Philippe Petitpierre, CEO Holdigaz: «Die nimby-Haltung ist ein grosses Hindernis für die Energiewende»

Der CEO des Waadtländer Energieversorgers geht für das laufende Jahr von einem zurückgehenden Ergebnis aus

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Philippe Petitpierre, CEO von Holdigaz, verantwortet die Geschicke des Waadtländer Energieversorgers seit 2007. Bild: zVg.

Für Energieunternehmen war 2022 ein herausforderndes Jahr. Auch die Westschweizer Holdigaz SA musste sich mit den Turbulenzen an den Märkten auseinandersetzen. Durchaus erfolgreich, wie das abgelaufene Geschäftsjahr des Waadtländer Unternehmens zeigt. Der Umsatz stieg um 13,8% auf 315.2 Mio. CHF. Unter dem Strich verblieb ein Nettogewinn in Höhe von 25.8 Mio. CHF (+ 45.0%).

Philippe Petitpierre, seit 2007 CEO von Holdigaz, äussert sich im Interview mit schweizeraktien.net über die hohe Volatilität der Gaspreise, über die nimby-Problematik der in erneuerbare Energien investierenden Versorger und gibt einen Ausblick auf das laufende Geschäftsjahr.

Herr Petitpierre, fast die Hälfte Ihrer Investitionen fliesst in erneuerbare Energien. Wo sehen Sie das grösste Potenzial in diesem Bereich?

Die Holdigaz-Gruppe setzt sich dafür ein, die ehrgeizigen Ziele der schweizerischen Energie- und Klimapolitik mit den technischen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten vor Ort in Einklang zu bringen. Wir befürworten daher eine pragmatische Vision der Energiewende, was sich in unserer Strategie widerspiegelt.

Wir sind der Ansicht, dass das Potenzial in allen Energieformen vorhanden ist, die für die Energiewende erforderlich sind. Sei es erneuerbarer Strom, erneuerbares Gas, erneuerbare Wärme oder auch Erdgas. Jede dieser Energien hat verschiedene Vor- und Nachteile mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften wie Energieeffizienz, Akzeptanz in der Bevölkerung und Einsatz-Schnelligkeit.

Sie haben überdies alle unterschiedliche Eigenschaften, die sich auf die finanzielle Rentabilität der Investitionen auswirken. Keine Energieart ist in all diesen Merkmalen überragend. Deshalb investiert Holdigaz in verschiedene Portfolios von Energieinfrastrukturanlagen in der Schweiz und in Europa.

Was bedeutet dies für Ihr Versorgungsgebiet?

Bei den lokalen Investitionen in der Westschweiz hat Holdigaz bisher vor allem Projekte bevorzugt, die sich mit erneuerbaren Energien, die kurz-, mittel- und langfristig eine Aufwertung der Gasnetze ermöglichen, befassen. Dabei handelt es sich um eine für die Energiewende absolut notwendige Infrastruktur: Sie ist diskret und ermöglicht den Transport grosser Mengen an erneuerbarer Energie zu verhältnismässig niedrigen Kosten und mit hoher sozialer Akzeptanz und ermöglicht es so, die Schwächen der Stromnetze zu beheben.

Wenn es darum geht, in erneuerbare Energien zu investieren, scheinen sich viele Gemeinden und Bürger von der Notwendigkeit eines Wandels abzuwenden. «Not in my backyard» (nimby) ist die gängige Forderung. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund Ihre Bemühungen, in erneuerbare Energien zu investieren, insbesondere in Photovoltaik und Windkraft?

Die «not in my backyard»-Haltung eines Teils der Schweizer Bevölkerung ist eines der grössten Hindernisse für den Aus- und Aufbau der für die Energiewende notwendigen Energieinfrastruktur. Die Holdigaz-Gruppe sieht sich bei einigen ihrer Investitionsprojekte auf dem Land tatsächlich mit diesen Schwierigkeiten konfrontiert. Um die soziale Akzeptanz zu erhöhen, verfolgen wir eine Strategie zur Einbeziehung von Interessengruppen und haben z.B. Stakeholder von Anfang an in unsere Projekte miteinbezogen. Dies ist eine erfolgreiche Strategie, die jedoch Zeit erfordert.

Darüber hinaus nutzt der Konzern die Kompetenzen seiner auf Gebäude- und Energietechnik spezialisierten Unternehmen, um sich im Bereich der Energieeffizienz weiterzuentwickeln, insbesondere bei der energetischen Sanierung von Gebäuden. Dieser Sektor ist im Wachstum begriffen und geniesst eine grosse Toleranz in der Bevölkerung.

Ausserdem hat Holdigaz beschlossen, auch in Energieinfrastrukturprojekte jenseits der Grenzen der Schweiz zu investieren, um vom Vorsprung einiger europäischer Länder bei der Einführung dieser Art von Projekten zu profitieren.

Die Gaspreise sind im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Werden Sie die Senkung an Ihre Kunden weitergeben?

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat den Energiemarkt völlig umgekrempelt, insbesondere was die Preise für Erdgas anbelangt. Nachdem die Preise für Erdgas im August 2022 bis zu 350 EUR/MWh kletterten, gingen sie langsam zurück und liegen nun bei 40-50 EUR/MWh, also immer noch 3-4 Mal höher als in der Vergangenheit. Die Situation hat sich also verbessert, aber man spürt immer noch eine grosse Nervosität auf den Märkten.

Die Volatilität der Preise ist immer noch sehr gross, und seit diesem Sommer haben Ereignisse wie Streiks an LNG-Terminals in Australien und einige ungeplante Abschaltungen oder Verzögerungen bei der Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken in Frankreich die Unsicherheiten wachsen lassen.

Andererseits haben ein hoher Lagerbestand in Europa von über 95% sowie eine bislang milde Wetterlage diese Schwankungen nach oben begrenzt.

Trotz des Rückgangs auf den internationalen Gasmärkten in den letzten Monaten wirken sich die historisch hohen Preise aus dem Jahr 2022 noch heute stark auf unser Beschaffungsportfolio aus. Denn wir beschaffen Erdgas auf der Grundlage einer langfristigen Strategie mit zeitlich gestaffelten Käufen, um die Preisstabilität unserer Energie bestmöglich zu wahren und die Versorgungssicherheit für unsere Kunden zu gewährleisten. Dank dieser Beschaffungsstrategie konnten wir die Auswirkungen der Rekordpreise auf unsere Tarife in Grenzen halten.

Andererseits bedeutet dies, dass es länger dauern wird, bis die in diesem Zeitraum getätigten Einkäufe die Kosten für die Energieversorgung in den nächsten Jahren nicht mehr so stark belasten werden.

Angesichts eines weiterhin unsicheren internationalen Erdgasmarktes, der durch eine hohe Preisvolatilität belastet ist, sehen wir daher keine Möglichkeit für eine Tarifsenkung vor dem Ende des Winters.

Kommen wir auf das vergangene Jahr zurück. Im Jahr 2022/2023 (per 31. März) sank der Gasverkauf von Holdigaz um fast 20% auf 1.350 GWh. Was waren neben den Wetterbedingungen die Gründe für diesen deutlichen Rückgang?

Der Rückgang ist hauptsächlich auf die milderen Temperaturen im Winter 2022/2023 zurückzuführen. In geringerem Masse auch auf den historischen Hintergrund der drohenden Knappheit von Strom und Erdgas, die über dem Winter 2022/2023 schwebte.

Eine Kampagne mit dem Aufruf, den Konsum einzuschränken, wurde von der Gasbranche gesteuert und war direkt an unsere Kunden gerichtet. Darüber hinaus hat der Bund alle Kunden, die zwei Brennstoffe benutzen, aufgefordert, im Winter von Erdgas auf Heizöl umzusteigen. Schliesslich führte auch der Anstieg der Erdgaspreise zu einer Anpassung des Verbrauchs von einigen unserer Endkunden.

Trotz des Absatzrückgangs um 20% stiegen die Einnahmen aus dem Gasverkauf um 19%. Dies ist grösstenteils auf zwei Preiserhöhungen zurückzuführen, die die Holdigaz-Kunden im Laufe des letzten Jahres hinnehmen mussten. Wie haben sich Ihre Preise im letzten Geschäftsjahr entwickelt?

Der beispiellose Preisanstieg auf den internationalen Gasmärkten sowie die hohe Volatilität zwangen Energiapro dazu, zwei aufeinanderfolgende Preiserhöhungen im April und November 2022 vorzunehmen. Die Erhöhung vom 1. April führte zu einer Tariferhöhung von 27% und diejenige vom 1. November zu einer Tariferhöhung von 16%.

Da die Energiapro im vorangegangenen Geschäftsjahr (bis 31.03.2023) positive finanzielle Ergebnisse erzielt hat, konnten wir in diesem Jahr eine Erhöhung der Tarife vermeiden. Das erlaubte es uns auch, unseren Kunden eine Rückvergütung von 0.5 Rp./kWh auf dem Energieverbrauch im Zeitraum 2022-2023 zu gewähren, was einer Gesamtsumme von über 5 Mio. CHF entspricht. Die Kunden werden von dieser Retrozession auf ihrer nächsten Rechnung vor Winterbeginn profitieren können.

Ihr EBITDA stieg im Jahr 2022/23 um 65% auf 69.7 Mio. CHF. Der Nettogewinn stieg von 17.8 auf 25.8 Mio. CHF. Die Aktionäre freuen sich über diese Zahlen und haben eine Erhöhung der Dividende erhalten. Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen deutlichen Preiserhöhungen gegenüber den Kunden und der gleichzeitigen Erhöhung der Dividende um 20% auf 6 CHF pro Aktie?

Das am 31.03.2023 endende Geschäftsjahr verlief aus drei Hauptgründen tatsächlich besser als erwartet.

Der erste ist die Tatsache, dass unsere Verkaufsvolumen im Winter 2022/2023 letztlich geringer ausfielen, insbesondere aufgrund der milden Temperaturen. Infolgedessen mussten wir weniger Erdgas auf den Kurzfristmärkten kaufen und konnten sogar zuvor eingekaufte Überschussmengen zu guten Preisen weiterverkaufen. Zum anderen konnten wir von der guten Leistung unseres Erdgaslieferanten, Gaznat AG, profitieren. Dieser hat uns ganz am Ende des Geschäftsjahres eine hohe Gutschrift beschert.

Die Tariferhöhungen von Energiapro waren dennoch absolut notwendig und gerechtfertigt, da beide Elemente nicht vorhergesehen werden konnten. Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt unserer zweiten Tariferhöhung (im November 2022) die drohende Strom- und Erdgasknappheit während des Winters grosse Unsicherheiten bezüglich Entwicklung des Erdgaspreises auf den internationalen Märkten bewirkte.

Der dritte Grund ist die Entwicklung der Aktivität und der Wirtschaftsleistung des Sektors der Gebäudetechnik und der erneuerbaren Energien, die inzwischen einen bedeutenden Anteil an unseren Ergebnissen erzielen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses positive Ergebnis es uns ermöglicht hat, die Tarife für das laufende Geschäftsjahr nicht zu erhöhen und einen Teil des Gewinns in Form einer Gutschrift an unsere Kunden weiterzugeben sowie die Dividende für unsere Aktionäre auf ein ähnliches Niveau wie für das Jahr 2021 zu erhöhen.

Können Sie uns eine Prognose für das laufende Geschäftsjahr geben?

Was unsere Verkaufsmengen von Erdgas-Biogas betrifft, so liegen diese ganz leicht unter dem des Vorjahres zum gleichen Zeitpunkt. Dies liegt daran, dass die milden Temperaturen in diesem Herbst den Beginn der Heizsaison verzögern. Das lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Verkaufsmengen bis Ende des Jahres zu.

Wir gehen davon aus, dass wir am Ende des Geschäftsjahres ein Konzernergebnis unter dem des Vorjahres ausweisen werden.

Man übertreibt nicht, wenn man Sie Monsieur Holdigaz nennt. Seit fast zwei Jahrzehnten sind Sie für das Unternehmen verantwortlich. Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Ist Ihr Unternehmen gut aufgestellt, um die zahlreichen Herausforderungen des Energiesektors zu meistern?

Seit 2007 leite ich die Geschicke des Unternehmens, das im Jahr 2005 gegründet wurde. Seither hat sich der Konzern mit seinen 19 Tochterunternehmen, die in den Bereichen Erdgas, Energie und Bauwesen tätig sind, ausserordentlich gut entwickelt. Bei der Gründung zählte das Unternehmen 200 Mitarbeitende, heute sind es 500. Der Umsatz stieg um mehr als das Dreifache und der Gewinn von 5 Mio. CHF auf über 32 Mio. CHF im Jahr 2021. Die Bilanzsumme wuchs von 137 Mio. CHF auf 626 Mio. CHF. Holdigaz besitzt eine Stabilität und eine Sicherheit, die ich hier mit Nachdruck hervorheben will und die das Unternehmen sehr gut gerüstet für die Zukunft positioniert.

Herr Petitpierre, vielen Dank für dieses Gespräch.

Die Aktie von Holdigaz wird über otc-x gehandelt und kostete zuletzt 148 CHF.

Kursverlauf der Holdigaz Aktie über die letzten drei Jahre. Quelle: otc-x.ch

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