Seit dem IPO im September 2018 an der SIX hat sich die Aktie der SIG Group, vormals SIG Combibloc, für ihre Aktionäre trotz des Seitwärtstrends in der jüngeren Vergangenheit positiv entwickelt. Der Umsatz stieg auch durch Übernahmen um mehr als 50% auf 3.2 Mrd. Euro 2023. Die Dividende erhöhte sich durch jährliche Anhebungen von 0.35 CHF auf 0.48 CHF. Über die Marktverwerfungen der letzten Jahre und wie die SIG Group den Auswirkungen durch Expansion und Innovation begegnet sowie Besonderheiten bei aseptischen Verpackungen, über Recycling- und Abfall-Konzepte und Nachhaltigkeitsziele sprach schweizeraktien.net mit CEO Samuel Sigrist. Er erfüllt seine Aufgabe als CEO mit Elan und Engagement, setzt ambitionierte Ziele und bekräftigt die Aussage, die EBITDA-Marge auf 27% anzuheben und die Dividende weiterhin jährlich zu erhöhen.
Herr Sigrist, seit unserem Interview im März 2021 hat sich das Umfeld für die Wirtschaft unerwartet gravierend geändert. Wie gehen Sie als CEO eines global expandierenden Unternehmens mit den geopolitischen Unsicherheiten und Verwerfungen der Devisen- und Rohstoffmärkte sowie der Lieferketten um?
Natürlich sind auch wir von diesen Verwerfungen herausgefordert. Wir sind aber in einer guten Position, da wir über ein robustes Geschäftsmodell verfügen. Viele der Produkte, die mit unseren Systemlösungen verpackt werden, gehören zu den Grundnahrungsmitteln, also beispielsweise Milch. Ihr Konsum ist auch in schwierigen Zeiten relativ stabil. Auch verfügen wir über ein sehr breites Produktportfolio. Wir verkaufen kleine handliche Verpackungen für den Konsum unterwegs, grössere Verpackungen für den Konsum zu Hause oder liefern Systemlösungen für den Foodservice-Bereich, insbesondere für Schnellrestaurants. Was die Lieferketten angeht, haben wir diese in den letzten Jahren stark regionalisiert. Wir haben Kapazitäten in Asien aufgebaut und zuletzt auch in Mexiko für den nordamerikanischen Markt. Dadurch sind die Lieferketten auch weniger anfällig.
Das Zahlenwerk des ersten Quartals zeigt ja einige Auswirkungen wie Lieferverzögerungen durch die Konfliktlage im Roten Meer und Wechselkurseffekte. Im ersten Quartal 2024 ging der Umsatz daher nominal um 1% zurück. Für das Gesamtjahr wollen Sie dennoch ein Wachstum von mindestens 4% erzielen. Was sind die Auftriebskräfte?
Beim ersten Quartal ist noch zu berücksichtigen, dass wegen des sehr guten Vorjahresquartals die Latte hoch lag. Zuversichtlich stimmt uns die gute Entwicklung bei den Kartonpackungen, sowohl bei den aseptischen für haltbare Getränke und Lebensmittel als auch bei jenen für gekühlte Produkte. Da sich in für uns bedeutenden Märkten die Konsumentenstimmung verbessert hat, erwarten wir, dass sich das Volumenwachstum im Laufe des Jahres beschleunigen wird.
In den Jahren 2022 und 2023 ist SIG nicht zuletzt durch Akquisitionen mit zweistelligen Zuwachsraten kräftig auf 3.2 Mrd. Euro Jahresumsatz gewachsen. Was können Sie zu Integration und Synergien sagen?
Die Integration der neuen Geschäftsbereiche Kartonpackungen für gekühlte Produkte, Bag-in-Box und Standbeutel mit Verschluss ist gut verlaufen. Wir treten jetzt überall einheitlich als SIG auf. Die regionalen Organisationen wurden integriert, nur die Verkaufsteams haben wir getrennt belassen, weil es im Verkauf vertiefte technische Kenntnisse der einzelnen Produktgruppen braucht. Wir haben auch in allen Regionen und Konstellationen schon Cross-Selling-Erfolge erzielt: Bisherige Kartonkunden nutzen Bag-in-Box oder Standbeutel mit Verschluss und umgekehrt. Das funktioniert auf allen Kontinenten. Dieses breite Angebot macht uns auch für die Kunden noch relevanter.
Sehen Sie noch weitere Akquisitionsziele? Was können Sie zu den aktuellen globalen Marktanteilen sagen?
Für uns hat jetzt Priorität, das organische Wachstumspotenzial auszuschöpfen. Da sehen wir noch viele Möglichkeiten, auch in für uns eher neuen Märkten wie Indien. Da wir mit unserem Produktportfolio in verschiedenen Produktkategorien tätig sind, ist es schwierig, einen globalen Marktanteil für unser Geschäft zu nennen. Wir sind aber zuversichtlich, unseren Marktanteil überall, wo wir tätig sind, weiter steigern zu können, wie wir das in den letzten Jahren kontinuierlich getan haben.
Für uns hat jetzt Priorität, das organische Wachstumspotenzial auszuschöpfen
Die Zukäufe haben SIG deutlich nach vorne gebracht, die andere Seite ist die zuletzt wieder auf 2.9 gestiegene Leverage Ratio. Was ist Ihr mittelfristiges Ziel für die Bilanzrelationen?
Wie angekündigt gehen wir davon aus, dass wir bis Ende Jahr bei einer Leverage Ratio von etwa 2.5 sein werden. Mittelfristig wollen wir uns gegen 2.0 bewegen. Diesbezüglich sind wir im Fahrplan, und mit unserem Geschäftsmodell generieren wir auch den dafür notwendigen Cashflow.
Sie haben mit zwei substanziellen Schuldschein-Platzierungen 1.1 Mrd. Euro erlöst, um so die Verbindlichkeiten mit Fälligkeit in 2025 zu diversifizieren. Obwohl Ihr CFO von einem «kompetitiven Pricing» spricht, dürften doch die Refinanzierungskosten gestiegen sein, oder?
Aufgrund des veränderten Zinsumfelds sind die Finanzierungskosten insgesamt schon vor dieser Platzierung gestiegen. Mit den beiden erfolgreichen Schuldschein-Emissionen haben wir das Fälligkeitsprofil unserer Verbindlichkeiten verbessert und die Investorenbasis verbreitert. Die gute Aufnahme am Markt unterstreicht auch das Vertrauen der Investoren in unser Geschäftsmodell. Mit den Konditionen sind wir sehr zufrieden.
Was sagen Ihre Investoren dazu? Es fällt auf, dass der Aktienkurs seit dem Hoch bei 28 CHF im September 2021 eine Abwärtstendenz aufweist, obwohl die Gewinn- und Dividendenentwicklung ja positiv verläuft.
In den letzten drei Jahren waren die Finanzmärkte von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die ausserhalb unseres Einflussbereichs liegen. Deshalb macht es für uns auch wenig Sinn, den Aktienkurs managen zu wollen. Wir konzentrieren uns darauf, unsere Strategie konsequent umzusetzen und unsere Wachstums- und Profitabilitätsziele zu erreichen. Und da sind wir auf gutem Weg.
Für das Geschäftsjahr 2023 wurde die Dividende, wie jedes Jahr seit dem IPO 2018, erhöht auf nun 0.48 CHF je Aktie. Wer nach dem Börsengang für 10 CHF die Aktie gekauft hat, kann sich nun über eine Dividendenrendite von 4,8% freuen. Bleibt es bei Ihrer Aussage, die Ausschüttung jährlich weiter zu erhöhen?
Ja, das ist unser Ziel.
Die adjustierte EBITDA-Marge liegt konstant komfortabel bei über 25%, hat sich jedoch zuletzt um einige Prozentpunkte vermindert. Was ist Ihre Zielzone für die kommenden Jahre? Vor drei Jahren hatten Sie 29% als Zielgrösse genannt.
Das durch die Akquisitionen dazugekommene Geschäft hat unsere Marge etwas reduziert, wobei wir immer noch eine attraktive Profitabilität ausweisen können. Mittelfristig soll die bereinigte EBITDA-Marge bei über 27% zu liegen kommen. Wir sind zuversichtlich, dass wir das schaffen werden und in allen Geschäftsbereichen die Marge steigern können.
Vor drei Jahren lag der Kunststoffanteil bei Ihren aseptischen Getränkeverpackungen bei 21%, SIG hatte als erster Anbieter ganz auf Aluminium verzichten können. Wie stellt sich die Situation heute dar, und sind inzwischen abbaubare natürliche Ersatzstoffe, etwa aus der Harz- und Lackforschung, in Sicht?
Unser Fokus liegt darauf, von den fossilen Kunststoffen wegzukommen und erneuerbare oder recycelte Polymere zu verwenden. Für beides haben wir bereits Lösungen in unserem Portfolio. Wir bieten sowohl erneuerbare, forstbasierte als auch recycelte Polymere für alle unsere aseptischen Kartonpackungen an. Und wir bieten damit die weltweit erste aseptische Vollbarriere-Kartonpackung ohne Aluminiumschicht an, die zu 100% in Verbindung zu forstbasierten, erneuerbaren Rohstoffen steht.
Sie hatten in unserem Interview damals gesagt, dass Organisationen wie EXTR:ACT für Europa und GRACE auf globaler Ebene Sammlung und Recycling von Getränkekartons vorantreiben, «um dazu beizutragen, die Verschmutzung von Land und Gewässern mit Plastikabfall zu bekämpfen.» Wie sieht Ihre kritische Zwischenbilanz heute aus? Unzweifelhaft wachsen die Müll- und Plastikberge trotz der Industrie-Initiativen ungebrochen weiter. Wie könnte aus ihrer Sicht eine Lösung aussehen?
Es braucht vor allem zwei Dinge: Infrastruktur und Innovation. Wir als Industrie müssen weiter innovativ sein. Wir müssen die Struktur unseres Verpackungsmaterials vereinfachen, CO2-intensive Materialien wie Aluminium und fossile Polymere vermeiden und den Papieranteil des Getränkekartons erhöhen. Dies würde das Recycling von Getränkekartons noch einfacher machen, und man könnte sie in Märkten, in denen es keine Recycling-Infrastruktur für Getränkekartons gibt oder diese schwer aufzubauen ist, direkt in den Papier-Recycling-Strom bringen. SIG hat sich deshalb zum ambitionierten Ziel verpflichtet, bis 2030 ein aseptisches Kartonverpackungsmaterial mit mindestens 90% Papieranteil, den Verschluss eingerechnet, anzubieten.
Wir forschen nach neuen oder alternativen Materialien für unsere Verpackungslösungen
Daneben muss unsere Branche die Sammel- und Recycling-Infrastruktur für Getränkekartons weiter aufbauen und optimieren helfen und dazu mit den Gesetzgebern in allen Märkten zusammenarbeiten. Das Ziel ist die Einführung eines Gebührensystems im Rahmen einer erweiterten Herstellerverantwortung, das sich an der Recyclingfähigkeit orientiert, um den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Der weitaus überwiegende Teil der Verpackungen bei SIG ist bereits vollständig recyclingfähig, und die Technologie für das Recycling ist vorhanden, aber die Abfallsysteme unterscheiden sich weltweit.
Sie fördern auch einen Lehrstuhl an der EPFL in Lausanne zur Erforschung nachhaltiger Materialien. Geben Sie bitte unseren Lesern einen Überblick zu neuen Erkenntnissen.
Wir forschen nach neuen oder alternativen Materialien für unsere Verpackungslösungen, die vor allem drei Designprinzipien folgen, um den CO2-Fussabdruck zu reduzieren und das Recycling zu erleichtern: keine Aluminiumfolie, weniger Kunststoff, höherer Papieranteil. Mit der EPFL untersuchen wir insbesondere Materialien aus erneuerbaren Ressourcen wie Zellulose, um fossile Kunststoffe zu ersetzen. Diese Studien und Forschungsarbeiten werden im Rahmen von Master-, Doktor- oder PostDoc-Arbeiten durchgeführt, deren Erkenntnisse in unsere Forschung und Entwicklung einfliessen.
Was sind die wesentlichen Wachstumstreiber in Ihrer Industrie bis 2030?
Die Makrotrends sind für uns die gleichen geblieben. Die Weltbevölkerung nimmt zu und das durchschnittliche verfügbare Einkommen ebenfalls. Damit steigt auch die Nachfrage nach unseren Verpackungslösungen, die Lebensmittel sicher und auch ohne Kühlung lange haltbar machen. Hinzu kommt das steigende Umweltbewusstsein, das unsere ökologisch vorteilhaften Kartonpackungen aus vorwiegend nachwachsenden Rohstoffen begünstigt.
Und welche Risiken behalten sie besonders scharf in den Augen?
Scharf im Auge haben wir vor allem die Bedürfnisse unserer Kunden und die Entwicklung in den Endmärkten. Wir wollen hier mit unseren Innovationen der Konkurrenz weiterhin einen Schritt voraus sein. Wenn Sie die Risiken ansprechen, sind diese derzeit vor allem geopolitischer Art, mit möglichen Auswirkungen auf die Lieferketten, wie wir das auch im ersten Quartal erlebt haben. Wir verfolgen die Entwicklungen sehr genau, sind aber durch die Regionalisierung in den letzten Jahren, mit den neuen Werken in China, in Mexiko und bald auch in Indien, sehr viel robuster geworden.
Verraten Sie uns zum Ende des Interviews noch, wo Sie mit SIG in fünf Jahren stehen wollen?
Wir werden in den kommenden Jahren die Innovationen und das Wachstum weiter vorantreiben. Ich bin sicher, wir werden in fünf Jahren immer noch Freude daran haben, was wir tun und unsere Kunden mit unseren Lösungen begeistern. Vor allem aber wollen wir Verpackungslösungen bieten, die für die Welt netto positiv sind, das heisst, den Menschen und dem Planeten mehr geben, als sie in Anspruch nehmen. Dieses Ziel bereits in fünf Jahren zu erreichen, wäre fantastisch. Dank unserer Innovationen kommen wir diesem Ziel jedes Jahr einen Schritt näher.
Besten Dank, Herr Sigrist, für die erhellenden Einblicke.