Schon vor der Veröffentlichung des Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichts für 2023 hatte die neue CEO von Weleda, Tina Müller, das Überschreiten der Gewinnschwelle angekündigt. Das Jahresergebnis fiel nach einem Verlust im Vorjahr mit 9.9 Mio. EUR wieder klar positiv aus. Doch noch wichtiger sind die ersten sichtbaren Ergebnisse der neuen Wachstumsstrategie. Bis 2030 soll sich der Umsatz von 421.2 Mio. EUR verdoppeln.
Kennzeichnend für das Jahr des Turnarounds waren die fortgesetzt hohen Investitionen, vor allem in das neue Logistikzentrum in Schwäbisch Gmünd. Während die Investitionen um 10,1% auf 41.2 Mio. EUR stiegen, sanken die Personalkosten durch einen sozialverträglichen Abbau von Stellen um 12,3% auf 170.1 Mio. EUR. Die geübte Kostendisziplin schlug sich auch im übrigen Betriebsaufwand nieder, der um 8.7 Mio. EUR auf 145.4 Mio. EUR vermindert wurde. Der Aufwand für Material und Waren erhöhte sich dagegen deutlich von 64.4 Mio. EUR auf 97.3 Mio. EUR.
EBIT um 17 Mio. EUR verbessert
Die Gesellschaft bilanziert in EUR. Der Umsatz nahm währungsbereinigt um 2,9% auf 421.2 Mio. EUR zu. In CHF schrumpfte der Umsatz jedoch infolge der Frankenstärke um 6.5 Mio. CHF auf 409.3 Mio. CHF. Nach Abschreibungen von 10.3 Mio. EUR erreichte das EBIT 13.4 Mio. EUR, was einer Marge von 3,2% und einer Verbesserung zum Vorjahr um 17 Mio. EUR entspricht. Der Jahresgewinn belief sich auf 9.9 Mio. EUR oder 9.6 Mio. CHF.
Schaffung von zwei Geschäftseinheiten
Zu den ersten Akten der neuen Führung zählt die Schaffung von zwei Segmenten: Naturkosmetik und Arzneimittel. Während der Umsatz in der Naturkosmetik um 4,2% auf 340.1 Mio. EUR zulegen konnte, sank der Arzneimittelumsatz um 7,1% auf 81.2 Mio. EUR abermals. Somit entfallen 81% Umsatzanteil auf Naturkosmetik und 19% auf Arzneimittel. Letzteres Segment verzeichnet seit Jahren stark rückläufige Umsätze, ist deshalb verlustbehaftet und muss daher von der profitablen Naturkosmetiksparte quersubventioniert werden. Ein Grund ist, dass in Frankreich die Erstattungsfähigkeit für anthroposophische Arzneimittel beendet wurde, woraufhin die Umsätze in dem wichtigen Markt kollabierten. In Deutschland ist eine ähnliche Diskussion im Gang im Rahmen der Kostensenkungsmassnahmen im Gesundheitssektor.
Das Pharma-Geschäft soll ausgebaut werden
CEO Müller erteilt einer Reduzierung des Pharmageschäfts jedoch eine klare Absage. Im Gegenteil. Sie will das Arzneimittelgeschäft innert drei Jahren in die Gewinnzone führen und sieht einen regen Bedarf an ganzheitlichen pflanzenbasierten Pharmazeutika. In einem Interview mit der NZZ führt Müller zum Beleg eine aktuelle Allensbach-Studie an, der zufolge zwei Drittel homöopathische und anthroposophische Arzneimittel als Ergänzung befürworten. Die Mission wird also sein, die rund 800 Weleda-Arzneimittel «aus der Nische» zu holen und mehr Patienten und Medizinern zugänglich zu machen.
Am Anfang standen die Arzneimittel
Die Anfänge der heutigen Weleda lagen ab 1920 in der Herstellung anthroposophischer Arzneimittel, die jedoch bald um Kosmetika wie Rosmarin- und Fichtennadelbäder oder Arnikaessenz ergänzt wurden. Um die anthroposophische Bewegung, inklusive der Kliniken und der Waldorf-Schule, voranzubringen, so Gründer Rudolf Steiner, sollten sowohl die Arzneimittel- als auch die Kosmetika-Sparte Gewinn erwirtschaften und sich nicht gegenseitig finanzieren, da ansonsten das grosse Ziel gefährdet sei. Diese Maxime wird von Müller heute als «gesellschaftlicher Auftrag» re-formuliert. Der Name «Weleda» wurde schon 1924 sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz markenrechtlich geschützt. Bereits 1924 wurde eine britische Tochtergesellschaft gegründet, 1926 je eine in den Niederlanden, in Tschechien und in den USA.
Geografie der Arzneimittelumsätze
Zweifellos sind die Potenziale für alternative Arzneimittel enorm, doch wie realistisch ist eine Expansion ausgehend von der im Vergleich doch sehr schmalen Basis von rund 80 Mio. EUR Jahresumsatz? Ein Blick auf die Umsatzanteile in den wichtigsten der rund 50 bearbeiteten Länder kann erste Aufschlüsse hinsichtlich des Potenzials geben. Deutschland ist mit einem Umsatz von 168.4 Mio. EUR der grösste Markt, auf Arzneimittel entfallen 20% davon. Das liegt prozentual etwa auf einer Linie mit Italien und Österreich, die zusammen auf 19 Mio. EUR Umsatz kommen. In den Niederlanden mit 22 Mio. EUR Umsatz, UK mit 18.9 Mio. EUR und Frankreich mit 51.8 Mio. EUR beträgt der Arzneimittelanteil am Umsatz dagegen jeweils nur rund 10%. Deutlich höhere Anteile werden nur in der Schweiz mit 44% bei einem Gesamtumsatz von 41 Mio. EUR sowie in Brasilien mit 76%, Chile mit 46% und Argentinien mit 58%, darüber hinaus in Neuseeland mit 48% verzeichnet. In allen anderen Märkten liegt der Naturkosmetikanteil bei 100%, mit den Ausnahmen Australien mit 3% Arzneimittelanteil, USA mit 2% und Schweden mit 1%. Die drei grössten lateinamerikanischen Märkte und Neuseeland kommen zusammen auf rund 22 Mio. EUR Umsatzbeitrag.
Das Südamerikageschäft
Die relative Stärke beim Arzneimittelumsatz insbesondere in Südamerika ist weniger auf gezielte Expansion zurückzuführen, sondern hat historische Gründe. Die Anthroposophische Gesellschaft war 1935 in Deutschland vom Regime verboten worden, was zur Emigration der Ärzte führte. Diese konnten in den südamerikanischen und sonstigen Einwanderungsländern mit hohen Anteilen deutschsprachiger Gemeinden weiter praktizieren, die Lehre verbreiten und auch prosperieren. Allerdings war das Südamerikageschäft für Weleda immer wieder mit Krisen wie Militärputsche und -diktaturen sowie Wirtschaftskrisen wie aktuell in Argentinien konfrontiert. In den Ländern der EU praktizieren heute jedoch nicht mehr als 4000 anthroposophische Ärzte und in weiten Teilen der bearbeiteten Märkte gar keine.
Unausgeschöpfte Potenziale
Trotz der guten, historisch gewachsenen Ausgangsposition und der bestehenden Distributionskanäle ist schwer erkennbar, wie der Wachstumspfad der anthroposophischen Medizin aussehen kann und wie die Potenziale entwickelt werden können. Die Potenziale bestehen. So bekennt CEO Müller, dass das Weleda-Medikament Bryophillum bei ihr einen besseren Schlaf bewirkt. Mindestens 20% der Weltbevölkerung hat Schlafprobleme, und es ist bekannt, dass pflanzliche wie chemische Wirkstoffe höchst unterschiedlich bei den einzelnen Individuen wirken, oder auch nicht. Die globalen Umsätze mit Schlafmitteln lagen 2023 bei 21.5 Mrd. USD, wovon 71,3% auf verschreibungspflichtige Medikamente entfallen, davon immer noch ein grosser Teil auf Benzodiazepine. Das erwartete jährliche Wachstum liegt bei nahe 7%. Selbst ein sehr geringer Marktanteil entspricht gleich Millionenumsätzen. Und das ist nur ein Beispiel. Die einzige Frage ist, wie der «zugängliche» Markt adressiert und erschlossen werden kann. Ohne die Lobby-Arbeit der Pharma-Industrie!
Chancen und Risiken
Auch wenn man keine Wunder erwarten sollte, aber bei dieser Transformation ist schon Genie, aussergewöhnliche Schaffenskraft sowie ein tiefes Verständnis für Markenidentität und deren gelenkte Veränderung in einem Zeitalter der Paradigmenwechsel erforderlich, soll sie zu den gewünschten Ergebnissen führen, etwa die anthroposophischen Arzneimittel «einem sehr viel breiteren Publikum zu erschliessen», wie es im Geschäftsbericht heisst. Eine wesentliche und kritische Rolle dürfte dabei spielen, dass das Unternehmen Weleda durch die Eigentümerstruktur in einem Interessenskonflikt zu den Zielen und der Wahrnehmung der durchaus kontroversen Anthroposophie steht. Der Konflikt erscheint nüchtern betrachtet schwer auflösbar, zumal die Stimm-Mehrheiten unverändert bleiben.
Was Umwelt und Soziales anbelangt, ist die zertifizierte B-Corp Weleda zweifellos der Marktführer in der zertifizierten Naturkosmetik, doch mit Blick auf die Governance ist ebenso zweifellos sehr viel Raum für zeitgemässe Anpassungen, wie bei der unverändert fortbestehenden Vinkulierung der Namenaktien und der asymmetrischen Stimmrechtskontrolle durch die antiquierte Kapitalstruktur. Insofern besteht die Gefahr, dass die anthroposophische Medizin, die für 20% des Geschäftsvolumens steht, die 80% der Kräfte bindet, die in der Entwicklung der Naturkosmetik mehr Mehrwert schaffen würden.
Faktoren des Wachstums in der Naturkosmetik
In der Naturkosmetik sind die Wachstumspfade dagegen leichter erfassbar. Digitalisierung ist ein offensichtlicher Wachstumstreiber. Branchenüblich sind heutzutage bis zu 40% Umsatzanteil der E-Commerce Kanäle, bei Weleda sind es weniger als 10%. Der Web-Shop hat tatsächlich erst im Dezember 2023 respektive Februar 2024 geöffnet. Bisher entfallen auf die Hauptmärkte Deutschland, Schweiz, Österreich und Frankreich noch zwei Drittel der Umsätze. In der Internationalisierung wurden zwar bereits beträchtliche Erfolge erzielt, doch das Potenzial ist praktisch unbegrenzt. In der Ukraine stieg der Umsatz trotz Krieg um 95,8% auf 1.7 Mio. EUR, im fernen Kasachstan erreichte er 5.5 Mio. EUR, und in Schweden kletterte er um 20,6% auf 7.5 Mio. EUR. Auch in den Volumenmärkten UK, USA, Australien und Neuseeland wurden Wachstumsraten zwischen 6,9% und 42,8% verzeichnet. Rückläufig war das Geschäft dagegen in Russland und Fernost. Mit weiteren Innovationen sowie einer Premiumisierung soll die Differenzierung zu den zahlreichen Wettbewerbern vorangetrieben werden. Ein Schwerpunkt ist die Gesichtspflege – ein weiterer Teilmarkt mit Multi-Milliarden-Umsätzen. Produkte von namhaften Herstellern wie La Roche-Posay, Louis Widmer oder Cetaphil tragen in Apotheken und Drogerien Preisschilder von 30 CHF oder auch 50 CHF. Premium-Produkte von Weleda könnten daher durchaus Marktanteilsgewinne verzeichnen und so zu einer deutlich höheren Profitabilität beitragen. Die von Müller souverän vertretene Aussage: «Wir sind das Original seit 100 Jahren!» zeigt die Richtung der weiteren Unternehmensentwicklung. Für 2025 kündigt sich eine wichtige neue Lancierung an, vermutlich im Parfum-Segment.
Fazit
Weleda hat die Post-Covid-Krise relativ schnell gemeistert und für das Krisenjahr 2023 am Ende einen Jahresabschluss präsentiert, der erkennen lässt, dass das Unternehmen nun wieder seinen Kurs gefunden hat. Die neue Kapitänin versteht sich auf Navigation und hat die Segel richtig gesetzt. Die Strategie ist plausibel, die Ziele sind ambitioniert, aber durchaus realistisch. Das gilt vorrangig für das Naturkosmetikgeschäft, das zwar wettbewerbsintensiv ist, in dem Weleda jedoch Trümpfe und Joker im Ärmel hat, die darauf gewartet haben, von einem oder einer CEO mit strategischer Klarsicht ins Spiel gebracht zu werden.
Die Schaffung einer eigenen Geschäftseinheit für die Arzneimittelsparte ist konsequent und richtig. Die doppelte Aufgabe, innert drei Jahren in die Gewinnzone zu kommen und die anthroposophische Medizin aus der Nische zu holen ist monumental, kann jedoch durchaus bewältigt werden. Grosse Aufgaben, die gemeistert werden, führen auch zu grossen Managern, die die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft inspirieren können.
Zur Grösse gehört aber auch ein Blick fürs Wesentliche, der ja bei Weleda geschärft werden soll. Beim Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2023 sticht ins Auge, dass Marketingbotschaften, Farbgebungen, Bilder und die Corporate Identity insgesamt gereift und authentisch in der Darstellung geworden sind, was Glaubwürdigkeit verleiht. Dennoch fällt auch auf, dass die relevanten Finanzinformationen in immer kleinerer Schriftgrösse und zum grossen Teil sehr weit hinten erscheinen, was gerade im Kontext der sonstigen Bestandteile einen Mangel an angemessener Priorisierung erkennen lässt. Im Subtext bringt es auch zum Ausdruck, dass es wohl immer so bleiben wird und die externen Kapitalgeber nicht viel mehr als Zaungäste sind, die eben nicht mit den anderen Stakeholdern auf einer Ebene angesiedelt sind. Die so zum Ausdruck kommende strukturelle, zum Teil historisch begründete Ungleichstellung der Stakeholder kann und sollte ausgeräumt werden, um das Unternehmen von jeglichem nicht marktwirtschaftlichen Ballast für die weitere Entwicklung zu befreien und so die Expansionspotenziale auszuschöpfen, oder eben nicht. In dem Fall kann auch der beste Manager nicht wirklich viel bewegen.
Der Weleda PS wird auf OTC-X gehandelt. Der letztbezahlte Kurs beträgt 4000 CHF. Bei einem Gewinnanteil von 345.65 je PS errechnet sich ein KGV um die 12.