Macro Perspective: Eskalation und Börse – Unwägbarkeiten nehmen zu

Asymmetrische Kriegsführung auf dem Börsenparkett

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Die Staatsverschuldung der USA beläuft sich laut usdebtclock.org auf 35.1 Billionen USD und steigt in rasendem Tempo weiter – um 6.6 Mrd. USD pro Tag! Bild: usdebtclock.org

«Risiko erwächst daraus, nicht zu wissen, was du tust.» Warren Buffett, 1930, Investor und Philanthrop

Wer an der Börse aktiv ist, sucht Anlagechancen, doch Risiken auszublenden, hat noch nie zu guten Ergebnissen geführt. Und die Risiken steigen, selbst in Bereichen, die angesichts der zunehmend mühsamen Party-Stimmung an den Märkten kaum im Blickfeld sind. Klare Warnsignale sind der Höhenflug bei Gold und die rekordhohe Liquidität von Buffett.

In den USA wird es Steuergeschenke geben, egal, ob nun Kamala Harris oder Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Das führt zu höheren Haushaltsdefiziten und einer weiter eskalierenden Staatsverschuldung. Die beläuft sich laut usdebtclock.org auf 35.1 Billionen USD und steigt in rasendem Tempo weiter – um 6.6 Mrd. USD pro Tag! Das letzte Jahr, in dem die USA einen Haushaltsüberschuss verzeichneten, war 2001. Das Problem wird offensichtlich, wie in anderen Ländern, einfach verdrängt. Das sogenannte Debt-Ceiling ist seit Juni 2023 ausgesetzt, die Staatsverschuldung in Prozent des BIP beträgt 132%. Das ist zwar weniger als in Japan, aber deutlich mehr als in den vergangenen Jahrzehnten oder bei anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften.

Allein im Jahr 2020 stieg die Staatsverschuldung um mehr als 4 Billionen USD. Die Abbildung zeigt die Schuldenobergrenze und die gesamte ausstehende Staatsverschuldung in nominalen Dollar von April 1993 – Juli 2024. Grafik: usafacts.org

Mehr Zinsaufwand als Verteidigungsbudget in den USA

Die Brisanz erwächst u.a. daraus, dass der Zinsaufwand inzwischen höher ist als die Verteidigungsausgaben. Auf Rüstung dürften 2024 rund 1 Billion USD entfallen. Das ist mehr, als die nachfolgenden 15 Länder zusammen an Militärausgaben aufweisen. Das zeigt auch das Gewicht der USA in der globalen Sicherheitsarchitektur. Traditionell decken die USA als grösster Emittent von Staatsanleihen ihren Kapitalbedarf zu einem erheblichen Anteil im Ausland. Aktuell werden 22,9% der ausstehenden US Government Bonds von Investoren ausserhalb der USA gehalten. Wenig im langjährigen Vergleich, aber eben mit einer veränderten Struktur der Anleihehalter. Auf Japan entfallen 1.1 Billionen USD, auf China 749 Mrd. USD. Die Top 5-Länder halten zusammen 3.3 Billionen USD.

Ausländische Schulden der USA nach den fünf grössten Holdingländern, 2004, 2014, 2024; Stand April 2024. Grafik: usafacts.org

Beschleunigter Abbau von US-Bonds durch China

Der Anteil Chinas lag vor 10 Jahren mit 1.3 Billionen USD noch höher, wurde jedoch sukzessive reduziert. Seit Anfang 2024 ist der zuvor geordnete Abbau jedoch in einen beschleunigten Abverkauf übergegangen. Laut US-Finanzministerium verkauften Fonds aus China in den ersten fünf Monaten des Jahres US-Wertpapiere im Volumen von 79.7 Mrd. USD, wovon 42.6 Mrd. USD allein auf den Monat Mai entfielen. Mehr als die Hälfte des Volumens betrifft Staatsanleihen, der Rest Schuldpapiere halbstaatlicher Emittenten sowie Aktien.

US-Bondmarkt im Fokus

Auch wenn die Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihen seit dem zweiten Quartal von 4,6% auf unter 4% gesunken sind, der Zeitpunkt ist absehbar, an dem die Renditen wieder steigen werden. Die derzeit begründet scheinenden Annahmen zur weiteren Inflationsentwicklung könnten sich als falsch erweisen, weil Rohstoffe, Materialien, Energie, Transport und Löhne unter den veränderten Marktbedingungen schneller und stärker eskalieren können. Die Wahlen in den USA werden, wie sie auch ausgehen mögen, zu Steuergeschenken führen, was die Haushaltslage und die Staatsverschuldung weiter verschlechtern wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der traditionell risikoaverse Bondmarkt deutlich höhere Realzinsen als Risikoausgleich fordern wird. Ein technischer Marktfaktor ist, dass die Fed ihre aufgeblähte Bilanz kontinuierlich reduziert. Dies geschieht, indem fällig werdende Staatsanleihen im Portfolio nicht ersetzt werden. Der Nettoeffekt ist die fehlende Nachfrage der Fed und auch anderer Notenbanken im QT-Modus bei Neuemissionen.

Asymmetrie am US-Bondmarkt?

Wenn sich dann ein «perfekter Sturm» aus unverantwortlicher US-Haushaltspolitik, Rohstoff- und Lohninflation, eskalierender Aufrüstungskosten und weiter verschärfter militärischer Konflikte zusammenbraut und die zuletzt starke Tendenz am Bondmarkt dreht, könnten weitere ungeordnete Verkäufe von US-Staatstiteln durch chinesische Fonds einen überproportionalen Effekt entfalten. Noch immer belaufen sich die Bestände von US-Staatsanleihen in chinesischen Fonds inklusive der Nationalbank auf über 700 Mrd. USD. Der Ton zwischen den beiden Super-Powers im Streit um Zölle und Handelsbarrieren hat sich deutlich verschärft. Ein Grund mehr für die Volksrepublik, ihre Muskeln auch auf dem für die amerikanische Wirtschaft entscheidenden Börsenparkett spielen zu lassen.

Beschränkte europäische Verteidigungskapazitäten

Timing und Relevanz erwachsen aus den sich zuspitzenden militärischen Konflikten im Ukraine-Krieg und im Nahen Osten, allen Friedensbemühungen zum Trotz. Die europäischen NATO-Mitglieder haben es zwar mehrheitlich inzwischen geschafft, ihre Verteidigungsbudgets auf mindestens 2% des BIP zu erhöhen, doch das wird nicht reichen. Durch das Weiterreichen von militärischem Material an die Ukraine ist die eigene Verteidigungskapazität stark eingeschränkt. Es macht in einer akuten Kriegssituation wenig Sinn, wenn die entsprechenden Budgets um einige Mrd. Euro aufgestockt werden und sonstige Pläne erst in fünf oder acht Jahren realisiert sein sollen. Die Europäer verlassen sich unverändert auf den Schutzschirm der USA. Doch der wäre im Fall der Wahl Trumps zumindest fragwürdig. In jedem Fall würde die Unsicherheit unter einem Präsidenten Trump zunehmen.

Amerikanische Wähler wollen keine fernen Kriege finanzieren

In den USA war der Grossteil der Bevölkerung noch nie für ferne Kriege zu begeistern. Sowohl im ersten wie im zweiten Weltkrieg traten die USA erst spät auf der Seite der Alliierten in den Krieg ein. Trotz der Propaganda waren auch weder der Korea-Krieg in den 1950er Jahren, noch danach der Vietnam-Krieg populär. Die Unterstützung der Ukraine und Israels fordert einen immer höheren Tribut – von den amerikanischen Steuerzahlern. Der Unterschied zu den früheren Kriegen besteht darin, dass die US-Staatsverschuldung zu Beginn der Konflikte nie in besorgniserregender Höhe lag, und deshalb viel Spielraum für die Aufrüstung gegeben war, diesmal aber schon.

Die USA verzeichneten im Jahr 2023 eine Staatsverschuldung in Höhe von 122,3% des BIP des Landes. Die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP betrug in den USA von 1940 bis 2023 durchschnittlich 65,7% des BIP und erreichte im Jahr 2020 mit 126,3% des BIP ein Allzeithoch und ein Rekordtief von 31,8% des BIP im Jahr 1981. Grafik: tradingeconomics.com

Der kritische Moment

Ein potenzieller Abverkauf der Bond-Bestände Chinas in einem kritischen Moment könnte als hybride Kriegsführung die Fähigkeit und auch den Konsens zur Aufrüstung und Kriegsführung der Amerikaner an der empfindlichsten Stelle treffen. Und während die Welt mit dem ausufernden Krieg zwischen Russland und der Ukraine sowie einer zu erwartenden Eskalation im Nahen Osten beschäftigt ist, könnte die Annexion Taiwans relativ geräuschlos vonstattengehen. Der Aufschrei im Westen wäre trotz dem gelegentlichen Säbelgerassel vielleicht ähnlich kleinlaut wie im Fall der kalten Annexion von Hongkong inmitten der Pandemie. Timing ist eben auch in der militärischen Strategie von entscheidender Bedeutung. Das scheinen die Chinesen besser als andere Grossmächte zu verstehen und auch zu nutzen.

Wirtschaftskrise bringt China unter Handlungsdruck

Die Volksrepublik steht im Inneren unter einem zunehmenden Druck und braucht Erfolge, die auch aussenpolitischer Natur sein können, um die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung in nationale Begeisterung umzuwandeln. Eine Annexion Taiwans kann das leisten, denn die Erwartung der Heimholung der abtrünnigen Provinz in die Volksrepublik wird stetig propagandistisch genährt und muss deshalb auch erfüllt werden. Die Wachstumsrate hat sich in den letzten Jahren halbiert, die Immobilienkrise schwelt seit Jahren, und bislang ist auch kein Ende in Sicht. Das trifft die Bevölkerung ganz direkt, denn die Preise ihrer Immobilien sind in den Keller gerauscht, bereits anbezahlte Projekte werden nicht fertiggestellt, Rückzahlungen sind selten und in unbefriedigender Höhe. Dazu kommt eine nun rapide wachsende Arbeitslosigkeit, vor allem bei Berufseinsteigern. Laut dem staatlichen chinesischen Statistikamt waren 17,1% der 16- bis 24-Jährigen im Juli ohne Arbeit. Im Juni hatte die Quote noch bei 13,2% gelegen. Die Zahlen sind zwar mit Vorsicht zu geniessen, denn die Statistikbehörde hat die Methodik in den letzten Jahren mehrmals geändert, dennoch ist das Problem gravierend, was schon darin Ausdruck findet, dass Xi Jinping die Besserung der Arbeitsperspektiven für die Jugend zu einer Priorität erhoben hat.

Krieg zur Ankurbelung des Wachstums

Historisch gesehen sind ruinierte Staatsfinanzen, Inflation, Arbeitslosigkeit und Depression immer gute Gründe für die Machthabenden, um von ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik abzulenken und die «nationale» Karte zu spielen. Die Wachstumsprognosen des IWF befinden sich seit Jahren sowohl für die Industrie- als auch die Entwicklungsländer auf Sinkflug. Wird die Unzufriedenheit oder das Elend zu gross, wie in der «Grossen Depression» der 1930er Jahre, droht der Machtverlust, was durch Propaganda, Feindbilder und letztlich Krieg vermieden wird. In Russland zeigt sich das Muster deutlich: Mit Repression, Patriotismus und imperialer Propaganda wurde die Bevölkerung auf Linie gebracht, die nun dank der heiss laufenden Rüstungsmaschinerie wirtschaftlich bessergestellt ist. Lösung der innenpolitischen Probleme durch Initiierung eines «vaterländischen Krieges» gegen die abtrünnige ehemalige Bruderrepublik Ukraine und ihre Unterstützer im Westen. Es funktioniert, und daher könnte auch China von den eigenen Problemen im Inneren durch kriegerische Aktivitäten ablenken. Je grösser die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, desto höher die Wahrscheinlichkeit. Und wie in den 1930er Jahren sind es die Minoritäten, die als Opfer herhalten müssen. Diese werden sogar gegeneinander ausgespielt, um Nebel über den tatsächlichen Gründen der Malaise zu verbreiten. Die Rolle der sogenannten «sozialen Netzwerke» ist dabei ebenso anti-sozial wie auch die mangelnde Aktivität von Kontrollkräften wie Medien, Staatsanwaltschaften und Justiz.

Die Entwicklung des Goldpreises seit Anfang Jahr in USD. Grafik: finanzen.ch

Gold und Buffett als Warnsignale

In einem solchen von Unsicherheiten überschatteten Umfeld steigt der Preis für Gold ungebremst. Allein seit Anfang Jahr kletterte der Preis um 32%. Gold ist ein «Real Asset» und nicht beliebig vervielfältigbar, sondern limitiert. Es ist und bleibt das ultimative Medium zur Erhaltung der Kaufkraft. Gold ist aber auch kulturell und emotional besetzt. Diese Verbindung ist in China, Indien und vielen Wirtschaftsräumen ungebrochen, doch in den entwickelten Ländern, so lautet das mantraartig wiederholte Narrativ, wird es vielfach als «barbarisches Relikt» oder unproduktives Asset eingestuft. Warren Buffet, der am 30. August seinen 94. Geburtstag feiert, verkaufte mehr als die Hälfte der Aktien seiner Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway. Er hält jetzt 277 Mrd. USD an Liquidität, was 30% der Market Cap entspricht. Die Aktie stieg allein seit 1984 von 1300 USD auf aktuell 667’000 USD, was ein Rekordhoch darstellt. Zwar finden sich inzwischen tagtäglich unzählige Artikel zur reichlich überstrapazierten «Investorenlegende» Buffett, ohne jedoch die Investment Strategie zu verstehen. Denn auch hier steht die aussergewöhnliche Performance im Gegensatz zum Narrativ, dass gutes Timing unmöglich ist. Und so stehen die eingeflüsterten «eigenen» Annahmen der Erreichung ambitionierter Ziele im Weg.

Dazu passt auch Buffetts Spruch: «Der Unterschied zwischen erfolgreichen Leuten und sehr erfolgreichen Leuten ist, dass die sehr erfolgreichen zu fast allem Nein sagen.»

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