«Die Existenzangst der Tourismusanbieter ist verflogen», sagt Patrik Scherrer, Verwaltungsratspräsident der Berner Dachmarketingorganisation «Made in Bern» in seinem Eröffnungsreferat. 2023 werde punkto Besucherzahlen wahrscheinlich ein Rekordjahr. «Das heisst aber nicht, dass die Branche sorgenfrei ist». Die Bewohner in Tourismusdestinationen seien nach Corona sensibler geworden. Schnell werde Overtourismus beklagt, die Reizschwelle sei gesunken. «Aber vor allem mangelt es an Menschen, die im Tourismus arbeiten wollen», sagt Scherrer.
Der Fachkräftemangel ist in Kombination mit den fehlenden Unterkünften Gift für die Servicedienstleistungen in den Ferienregionen. Ein rechtliches Schlupfloch hat die Situation verschärft. Gemäss Gesetz darf jede Gemeinde nur 20% Ferienwohnungen haben. Bloss: Die Umwandlung von Erstwohnungen in Zweitwohnungen wird durch das Gesetz nicht beschränkt. Dies hatte zur Folge, dass in Tourismusorten von 80’000 Erstwohnungen rund 32’000 umgenutzt und mit Gewinn als Zweitwohnungen verkauft werden könnten. Zu diesem Schluss kommt die Fachhochschule Graubünden. Viele Wohnungen, die nicht verkauft wurden, werden zudem vom Besitzer über AirBnB angeboten.
24’000 werden im Bündnerland fehlen
Markus Wolf, CEO Weisse Arena AG in Flims/Laax/Falera (WAL) eröffnet sein Referat mit einem Blick auf die Bevölkerungspyramide, um zu zeigen, dass der Arbeitskräftemangel nicht etwa ein Tourismus spezifisches Problem sei. «In Graubünden verlassen in den nächsten zwanzig Jahren 59’000 Personen den Arbeitsmarkt und lediglich 35’000 kommen hinzu». Das lasse sich nicht verändern. Die wichtigsten Herkunftsländer der Mitarbeiter – Portugal, Italien, Österreich und Deutschland – hätten vergleichbare Alterspyramiden. Diese Länder unternehmen immer mehr, um junge Menschen im Land zu halten. «Die Mitarbeiter werden nicht nur weniger, es sind auch andere Menschen». Die Generation Z habe andere und hohe Anforderungen an die Arbeit. Man wolle weniger und flexibler arbeiten und dabei sich selbst mehr eingeben können. Das mache die Ausgangslage schwierig, denn Trendthemen wie Automatisierung und Homeoffice liessen sich im Tourismus nur beschränkt anwenden.
«Wir beschäftigen 400 Mitarbeiter in der Nebensaison und 1400 in der Hochsaison – dafür suchen wir jedes Jahr hochflexible Personen, die vielfach auf Abruf arbeiten», sagt Markus Wolf. Für den kommenden Winter braucht die WAL wieder 1000 Saisoniers 114 Stellen sind noch offen. «Wir haben zwei Drittel Saisoniers, die jedes Jahr wiederkommen, dieses Mal werden es sogar drei Viertel sein». Um das zu erreichen hat die Weisse Arena das Programm «People and Culture» lanciert, das auf fünf Ebenen die Bedürfnisse der Mitarbeiter abdecke. «Es nützt nichts, wenn man von Employer Branding spricht, aber nichts zu bieten hat», so Wolf.
Fünf Bedürfnisebenen der Angestellten
Mit den fünf Ebenen (Layern) deckt WAL einen breiten Fächer an Bedürfnissen der Mitarbeitenden ab. Im Basic Layer werden die monetären Bedürfnisse befriedigt durch Lohn, Vorsorge und Versicherung. In der zweiten Ebene geht es um Vergünstigungen, um Fringe Benefits. Wolf weist aber darauf hin, dass diese dem Einkommen angepasst sein müssten. Es nütze einem Angestellten aus dem Tieflohnsegment nichts, wenn er eine vergünstigte Saisonkarte erhalte, weil diese weiter zu teuer ist und der Mitarbeiter gar keinen Wintersport betreibt. WAL vermittle aber etwa Fremdsprachen- oder Klavierkurse. Wichtig sei für sein Unternehmen der «Community Layer». «Gerade jüngere Mitarbeiter wollen zu Laax gehören und Kleider mit dem entsprechenden Aufdruck tragen», so Wolf. Im Developement Layer geht es darum, den Angestellten Perspektiven zu bieten: beispielsweise Lehrlinge auszubilden und einen Aufstieg sowie Weiterbildungen zu ermöglichen. Im Care Layer wird für das gesundheitliche Wohl gesorgt. Es sei sinnvoll frühzeitig eine ärztliche Versorgung sicherzustellen, statt später lange Krankheiten finanzieren zu müssen. Dafür müsste etwa Saisoniers der Zugang zu Ärzten ermöglicht werden.
«Vor dem Jahr 2020 war Employer Branding für uns undenkbar», sagt Urs Kessler, CEO Jungfraubahn Holding AG. Das Unternehmen habe damals eine Fluktuationsrate von 4,8% aufgewiesen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie wäre schon damals höher gewesen. Die Jungfraubahnen Gruppe biete Beschäftigungen in 100 Funktionen an und strebe an, dass sich jeder Mitarbeiter als Unternehmer sehe. So seien 66% der Mitarbeitenden auch Aktionäre. Unternehmertum in Unternehmen umfasse aber auch, dass der Vorgesetzte den Mitarbeitenden im Depot frage: «Würdest Du diese Maschine auch kaufen, wenn Du sie selbst zahlen müsstest?» Der Tourismus habe den Vorteil, dass es sich um ein emotionales Produkt handle. Dass Ziel des Employer Branding sei es zu vermitteln: Ich liebe es, für die Jungfraubahnen zu arbeiten.
Neue Wege in der Anwerbung
In der Anwerbung von Mitarbeitenden darf man sich gemäss Kessler aber nicht verzetteln: «Weniger ist mehr – dafür richtig». Die Anwerbung erfolge über das gesamte Netzwerk, auch Geschäftsleitungsmitglieder würden geeignete Personen ansprechen. «Als Gast gekommen, als Mitarbeiter geblieben», sei hier der Wunsch. Es müsse den Interessenten leicht gemacht werden, eine Bewerbung einzureichen. Und diese müsse mit Wertschätzung angenommen werden.
Die Jungfraubahn geht aber auch neue Wege bei der Anwerbung. Man ist jetzt auch auf Gewerbeausstellungen präsent oder auf Social Media etwa auf TikTok. Die Vergütung bleibe eine wichtige Säule des Branding. «Ab 2025 führen wir ein neues Lohnkonzept ein», sagt Kessler. Auch Dienstalterferien werde es geben. Zudem erhalten Mitarbeitende Begleiterkarten, mit denen sie ihren Angehörigen das Jungfraujoch zeigen können, sowie einen kostenlosen Sportpass.
«Der Arbeitgeber braucht eine starke Vision, die glaubhaft ist. Wir bauen eine erstklassige Alpendestination bis 2040», sagt Raphael Krucker, CEO Andermatt Swiss Alps (ASA). Sein Unternehmen wandle das einst serbelnde Andermatt in einen blühenden Bergort. Die Beschäftigten arbeiteten also auch für «einen guten Zweck». Zudem gebe ASA einen klaren Masterplan vor. Dieses Jahr passiert A, nächstes Jahr B. Der Arbeitsplatz ist für mehrere Jahre gesichert. Sein Unternehmen sei erst 17 Jahre alt und in ein kriselndes Tal gekommen, aus dem sich die Armee zurückzog und viele Einheimische keine Zukunft mehr sahen. Den Mitarbeitenden werde dieser Pioniergeist mitgegeben, etwa indem jedem der «Entstehungsfilm» als Motivation gezeigt werde. Heute wachse Andermatt wieder. Es würden nicht nur Abgänge ersetzt – Architekten, Köche, Bauarbeiter würden ins Dorf ziehen. 70% der Wohnungskäufer hätten bereits einen Schweizer Wohnsitz.
Kultur wichtiger als Skills
Das Unternehmen beschäftigt rund 1000 Mitarbeitende, die Hälfte davon Saisoniers. Für diesen Winter seien bereits alle offenen Positionen besetzt. «Man kann sich allgemein für die Destination bewerben und es wird gemeinsam abgeklärt, wo der Einsatz erfolgen könnte», sagt Krucker. Es brauche auch Praktikumsplätze, Lehrlingsstellen aber auch KV oder Seilbahntechniker. Das jemand kulturell zur Firma passe, sei jedoch wichtiger als die Skills. Interne Mitarbeitende würden bei Bewerbungen bevorzugt, es sei wichtig eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Zudem gebe es Assessment Center für Mitarbeitende: «Ich habe dieses Projekt abgeschlossen, was könnte ich jetzt machen?». Es sei vom Unternehmen gewollt, das Mitarbeitende etwa im Sommer auf dem Golfplatz arbeiten und im Winter im Sportgeschäft. Ein wichtiger Faktor sei es, dass man den Angestellten eine internationale Perspektive bieten könne, so Krucker. Der Mutterkonzern Orascom betreibt weltweit 14 Feriendestinationen. So könne man beispielsweise in der Sommersaison in Montenegro arbeiten und im Winter in den Alpen. Dabei gehe es auch um den Austausch von Experten, etwa beim Bau von Golfplätzen.
Das Unternehmen führt zweitägige Bewerbungstage durch, in denen man als Gruppe Biken geht, Cocktails mixt und im Hotel übernachtet. Ein Bestandteil davon sei auch, dass der zukünftige Vorgesetzte dabei kurze «Seilbahninterviews» durchführt. Nachhaltigkeit ist gemäss Krucker wichtig und ist ein Projekt aller Mitarbeiter: «Jeder kann Beispiele einbringen, wie etwa eine App für das Mobilitätssharing».
Wege zu mehr Wohnraum
In der anschliessenden Diskussion geht es darum, wie das Hauptproblem, der Wohnungsmangel für Angestellte, gelöst werden könnte. Zur Gruppe der Referenten stösst Frau Christine Seidler, Dozentin für Raumplanung an der FH Graubünden. Sie hat zahlreiche Forschungsarbeiten über das Bauen im Alpenraum verfasst. «Wir haben keine Wohnungsnot, sondern ein Verteilungsproblem», hält sie fest und weist darauf hin, dass das Problem einzelne Orte betreffe, während es in anderen Regionen genug Wohnraum gebe. Die Entwicklung zeichne sich seit 15 Jahren ab. «Seit 2009 sind Immobilien als Anlage gesucht von Institutionellen, seit der Corona-Pandemie hat sich die Nachfrage in den Alpen wegen des Homeoffice-Trends auf Private verlagert». Auch Einheimische hätten in den Tälern wieder mehr Möglichkeiten und blieben in der Region.
Markus Wolf widerspricht dem «Verteilungsproblem». Die Wohnung sei ein Killerargument, vor allem Saisonmitarbeiter wollten mittendrin sein und nicht dort, wo nichts läuft. Zudem sei der Qualitätsanspruch gestiegen. Lange Arbeitswege, Mehrfachbelegungen in Wohnungen oder WC/Bad auf dem Korridor seien nicht mehr vermittelbar. WAL habe die Kontrolle über 180 Wohnungen und verfüge über 50 Betten für Ski- und Snowboardlehrer.
Die Jungfraubahn habe früher Personalhäuser verkauft. Dies sei ein grosser Fehler gewesen, so Urs Kessler. «Jetzt kaufen wir Land bei den Talstationen». Zu neuen Hotelprojekten gehörten nun immer auch Mitarbeiterwohnungen. Die neue V-Bahn habe aber auch negative Effekte gebracht: Es habe die Wohnungspreise in Grindelwald weiter nach oben getrieben. Und dann beobachtet Kessler noch einen weiteren Trend: «Früher war das Personal bereit auf dem Berg zu übernachten». Heute wolle keiner mehr abends auf dem Berg bleiben und dort übernachten, wo nichts läuft.
«Steuern senken hat Priorität»
«Wenn der Bewerbungsprozess startet, ist eine Wohnung für den Mitarbeitenden vorhanden», sagt Raphael Krucker. Andermatt Swiss Alps kann über sechs Mitarbeiterhäuser verfügen, die über eine Drittfirma betrieben werden. Zudem würde die Hälfte der Käufer einer neuen Wohnung im Ressort diese auch für eine Vermietung an Mitarbeitende zur Verfügung stellen. Wichtig sei es auch, dass es bei den neuen Wohnungen einen Mix von günstig bis Familienwohnungen gebe. «Nach drei Jahre wollen die Mitarbeiter meist selbst eine passende Wohnung mieten oder kaufen».
«Die Standortgemeinden sind reich, setzen das aber nur ein, um die Steuern zu senken», kritisiert Wolf. Ältere Wohnungsbesitzer erhielten so den Anreiz nach Laax zu ziehen. Gleichzeitig verkauften Einheimische Wohnungen wegen der hohen Preise. Mietwohnungen werden so noch knapper. Weil die Gemeinde nur die Steuern senkt und nicht investiert, halte sich auch die WAL zurück, in Mitarbeiter-Wohnungen zu investieren. «Die Gemeinden warten vor allem ab», sagt auch Kessler. Die Probleme hätten sich noch immer gelöst, sei die Devise. Aber ein Mitarbeiterhaus lasse sich für die Tourismusgesellschaften nicht profitabel betreiben.
Der Faktor AirBnB
«Die Gemeinden können nicht mehr mithelfen, sie haben ihren Grundbesitz grösstenteils verkauft und können nicht als Käufer auftreten», sagt Seidler. Sie fügt aber an, dass das Raumplanungsgesetz nicht nur einschränke, es sei im Interesse aller, dass die Berggemeinden zukünftig nicht aussehen würden «wie Würenlos». Es gebe auch sinnvolle Zusammenarbeit mit Gemeinden. So erhielten Unternehmen die Erlaubnis ein Hotel und Personalhaus zu bauen und diese querzusubventionieren, wenn auch ein Anteil Erstwohnungen gebaut würde.
Zum Schluss der Diskussion ging es noch um die Rolle von AirBnB. «Dieser Dienst hat einen grösseren Einfluss auf die Knappheit als Corona», sagt Kessler. Die Besitzer hätten das Interesse verloren, Wohnungen an Saisoniers zu vermieten, weil die Einnahmen mit AirBnB viel höher seien. In Laax sei der Effekt grösstenteils negativ, so Wolf. Es sei aber auch so, dass Zweitwohnungen angeboten würden, die sonst nicht auf den Markt kämen. In Andermatt ist AirBnB hingegen kein Problem – die Wohnungsbesitzer dürfen ihre Wohnungen nur über ASA vermieten.
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