Daniel Antille, SSE Group: «Die Profitabilität hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt»

Innovative Produkte, Fokussierung und aktive Konsolidierung als Erfolgsrezept

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Daniel Antille ist seit über 30 Jahren für die SSE Group tätig. Er führt das Unternehmen als Delegierter des Verwaltungsrates. Bild: schweizeraktien.net/Boris Baldinger

Zwischen 2009 und 2022 bewegte sich die Aktie der auf OTC-X gehandelten SSE Holding AG entlang der 3000-CHF-Marke seitwärts. Seit Anfang letzten Jahres befindet sich die Aktie nun in einem steiler werdenden Aufwärtstrend. Im ersten Semester 2024 beläuft sich die Performance bereits auf 21%! schweizeraktien.net fragte beim Verwaltungsratsdelegierten Daniel Antille nach, um die Treiber von Wachstum und Gewinn – eigentlich das Erfolgsrezept – für die Leser besser erfassbar zu machen. Was bringt die neue Organisationsstruktur? Wie stehen die Chancen für die Markteinführung des revolutionären Sprengstoffs Hypex Bio? Was ist von der Nachhaltigkeitsinitiative «Resonance» zu erwarten, und wie verläuft die weitere Konsolidierung des zivilen Sprengstoffmarktes in Europa?

Chart SSE
Kursverlauf des Titels von SSE in den letzten 12 Monaten. Chart: otc-x.ch

Herr Antille, die Früchte der langfristig verfolgten Strategie sind in den vergangenen Geschäftsjahren grösser und süsser geworden. Der Gewinn je Aktie stieg von 75 CHF in 2019 kontinuierlich auf nun 216 CHF! Einen nicht unwesentlichen Anteil am Erfolg hatte 2023 jedoch der um über 15 Mio. CHF rückläufige Materialaufwand. Womit rechnen Sie bei den Rohstoff- und Materialpreisen dieses Jahr und danach?

Zwischen 2020 und 2022 erlebten die Rohstoffe, speziell für die Herstellung unserer Sprengstoffe, eine extreme Volatilität, da sie an die Energiepreise gebunden waren. Die Preise für den wichtigsten Rohstoff, Ammoniumnitrat, sind an den Gaspreis gekoppelt. Für das Jahr 2024 gehen wir davon aus, dass die Preise weitgehend stabil bleiben und nur wenig schwanken werden. Das ist besser für uns und unsere Kunden.

Der Umsatzanteil von Valsynthese nahm durch das starke Wachstum bei Bovaer von 10% auf 15% zu. Das heisst aber auch, dass das Sprengstoffgeschäft bei fast unverändertem Gesamtumsatz schwächer ausgefallen ist. Was können Sie den Aktionären und Lesern zur divergierenden Entwicklung der zwei Segmente sagen?

Nein, es gab keinen Rückgang unserer Aktivitäten im Sprengstoffsektor. Der Umsatzrückgang ist lediglich eine Folge der niedrigeren Rohstoff- und Energiepreise. Das Volumen der Sprengstoffverkäufe ist leicht gestiegen, ebenso wie unsere Gewinnspannen.

Im Gegensatz dazu wuchs unser Chemiegeschäft stärker. Aber man muss auch wissen, dass diese Sparte einen komparativen Vorteil hat, da die Basis für 2022 niedriger war. Insgesamt war die SSE-Gruppe 2023 sehr zufrieden mit dem Anstieg der Margen in unseren beiden Geschäftsbereichen.

Valsynthese entwickelt sich zur Erfolgsgeschichte. Sie haben das Unternehmen mit einer Investition von 12 Mio. CHF zu einem leistungsfähigen und innovativen CDMO (Contract Development and Manufacturing Organization) entwickelt, was in der Kooperation mit DSM-Firmenich eine erste Validierung fand. Jetzt kündigten Sie an, dass ab September 2024 mit Hydrierungsprozessen neue Geschäftsmöglichkeiten entstehen sollen. Könnten Sie das bitte kurz erläutern?

Valsynthese entwickelt sich tatsächlich zu einer beeindruckenden Erfolgsgeschichte. Wir haben 12 Mio. CHF investiert, um das Unternehmen zu einem leistungsfähigen und innovativen CDMO zu formen und uns noch vermehrt in der Entwicklung und Herstellung von höherwertigen Zwischenprodukten und Wirkstoffen zu positionieren. Diese Investition hat sich bereits ausgezahlt, wie die Kooperation mit DSM-Firmenich zeigt. Ab September 2024 werden wir in der Lage sein, Hydrierungsprozesse anzubieten. Hydrierung ist eine chemische Reaktion, bei der Wasserstoff an andere Moleküle gebunden wird, was in der Pharma- und Chemieindustrie häufig verwendet wird, um Verbindungen herzustellen oder zu modifizieren. Hydrierungen sind in der Feinchemie sehr oft der nächste Veredelungsschritt nach Nitrierungen, ebenfalls eine unserer Kernkompetenzen. Mit dieser Fähigkeit eröffnen sich uns neue Geschäftsmöglichkeiten, da wir nun ein breiteres Spektrum an Dienstleistungen anbieten können, was uns von der Konkurrenz abhebt und unseren Kunden zusätzliche Mehrwerte bietet.

ValsynthEse entwickelt sich zu einer beeindruckenden Erfolgsgeschichte

Im vergangenen Jahr gaben Sie eine Kooperation mit dem belgischen Unternehmen Chemium bekannt. Dabei geht es um die MgFlow-Technologie für die Grignard-Chemie. Bitte erläutern Sie den Nicht-Chemikern unter uns, worin die Besonderheit und das Geschäftspotenzial bestehen?

Unsere Kooperation mit dem belgischen Unternehmen Chemium und die Einführung der MgFlow-Technologie für die Grignard-Chemie sind besonders spannend. Für Nicht-Chemiker: Grignard-Reaktionen sind eine grundlegende, sehr versatile Methode in der organischen Chemie, um Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen zu bilden, was für die Synthese vieler wichtiger Verbindungen unerlässlich ist. Die MgFlow-Technologie optimiert diesen Prozess, indem sie ihn sicherer, effizienter und umweltfreundlicher gestaltet. Das Potenzial dieser Technologie ist erheblich, da sie es uns ermöglicht, komplexe chemische Synthesen mit höherer Präzision und niedrigeren Kosten durchzuführen, was sowohl für uns als auch für unsere Kunden in der Pharma- und Feinchemieindustrie von grossem Vorteil ist.

Bei Valsynthese wird deutlich erkennbar, wie gut Ihre Strategie des Wandels vom reinen Produzenten zum integrierten Dienstleister unter den veränderten Marktbedingungen funktioniert. Auch in der Sprengstoffsparte wird der Wandel vorangetrieben. Im Geschäftsbericht schreiben Sie, dass mittlerweile über 50% der Umsätze auf Dienstleistungen für Abbauunternehmen entfallen. Würden Sie das etwas präzisieren?

Unsere Strategie, SSE vom reinen Produzenten zum integrierten Dienstleister zu wandeln, zeigt nicht nur in der Feinchemiesparte Valsynthese bemerkenswerte Erfolge, sondern auch in unserem Geschäft mit zivilen Sprengstoffen, besonders unter den sich verändernden Marktbedingungen: In unserer Sprengstoffsparte haben wir unseren Fokus ebenfalls konsequent auf diese Strategie erweitert. Über 50% unserer Umsätze in diesem Bereich stammen inzwischen aus Dienstleistungen für Abbauunternehmen. Das bedeutet, dass wir nicht nur Sprengstoffe liefern, sondern auch umfassende Dienstleistungen anbieten, wie etwa die Planung und Durchführung von Sprengarbeiten, Sprengbohrungen sowie Sicherheitsberatung und Optimierung der Abbauprozesse. Diese Dienstleistungen ermöglichen es unseren Kunden, ihre Effizienz und Sicherheit zu erhöhen, während wir uns als wertvoller Partner in ihrer Wertschöpfungskette etablieren und unsere Wertsteigerung optimieren können.

Die SSE Group verfolgt seit langem die Konsolidierung des zivilen europäischen Sprengstoffmarktes mit beachtlichen Erfolgen in den deutschsprachigen Ländern, Skandinavien und Osteuropa. Wenden Sie sich nun den wirklich bevölkerungsreichen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien zu?

Wir sind davon überzeugt, dass sich die Sprengstoffindustrie in Europa weiter konzentrieren wird. Im Laufe der Jahre wurden die meisten unserer Konkurrenten entweder von einem Weltmarktführer oder von Private Equity aufgekauft. Es gibt einen Wettlauf um Zusammenschlüsse. SSE ist derzeit in seinen Kernmärkten gut positioniert. Heute sind wir offen für Wachstumsmöglichkeiten in Europa. Wir sind agil, aber wir gehen nur, wenn wir gefragt werden, und das passiert ein oder zwei Mal pro Jahr. Wir schauen uns die Unterlagen an, prüfen, ob es einen kulturellen Fit gibt und wir glauben, dass die Übernahme innerhalb von zwei Jahren profitabel sein wird. In den westeuropäischen Märkten, die Sie erwähnen, sind die Akteure grosse Konzerne. Wenn es ein Unternehmen oder einen Markt zu verkaufen gibt, werden wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, aber wir werden niemals in einen Markt gehen, wenn wir nicht gefragt werden.

In den vergangenen Jahren wurden mehrere Akquisitionen und auch Investitionen in Sachanlagen durch eine Reihe von Kapitalerhöhungen finanziert. Werden Sie bei weiterem Kapitalbedarf ähnlich verfahren oder Kapital über sonstige Kanäle beschaffen?

Wir befinden uns in CAPEX-intensiven Branchen. Wir sind auch bestrebt, dass alle unsere Anlagen und Anschaffungen mit Eigenkapital finanziert werden. Unser Vorstand und unsere Ankeraktionäre teilen dieses Prinzip der Vorsicht. Ja, es ist wahrscheinlich, dass wir in Zukunft Kapitalerhöhungen durchführen werden. Die nächsten Kapitalerhöhungen werden jedoch zu einem deutlich höheren Preis durchgeführt als diejenige von 2022, bei der der Ausgabepreis 3’050 CHF betragen hat. Der nächste Ausgabepreis wird voraussichtlich um die 5’000 CHF betragen. Die Profitabilität hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt.

Heute sind wir offen für Wachstumsmöglichkeiten in Europa

Mit dem schwedischen Unternehmen Hytech ist SSE in einer exklusiven Partnerschaft zur Kommerzialisierung des innovativen und nahezu emissionsfreien Sprengstoffs Hypex Bio. Bis Ende 2024 wollen Sie erste Tests in der Praxis durchführen. Wie könnte der weitere Zeitplan aussehen, und welches Umsatzpotenzial sehen Sie auf längere Sicht?

Tatsächlich ist Hypex ein Produkt, dessen Auswirkungen auf die Umwelt stark reduziert werden. Bis Ende des Jahres möchten wir die ersten Tests in der Schweiz durchführen, sowohl in Tunneln als auch in Steinbrüchen. Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie erfolgreich der Markt sein wird. Wir sind jedoch sehr stolz darauf, dass wir an diesem innovativen Projekt beteiligt sind und die Exklusivrechte in den meisten europäischen Ländern erhalten haben.

Die Umstrukturierung zur Beteiligungsgesellschaft ohne operatives Geschäft ist formal mit der Gründung der Eurex Holding und der Zuteilung der Aktiva an die beiden Tochtergesellschaften abgeschlossen. Daneben gibt es mit SSE Finance und SuonInvest zwei Finanzgesellschaften. Was genau ist deren Aufgabe?

Wir wollten unsere Gruppe lediglich flexibler machen, indem wir alle im Sprengstoffbereich tätigen Beteiligungen in einer eigenen Holding «Eurex Holding SA» zusammenfassten. Wir bereiten die Gruppe auf die Zukunft vor, mit der Unterscheidung nach Geschäftsbereichen. Valsynthese ist das Pendant für den Bereich Chemie.

In Gamsen trennten wir auch das Anlagevermögen zwischen SSE SA für den Sprengstoffbereich und Valsynthese für die Chemieanlagen. Bis zum 31. Dezember waren alle Grundstücke, Gebäude und Anlagen in Gamsen unter SSE zusammengefasst. Schliesslich haben wir SSE Finance und SuonInvest SA zusammengelegt, die de facto unsere Finanzgesellschaft ist, um zukünftige Entwicklungen zu ermöglichen. Es gab keinen Grund mehr, zwei identische Unternehmen zu haben.

Unter anderem soll das Rückversicherungsgeschäft für die operativen Töchter besorgt werden. Können sie die Logik erläutern? Bleibt hier nicht das Risiko im eigenen Haus?

In der Praxis haben wir beschlossen, die Selbstbeteiligung bei Sachversicherungen zu erhöhen. Unsere finanziellen Möglichkeiten sind derzeit ausreichend, um dieses 1. Risiko abzudecken. Unsere Tochtergesellschaft SSE Finance SA übernimmt diese Rolle für einen Betrag von 5 Mio. CHF. Der Rest wird durch Direktverträge mit Versicherungsgesellschaften versichert.

Das Fremdkapital hat sich um 4.8 Mio. CHF auf 10 Mio. CHF erhöht, die Eigenkapitalquote bewegt sich unter 50%. Welche Bilanzrelation peilen Sie mittelfristig an?

Wir streben weiterhin ein Eigenkapital zwischen 45% und 60% an. Wie bereits erläutert, muss unser Eigenkapital das gesamte Anlagevermögen abdecken. Der leichte Rückgang des Eigenkapitals im Jahr 2023 hängt mit der 100%igen Integration von CB Destrukce zusammen.

Wir streben weiterhin ein Eigenkapital zwischen 45% und 60% an

Das Wertschriften-Portfolio wurde um drei Viertel reduziert und soll ganz eliminiert werden. Was ist der Hintergrund zu dieser Entscheidung?

In den nächsten Jahren werden unsere Investitionen hoch sein, und auch die industrielle Rentabilität hat sich stark verbessert. Wir haben daher beschlossen, dass dieses Geschäft nicht mehr benötigt wird.

Sie haben mit «Resonance» eine grosse Initiative gestartet, die zeigen soll, dass Nachhaltigkeit und Rentabilität Hand in Hand gehen. Was können Sie dazu sagen?

Wir sind davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit und Initiativen in diese Richtung sowohl von unseren Kunden als auch von unseren Mitarbeitenden angestrebt werden. Wir glauben fest an das Resonance-Programm und daran, dass die Investitionen, die wir tätigen, uns von der Konkurrenz abheben werden.

Die News zu innovativen und nachhaltigen Produkten und Projekten prägen das Bild von SSE in der Öffentlichkeit zunehmend. Wann berichten Sie ausführlich über die ESG-Ziele des Unternehmens, die Massnahmen und Fortschritte in einem Integrated Reporting?

Wir haben das Projekt gerade erst gestartet und werden im Laufe der Zeit einen Bericht auch über ESG-Themen veröffentlichen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wann wir den vollständigen Bericht veröffentlichen werden, aber wir werden regelmässig über dieses Thema berichten, da es sich um eine Initiative handelt, die sich über einen längeren Zeitraum entwickeln wird.

Geben Sie doch bitte unseren Lesern noch einen Ausblick zu dem, was sie von SSE bis 2030 erwarten können?

Mit der neuen strukturellen Organisation hat die SSE-Gruppe alle Trümpfe in der Hand, um die Gruppe bis zum Jahr 2030 weiterzuentwickeln. Die Entwicklungsachse der SSE-Gruppe besteht darin, weiterhin in unsere beiden Geschäftsbereiche zu investieren und wahrscheinlich Industriepartner zu finden, um unser Wachstum zu steigern. Das bedeutet, dass die SSE Holding die Mehrheiten an Eurex Holding oder Valsynthese behalten wird.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die SSE-Gruppe, wenn sich die Gelegenheit ergibt, in einen dritten Geschäftsbereich investieren wird. Wir sind davon überzeugt, dass die SSE-Gruppe auch im Jahr 2030 noch ein führender, unabhängiger Industriekonzern sein wird, dessen DNA auf langfristige Entwicklung ausgerichtet ist und der weiterhin die Steigerung des Unternehmenswerts fördert. Wir haben bereits das 150-jährige Jubiläum im Jahr 2044 im Blick.

Vielen Dank, Herr Antille, für die offenen und informativen Antworten.

Die SSE Group war Teilnehmer am Branchentalk Industrie 2024. Sie finden die Präsentation der Gruppe hier.

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