Seit Anfang 2023 hat die Künstliche Intelligenz (KI) das Börsengeschehen wesentlich bestimmt. Nvidia schoss in 18 Monaten von 15 USD auf 140 USD und erreichte eine Market Cap von 3.3 Billionen USD! Inzwischen kehrt Ernüchterung im Tech-Sektor ein. Dafür werden lange vernachlässigte Marktsegmente wiederentdeckt – wie die oft günstig bewerteten Small- und Mid-Caps. An der US-Börse stieg der Russell 2000 Index seit Anfang Juli in der Spitze um über 10%. Der Ausbruch nach oben bringt trotz der nachfolgenden Korrektur auch Impulse für die europäischen Märkte.
Ein Trend ist ein Trend ist ein Trend – bis er gebrochen wird. Selten zuvor konzentrierte sich die Euphorie der Investoren bei einer technologischen Innovation so sehr auf einen Titel. Nach und nach wurden zwar auch andere KI-Aktien gekürt, von denen manche auch deutlich anstiegen, doch Nvidia ist das Aushängeschild und in Zahlen gefasst auch der mit Abstand grösste Profiteur der Entwicklung. Der Burggraben im investitionsintensiven Halbleitergeschäft zu Wettbewerbern ist tief – und alle fortgeschrittenen KI-Anwendungen brauchen die Nvidia-Chips. Im Geschäftsjahr zum Ende Januar 2024 lag der Umsatzzuwachs bei 125,9% auf 60.9 Mrd. USD, der Nettogewinn stieg explosionsartig von 4.4 Mrd. USD auf 29.8 Mrd. USD. Auch für das laufende Geschäftsjahr zeichnet sich nach der ersten Hälfte eine nochmalig deutliche Gewinnsteigerung um die 80% ab. Doch danach flachen sich die Wachstumsraten schon aufgrund der erhöhten Basis zwangsläufig ab. Und der Wettbewerb schläft nicht. Wenn auch die Erwartungen an die KI-Revolution mit Blick auf die Börse in den letzten Wochen durch die empfindlichen Korrekturen bei Microsoft, Amazon & Co kräftig gedämpft wurden, der Bedarf an Halbleitern wird sich dadurch kaum abschwächen.
KI und Halbleiter im geopolitischen Spannungsfeld
Der Halbleitermarkt bleibt elektrisiert, doch nicht alle Segmente können davon profitieren. Die USA, die EU und auch China, Taiwan, Südkorea und Japan subventionieren den Sektor mit immer neuen Programmen, um so im Wettlauf die Nase vorne zu halten oder sie weiter nach vorne zu bringen. Die politischen Konflikte werden zunehmend auch in Wirtschaftskriegen ausgetragen. Abschottungs- und Ansiedlungsstrategien sollen die jeweilige Stellung verbessern. Auch Exportverbote sind inzwischen Standard. China kontrolliert weitgehend kritische Mineralien wie Gallium und Siliziummetall, die für die Halbleiterindustrie unverzichtbar sind, und hat Exportkontrollen installiert, die sich auch auf die Verarbeitungstechnologien erstrecken. Die niederländische ASML und die japanische Tokyo Elektron dürfen zwar weiterhin die USA mit ihren fortgeschrittenen Maschinen zur Herstellung von Chips beliefern, nicht aber China.
VAT – Aufstieg und Fall und Wiederaufstieg?
Von dem starken Momentum in der Halbleiterindustrie profitieren nicht nur die Hersteller von fortgeschrittenen Chips wie TMSC und die Chip-Designer wie Nvidia, sondern auch die Unternehmen, die für die Herstellung die nötigen Maschinen und Technologien liefern. Dazu zählt auch die Schweizer VAT, Weltmarktführer in der Vakuumtechnologie. Die Aktie konnte von dem KI-Hype profitieren und kletterte seit Oktober 2022 von 200 CHF auf 528 CHF am 16. Juli des laufenden Jahres. Seitdem stürzte die Aktie in Resonanz zur Trendwende bei Nvidia auf aktuell 391.30 CHF. Damit sind die gesamten Gewinne des Jahres 2024 verloren gegangen. Die Handelsvolumina haben sich seit der Trendwende verdoppelt bis vervierfacht. Das erklärt die ungewöhnlich scharfe Korrekturbewegung, allein am 2. August fiel die Aktie um 11,8%! Es macht aber auch klar, dass es sich um eine hektische Welle von Gewinnmitnahmen handelt und nicht um eine Krise des Unternehmens. Im ersten Halbjahr 2024 nahm das Auftragsvolumen um 74% zu. Der Umsatz veränderte sich zwar wenig, der Reingewinn erhöhte sich jedoch um 12% auf 84 Mio. CHF. Die EBITDA-Marge weitete sich auf 30,1% aus. Die Investitionen in neue Fertigungskapazitäten stiegen um 27,8% auf 40 Mio. CHF. Für das Gesamtjahr erwartet das Unternehmen Steigerungen der Key Performance Indicators, und auch darüber hinaus. Die KI kurbelt die Nachfrage nachhaltig an, vor allem aus China. Die KGV-Bewertung der Aktie hat sich durch den Kursrutsch von 75 auf 55 verbessert, bleibt aber ambitioniert. Wie weit die Tech-Korrektur noch geht, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall bleibt die VAT-Aktie aufgrund der Industrie-Dynamik langfristig vielversprechend. Möglich ist an der Börse zwar alles, aber im Fall VAT ist es sehr wahrscheinlich, dass der langfristige Aufwärtstrend wieder aufgenommen wird, die Frage ist nur, von welchem Zwischentief aus? Es dürfte sich lohnen, Zeit in die Marktbeobachtung zu investieren, um einen günstigen Einstiegszeitpunkt zu finden.
Ypsomed – Einstiegschance auf ermässigtem Kursniveau
Weniger ausgeprägt verlief die Korrektur bei Ypsomed, einem weiteren Überflieger am Schweizer Aktienmarkt. Seit April 2023 stieg der Kurs von 200 CHF bis auf 432 CHF Mitte Juli. Der Spezialist für Autoinjektoren profitierte von der Hausse bei Eli Lilly und Novo Nordisk, die mit ihren innovativen Therapien für Diabetes und Adipositas einen Börsen-Hype um Abnehmspritzen auslösten. Neben den Tech-orientierten Magnificent Seven war dies neben der KI der zweite Boom, der die Börse in den letzten zwei Jahren bestimmte. Das Geschäft bei Ypsomed läuft prächtig. Die weiteren Perspektiven sind hervorragend. Erklärter Wille von CEO Simon Michel ist es, aus Ypsomed bis Ende der Dekade eine 10 Mrd. USD Company zu machen. Auf der aktuellen Kursbasis von 387 CHF beträgt die Marktkapitalisierung lediglich 5.3 Mrd. CHF. Der Kurs liegt aktuell nur 10% unter dem Hoch und könnte in der laufenden Korrektur auch noch tiefer gehen. Der Unterschied zu anderen Valoren ist, dass die Aktie bereits 2006 über 200 CHF stand, dann sehr lange darunter lag und erst 2017 wieder kurzzeitig die 200-CHF-Marke nahm, um diese erst 2023 nachhaltig und kraftvoll nach oben zu durchstossen. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung von 20 Jahren beginnen erst jetzt richtig zu rentieren. Das Pumpengeschäft wurde verkauft. Ypsomed konzentriert sich auf die margenstarken Autoinjektoren und beliefert 28 der 30 Top-Pharma-Konzerne. Das Investitionsniveau bleibt hoch. Das Unternehmen ist Teil eines Oligopols in einem Marktsegment, das nicht zuletzt durch neue injizierbare Therapien starken Aufwind erfährt. Insofern ist die Korrektur eine Einstiegschance bei einem Marktführer, dessen Geschäftsdynamik kaum zu bremsen sein dürfte.
Zehnder – bereit für den Turnaround?
Eher ein Turnaround im klassischen Sinn könnte Zehnder sein. Es ist kein Geheimnis, dass die Neubauaktivität stark rückläufig ist und auch die Bereitschaft zur Renovierung gedämpft ist. Die Inflation, die konjunkturelle Schwäche und die noch erhöhten Finanzierungskosten lasten schon seit längerem auf dem Spezialisten für Heizung, Kühlung und Belüftung. Dennoch hat die Aktie seit Dezember 2023 einen moderaten Aufwärtstrend etabliert. Der aktuelle Kurs von 51.90 CHF liegt weit unter den Hochs von September 2021, als 107 CHF erreicht wurden. Ein Blick auf den Langfristchart macht deutlich, was der Aktie neues Leben einhauchen kann. Bis Dezember 2020 hatte sich die Aktie jahrelang seitwärts bewegt und dann erstmals die 50-CHF-Marke überschritten. Die Hausse damals war vom Renovierungsboom im Rahmen des «Home-Nesting» in der zweiten Phase der Pandemie-Ära getragen worden. Es fällt auch mit dem Tiefpunkt der Nullzins-Phase zusammen. Die Fantasie Mitte des Jahres 2024 entsteht einerseits aus dem tiefen und bisher ungebremsten Fall der Bau- und Renovierungsaktivitäten in für Zehnder wichtigen Märkten wie Deutschland und China, und andererseits aus den anstehenden Zinssenkungen durch Fed, EZB und weiteren Notenbanken. Konkretisieren sich die erwarteten Zinssenkungsschritte, könnte sich der Investitionsstau im Bau- und Renovierungssektor schneller als erwartet ins Gegenteil verkehren. Mit einer Market Cap von nur 480 Mio. CHF ist Zehnder ein Small Cap. Umso beachtlicher ist die Tatsache, dass zahlreiche namhafte institutionelle Investoren wie Vanguard, ZKB, Schroder und Norges Bank zu den Aktionären zählen. Die Positionen könnten bei einer Trendwende am Baumarkt durchaus erhöht werden, was dem Kurs auf die Sprünge helfen würde.
Bucher – eine Perle fürs Depot
Bei Bucher ist das Aktionariat ähnlich von institutionellen Investoren wie Vanguard, Norges Bank, ZKB und Vontobel geprägt. Und ähnlich wie bei Zehnder hat die Geschäftsdynamik durch die Konjunkturschwäche zuletzt nachgelassen. Im ersten Halbjahr 2024 blieb die Nettogewinnmarge mit 8,4% gegenüber 10,3% in der Vorjahresperiode jedoch auf gutem Niveau. Umsatz, Auftragseingang und Auftragsbestand waren rückläufig. Die Eigenkapitalquote wurde auf 61,9% gesteigert. Wie bei Zehnder ist der Ausblick bei Bucher verhalten, aber nicht pessimistisch. Positive Impulse könnten von wieder steigenden Preisen bei Agrar-Rohstoffen ausgehen, da sich die Landwirtschaft mit neuen Orders zurückgehalten hat. Gut läuft es im Geschäft mit Kommunalmaschinen, wo auch die Margen zulegten. Das ist eine Folge der in den Vorjahren eingeleiteten Massnahmen zur Effizienzsteigerung. Das ist auch das Ziel ähnlicher Massnahmen in den anderen Geschäftseinheiten. Für das Gesamtjahr zeichnet sich ab, dass sowohl Umsatz wie Gewinn unter dem Vorjahr liegen werden. Zu berücksichtigen ist, dass die Vergleichsbasis des starken Jahres 2023 hoch ist. Doch was an der Börse zählt, sind die Perspektiven, nicht der Blick in den Rückspiegel. Der langfristige Chart von Bucher zeigt einen ungebrochenen nach oben gerichteten Trendkanal. Der aktuelle Kurs von 340.50 CHF liegt nahe dem unteren Ende des Trendkanals und mehr als 30% unter dem Hoch von 500 CHF, das zwischen April und Juli 2021 verzeichnet worden war.
Fazit
Während Bucher und Zehnder von den angekündigten Zinssenkungen und der davon stimulierten besseren Konjunktur profitieren werden, bieten VAT und Ypsomed auf dem ermässigten Kursniveau gute Chancen auf Gewinne in zwei Boombranchen, weshalb auch ihre Bewertungen trotz Korrektur höher sind. Sollte sich die Volatilität fortsetzen, können bei den vier Turnaround-Aktien durchaus noch tiefere Kurse möglich sein. Es könnte sich lohnen, auf der Lauer zu liegen, denn im Börsengeschäft liegt der Gewinn nun mal im günstigen Einstieg. Langfristig dürften bei den ausgewählten Qualitätstiteln die Chancen überwiegen.