Der Klimawandel ist definitiv auch am Kapitalmarkt angekommen. Die Investoren wollen saubere und gesunde Unternehmensperspektiven sehen, die Unternehmen passen sich an die veränderten Bedingungen an, und die Gesetzgeber sind schneller als allgemein erwartet ebenfalls aktiv geworden.
Aber was geht das die Unternehmen an, deren Aktien auf OTC-X gehandelt werden? Sie müssen dank dem dort geltenden Obligationenrecht ausser den nackten Zahlen gar nichts veröffentlichen. Umso aussagekräftiger ist es, dass die Anzahl der Teilnehmer im dritten Jahrgang der ESG-Umfrage von schweizeraktien.net nun dennoch auf 49 anstieg. In den beiden ersten Jahren lag die Teilnehmerzahl bei 38 und 44.
Ohne Transparenz ist alles nichts
Die Motive der Umfrageteilnehmenden mögen unterschiedlich sein, doch sie alle führen zu mehr Transparenz. Dies verbessert die Wahrnehmung und schärft die Differenzierung der Unternehmen in der Öffentlichkeit – und im Wettbewerb. Viele der teilnehmenden Unternehmen sind schon seit Jahren oder sogar Jahrzehnten nachhaltig ausgerichtet, bei anderen ist in den letzten Jahren das Bewusstsein gereift, dass manche Dinge anders und besser gemacht werden können und sollen. Die Impulse für Veränderungen kommen von verschiedenen Seiten: Management, grosse und kleine Aktionäre, Mitarbeitende, Kunden, Kinder oder Familie der Entscheidungsträger …
Am Ende gewinnen alle Anspruchsgruppen von der Dynamik der nachhaltigen Ausrichtung. Allerdings sollte trotz aller durchaus löblichen Fortschritte nicht vergessen werden, dass die globalen Emissionen und Temperaturen immer noch weiter steigen, ebenso der Meeresspiegel. Und die Wälder brennen, die Gletscher schmelzen ab, und auch das Artensterben setzt sich fort. Kein Grund also, in den Bemühungen zur Herstellung einer Net-Zero-Economy und zur Bewahrung intakter Ökosysteme nachzulassen.
Dritte Umfrage ist noch breiter abgestützt
Bei dieser dritten ESG-Umfrage wurden 174 Unternehmen angeschrieben, von denen 49 die 3 x 10 Fragen zu Umwelt, Sozialem und Governance beantworteten. Die Rücklaufquote beträgt 28,2% und bleibt somit weiter auf hohem Niveau. Die Umfrage wurde zwischen dem 27. Juli und dem 11. September 2023 mit der Umfragesoftware Surveymonkey durchgeführt. Die Ergebnisse sind wiederum repräsentativ. Von den 82 der als Aktien auf OTC-X gehandelten Unternehmen des Bergbahn- und Tourismus-Sektors nahmen 16 oder 19,5% an der Umfrage teil. Von den 25 Industrieunternehmen des entsprechenden OTC-X Subindex beantworteten 10 oder 40% die Fragen. Weiterhin nahmen acht Regionalbanken oder 24,2% von 33 Mitgliedern des Subindex sowie sechs Energieversorgungsunternehmen oder 31,6% von 19 Indexmitgliedern teil. Neun Antwortgeber stammen aus anderen Sektoren wie Nahrungsmittel, Casino oder Detailhandel.
Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Teilnehmenden nochmals nennenswert angestiegen ist, und dies, obwohl etliche Unternehmen, die in den Vorjahren teilgenommen haben, dieses Jahr keine Zeit für die Beantwortung der Fragen finden konnten. Die Herausforderungen für die Entscheidungsträger in den KMU sind 2023 gewachsen: Zinsanstieg, Fachkräftemangel, Abschwächung der Konjunktur, um nur einige zu nennen.
ESG-Diskussion im politischen Spannungsfeld
Mit Blick auf Nachhaltigkeitskriterien in Bezug auf den Kapitalmarkt ist die Entwicklung zwar scheinbar unumkehrbar, dennoch treibt die mediale und politische Polarisierung auch gegenteilige Trends an. Öl, LNG, sogar Kohle feiern ein unheimliches Comeback und gelten in Teilen der Gesellschaft angesichts der neuen, von Putin diktierten Realitäten plötzlich wieder als salonfähig, ebenso die nukleare Energie. Und die mächtige amerikanische Rating-Agentur S&P vergibt neuerdings keine ESG-Scores mehr, was die Öl & Gas-Industrie freut und vielleicht sogar auf ihren direkten und indirekten Druck als gewichtige Kapitalmarktteilnehmer, Wahlspender und Lobbyisten zurückzuführen ist. Andererseits wiederum hat nun auch die Stadt New York die «5 Oil Majors» als Urheber des Anstiegs des Meeresspiegels auf 52 Mrd. USD für Schutzmassnahmen gegen die absehbare Überflutung der Mega-City verklagt. Mehrere ähnliche Klagen sind anhängig – Ausgang offen.
Umso mehr ist hervorzuheben, dass eine stetig wachsende Anzahl von Schweizer KMU den Weg der Transparenz und einer nachhaltigeren Unternehmensentwicklung beschritten hat. Das Momentum zeigt nicht nur die Einsicht in die Notwendigkeit, sondern auch, dass die Unternehmen die mit dem Wandel zur Klimaneutralität verbundenen Geschäftschancen wahrnehmen wollen. Ein weiterer Faktor ist zweifellos die Steigerung der Attraktivität als sinnstiftender Arbeitgeber.
Bekannte und neue Namen im Top-Ranking
Die im Ranking vorne stehenden Unternehmen zeichnen sich durch Massnahmen und Initiativen aus, die oft Pioniercharakter haben und Fortschritte messbar machen. Den ersten Platz teilen sich die aus den Vorjahren bekannten Vorreiter Espace Real Estate und Griesser Holding mit jeweils 27 Ja-Antworten zu den 30 Fragen. Den dritten Rang teilen sich mit je 26 Ja-Antworten Plaston Holding und Thermalbad Zurzach, die beide ebenfalls in den Vorjahren auf den Spitzenrängen vertreten waren. Rang fünf wird mit je 25 Ja-Antworten von der neu in der Umfrage auftretenden Brauerei Schützengarten sowie dem Aufsteiger Weisse Arena bekleidet. Auf Rang sieben liegt Energie Zürichsee Linth, auf acht folgen der OTC-X Neuzugang Bobst sowie Schweizer Zucker, die Erstplatzierte in der ersten Umfrage 2021. Bei der ersten Umfrage genügten noch 25 Ja-Antworten für die Top-Position im Ranking, auf Rang zwei mit 23 Ja-Antworten folgten 2021 Weleda und Plaston Holding. Dieses Jahr kommen neun Unternehmen auf 23 Ja-Antworten oder besser, also eine Verdreifachung zu 2021!
Veränderungen im Top-Ranking der drei Segmente gab es, wie im Vorjahr, mehr als erwartet. Im Segment Umwelt ist ausser den bereits genannten Unternehmen mit Top-Ranking auch SSE Holding mit acht Ja-Antworten auf Rang sechs platziert. Im Segment Soziales kamen gleich neun Unternehmen mit je 10 Ja-Antworten auf Rang eins, darunter neben den Top-Platzierten auch Grand Casino Luzern Gruppe und Raurica Wald. Beim Governance-Ranking zeigt sich ein anderes Bild. Metall Zug und Schweizerische Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein kommen neben Espace Real Estate mit neun Ja-Antworten auf den Spitzenrang.
Fazit
Die dritte ESG-Umfrage von schweizeraktien.net konnte durch die aktive und engagierte Mitarbeit der teilnehmenden Schweizer KMU einen stetigen Trend hin zu nachhaltigen Geschäftspraktiken und Agenden bestätigen. Die Anzahl der Teilnehmenden stieg nochmals auf nun 49, darunter auch zahlreiche Unternehmen, die in den Vorjahren nicht teilnahmen. Und auch die qualitativen Ergebnisse zeigen einen «Impact» der Umfrage sowie generell teilweise veränderte Prioritäten und Zielsetzungen. Ein weiterer Aspekt von Bedeutung ist die zunehmende Transparenz für Stakeholder wie Kunden, Mitarbeitende und Investoren. Auch wenn die Detail-Ergebnisse auf Unternehmensebene sowie die vielfältigen Kommentare und Erläuterungen nicht publik gemacht werden können, so wird doch für den Ersteller der Umfrage klar, dass die 49 Teilnehmenden in ihrer Gesamtheit ein starkes Momentum der nachhaltigen Unternehmensentwicklung aufweisen. Das zeigt sich nicht nur in den Antworten zum Status, sondern auch in den Plänen mit konkreten Zielsetzungen, wie die gesamte Fahrzeugflotte bis 2030 auf elektrisch umzustellen oder gezielten Programmen zur Steigerung des Anteils von weiblichen Führungskräften. Doch wichtige Bereiche, vor allem in der Governance, bleiben verbesserungswürdig. Die Unternehmen bleiben gefordert, da sich auch regulatorische und gesetzliche Änderungen abzeichnen, auf die sie jedoch auch, mehr oder weniger gut, vorbereitet sind.
Hinweis in eigener Sache: Am 2. Februar 2024 findet der Workshop «ESG Reporting» statt. In diesem Rahmen wird auch die aktuelle Studie vorgestellt.