gewinnen Sie aus der Kommunikation mit institutionellen und privaten Anlegern?
PS: Das Thema wird ohne Zweifel immer wichtiger. Es gibt immer mehr Investoren, die haben ein ehrliches Interesse an den Themen und sind dankbar für umfangreiche Informationen und den persönlichen Austausch. Unsere Transparenz im Nachhaltigkeitsbericht, den wir seit 2012 veröffentlichen, wird von den Investoren sehr geschätzt.
Weiter gibt es die Rating-Agenturen, die sich in den Methoden und Metriken stark unterscheiden. ESG-Ratings ist eine relativ junge Disziplin; dies wird in den nächsten Jahren sicher optimiert und professionalisiert und damit auf ein ähnliches Niveau kommen wie die Kreditratings. Wir unterstützen das.
In der Präsentation des Halbjahresberichts sprachen Sie von einem Silberstreifen am Ende des zweiten Quartals. Wie schätzen Sie heute die Geschäftsperspektiven für das zweite Semester und 2024 ein?
PS: Wir haben bei der Publikation von Jahres- und Halbjahresbericht unsere Mittelfristziele bestätigt und bewusst auf eine Guidance für das Jahr 2023 und 2024 verzichtet, weil es mit den aktuellen konjunkturellen Schwankungen noch relativ grosse Untersicherheiten gibt.
Welche Umsatz- und Gewinnwachstumsraten peilen Sie auf Sicht von 3-5 Jahren an, und was können Sie Stand heute zur Dividende sagen?
PS: Im mittelfristigen Outlook von 3-5 Jahren bestätigen wir unsere Mittelfristziele: 3% organisches Wachstum, EBIT-Marge von 10-13%. Angaben zur Dividende werden wir erst mit der Publikation des Jahresergebnisses resp. mit der Einladung zur Generalversammlung veröffentlichen.
Herr Spirig, Herr Niederberger, vielen Dank für das interessante Gespräch und die gewährten Einblicke.