Es hatte sich schon abgezeichnet, dass das Eis auch an den europäischen Primärmärkten brechen würde. Der US-IPO-Markt hatte sich schon 2023 belebt und auch im ersten Quartal 2024 das Niveau gehalten. Zwei der vier Mega-IPOs mit Emissionserlösen über 1 Mrd. USD kommen nun aus Europa. Der andere Star ist Indien mit 27% aller globalen IPOs, was das Land nun an die Spitze der Statistik katapultiert.
In der globalen Statistik von EY zum ersten Quartal 2024 zeigen die Emissionserlöse eine Zunahme um 7% auf 23.7 Mrd. USD, die Anzahl der IPOs dagegen fiel um 7% auf 287. Die Trends der vorherigen Quartale setzten sich fort. Während sich Asia-Pacific deutlich schwächer entwickelte, verbesserten sich die Regionen Americas und EMEIA kräftig.
Vollbremsung in China
Deutlich wird dies an den Marktanteilen. Nach Erlösen entfielen lediglich 24% auf Asia-Pacific, in der Vorjahresperiode waren es noch 59%. Damit ist der vieljährige Expansionstrend von Asia-Pacific erst einmal gebrochen. Der Rückgang entfällt nahezu vollständig auf Greater China, während die Märkte in Japan, Indonesien, Malaysia und Südkorea sehr lebendig sind. Noch 2022 entfielen 55% des globalen Emissionsvolumens auf Greater China, im ersten Quartal 2024 sind es noch 16%.
IPO-Boom in Indien und ASEAN ungebremst
Auf Amerika entfällt im ersten Quartal 2024 mit 36% der Emissionserlöse der grösste Teil des Kuchens. Eigentlich wie üblich, jedoch war es 2022/2023 zu einer regelrechten Austrocknung des Marktes gekommen. 2022 waren es gerade 5% des globalen Volumens. Europa rückte mit 25% der Emissionserlöse auf Rang 2, in den letzten beiden Jahren waren es nur 10% respektive 11%. Der eigentliche Star ist aber Indien. Noch 2019 entfielen 1% der globalen Erlöse auf den Emerging Market, 2022 waren es schon 5%, jetzt 10%! Allein im ersten Quartal fanden 79 Börsengänge statt, eine Steigerung um 84% gegenüber dem ersten Quartal 2023.
Bemerkenswert ist die kaum eingetrübte Stimmung an den Primärmärkten in der ASEAN-Region. Indonesien verzeichnet 20 IPOs, Malaysia neun. Insgesamt fanden 38 IPOs in der Region statt. Das ist ein Rückgang von 27%, doch der Weltmarktanteil liegt bei rekordhohen 13%. Nach Emissionserlösen betrachtet, vereinigt die ASEAN-Region unverändert 4% des globalen Volumens auf sich.
Lead Markets USA und Europa
In Kontinentaleuropa fanden 24 IPOs statt, davon Galderma in der Schweiz und Douglas in Deutschland. Mit 2,4 Mrd. USD respektive 1 Mrd. USD bilden diese Emittenten auch die globale Spitzengruppe der grössten IPOs. Das dritthöchste Volumen in Europa erzielte mit 0.8 Mrd. USD Athens International Airport.
In den USA führte der finnische Konsumgüterhersteller Amer Sports in einem Cross-Border IPO mit 1.6 Mrd. USD die Tabelle an. Auch das zweitgrösste IPO kommt nicht aus den USA, sondern aus Kasachstan. Das Technologieunternehmen Kaspi.kz JSC sammelte 1 Mrd. USD ein. An den amerikanischen Börsen fanden 52 IPOs statt, von denen 48 auf die US-Börsen entfielen. Nach Anzahl liegen die IPOs um 21% über dem Vorjahresquartal, nach Erlösen stiegen sie jedoch kräftig um 178% auf 8.4 Mrd. USD.
Attraktives IPO-Pricing und Gewinne für Erstzeichner
Abgesehen von konjunkturellen Impulsen und der Zinssenkungsfantasie werden die Primärmärkte von drei Faktoren wesentlich beeinflusst. Der erste ist das Pricing der IPOs. Quer durch die Bank haben die Emittenten ihre Preisvorstellungen den Marktbedingungen angepasst. In Klartext: Die IPO-Bewertungen lassen inzwischen Raum für Kurssteigerungen für die Erstzeichner. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fällt die Aftermarket Performance sehr viel besser aus als in der Vorjahresperiode. Und dies sowohl nach Industrien wie nach Regionen betrachtet. In Japan zeigen 100% der IPOs eine positive Performance, gegenüber 59% vor einem Jahr. In Europa sind es 88%, nach 63% im ersten Quartal 2023. Industrials liegen zu 80% im Plus, im Vorjahresquartal waren es noch 40%. Selbst im gut gelaufenen Consumer Segment liegen 63% der IPOs über dem Ausgabepreis, gegenüber 40% im ersten Quartal 2023. Nennenswert schlechter liegen nur Financials mit 27% versus 71% im Vorjahresquartal. Dieser Faktor hat eindeutig ins Positive gedreht, was auch mit den boomenden Börsen in New York, Tokio und Europa erklärbar ist. Verkäufer von Unternehmen oder Beteiligungen via IPO wie Private Equity Fonds, Konzerne oder Familien sehen inzwischen ein besseres Umfeld.
Der gewichtige Private Equity Faktor
Der zweite Faktor ist die Private Equity Industrie, die während der vergangenen Jahre zwar ihre für die Börse bestimmten Beteiligungen für das «Going Public» getrimmt haben, aber zurückhaltend bei der Bestimmung des Zeitpunktes waren. Jetzt scheint das Eis gebrochen. Sowohl bei Renk und Douglas in Deutschland wie bei Galderma in der Schweiz stehen Private Equity Adressen hinter den Börsendebütanten. Wie EY ermittelt hat, sind fünf der zehn grössten IPOs des ersten Quartal PE-backed. Die Bewertungen für IPOs, gemessen am EV/EBITDA-Verhältnis lagen 40% über den vergleichbaren Preisen bei Verkäufen an Industrieadressen, was weitere IPOs aus dem PE-Umfeld mehr als wahrscheinlich macht. Tatsächlich planen zwei Drittel der PE-Fonds Börsengänge für 2024. Es ist für interessierte Investoren relevant, sich damit zu beschäftigen, denn der Vergleich zeigt auch, dass die PE-finanzierten Unternehmen nach dem IPO im Mittel eine Börsenbewertung von 1.6 Mrd. USD aufweisen, VC-finanzierte Unternehmen 458 Mio. USD und Börsendebütanten ohne Financial Sponsor nur 50 Mio. USD.
KI für die Börse
Der dritte Faktor ist die Künstliche Intelligenz, die seit gut einem Jahr die Sekundärmärkte beflügelt, Stichwort Nvidia. Auch die Investitionen von VC- und PE-Industrie fliessen in diese Richtung. IPOs hat es bislang nur wenige gegeben, auch weil die Investitionsvolumina erst seit 2022 steil ansteigen. Die Fantasie der Anleger treibt einstweilen mitunter seltsame Blüten. Weil das ganze Thema schwer greifbar ist, projizieren die Marktteilnehmer ihre Wunschvorstellungen auf Aktien von Unternehmen, von denen sie meinen, dass sie von der Entwicklung profitieren. Nach der Euphorie folgt dann nahezu regelmässig die Ernüchterung wie bei C3.ai – von 17 USD auf 45 USD und zurück auf 25 USD. So ähnlich war es bei dem News-Aggregator Reddit beim IPO. Nach einem Zeichnungsgewinn am ersten Handelstag von fast 50% gab die Aktie jedoch zwischenzeitlich deutlich nach. Bei Astera Labs, einem Hersteller von Konnektivitäts-Hardware für Cloud-basierte Rechenzentren, lief es besser. Die Aktie stieg am ersten Handelstag um über 70% und liegt aktuell mit 71 USD fast 100% über dem Ausgabepreis von 36 USD. Der Emissionserlös lag bei rund 0.8 Mrd. USD.
Wird es KI-Börsenaspiranten aus Europa geben?
Anhand der Finanzierungsstadien der relevanten KI-bezogenen Unternehmen kommt EY zu dem Schluss, dass bisher nur 1% der möglichen IPOs erfolgt sind. 3% sind PE-backed, was eine gewisse Börsenreife suggeriert, doch bei den 7%, die als Late-Stage VC kategorisiert sind, sind ebenfalls Börsengänge möglich. Der grosse Rest entfällt auf Early-Stage und Seed, aus denen allenfalls eine limitierte Anzahl von Börsenkandidaten in 3-10 Jahren erwachsen kann. Ebenfalls interessant ist, woher die KI-Börsenaspiranten kommen: 29% China, 19% USA, 18% Japan, 10% Südkorea, 8% Israel. Die Europäer verstecken sich unter dem Rest of World mit 16%. Das kann schon zu denken geben, wenn man die Euphorie und Allgegenwart der KI im Diskurs von Finanz- und Wirtschaftskreisen sowie die blauäugigen Narrative von Medien und Politik damit kontrastiert.