Alle zwei Jahre veröffentlicht Swiss Medtech, der Verband der Schweizer Medtech-Industrie, seine Studie zur Entwicklung der volkswirtschaftlich bedeutenden Branche. Der Stand der Dinge ist ermutigend – auch für Investoren. Schon seit drei Jahren befinden sich die Leit-Aktien Straumann und Sonova in einer andauernden Korrektur-Phase. Könnte diese schon bald durch einen neuen Aufwärtstrend umgekehrt werden?
Zwischen 2021 und 2023 stieg der Umsatz der Schweizer Medtech-Branche von 20.8 Mrd. CHF auf 23.4 Mrd. CHF. Das entspricht einem jährlichen Zuwachs um 6%. Die rund 1400 in der Schweiz domizilierten Medtech-Unternehmen beschäftigen laut der Studie von Swiss Medtech fast 72’000 Mitarbeitende. Das ist mehr als ein Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Mehr als die Hälfte des Branchenumsatzes entfällt auf die Top-70-Unternehmen, während 95% der Unternehmen weniger als 250 Mitarbeitende beschäftigen. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Medizintechnik wird an deren Beitrag zum Handelsbilanzüberschuss erkennbar, der mit 5.8 Mrd. CHF bemerkenswerte 11,9% zur positiven Handelsbilanz des Landes beisteuert. Und beachtliche 12% des Umsatzes werden in Forschung & Entwicklung investiert, ein Spitzenwert im Vergleich zu allen anderen Branchen.
Wachstumsbremse Medizinprodukteregulierung
Die EU-Länder sind sowohl die wichtigste Exportdestination als auch der wichtigste Markt für Importe. Die USA sind allerdings mittlerweile zum grössten einzelnen Handelspartner avanciert, für Exporte wie auch für Importe. Nicht erfasst in den Export- und Importzahlen ist die Produktion Schweizer Medtech-Unternehmen ausserhalb des Heimatmarktes . Zunehmend liegt der Fokus der Expansion auf Asien, Nord- und Südamerika. Die europäische Medizinprodukteregulierung erweist sich als Wachstumsbremse, da die Zulassungsverfahren langwierig und bürokratisch überfrachtet sind, was extrem kostentreibend ist und daher für Wettbewerbsnachteile sorgt.
Inflation drückt Margen
Wie Swiss Medtech ermittelt hat, haben 80% der Medtech-Unternehmen zusätzliches Personal einstellen müssen, um den Anforderungen der EU-Regularien gerecht zu werden. Das Produktportfolio wurde bei der Hälfte der Branchenvertreter um 20% reduziert. Die Entwicklungskosten erhöhten sich branchenweit um 28%, die Produktkosten um 13% und die Produktpreise um 8%. Diese scharfe Kostenschere schneidet zwangsläufig tief in die Margen. Das dürfte auch einer der Gründe für die Kontraktion der Gewinne in den letzten Jahren sein und somit die jahrelange Baisse der Aktien mitverursacht haben. Dazugetreten ist in den letzten Jahren verstärkt die allgemeine Inflation, ausgehend von den höheren Preisen für Rohstoffe, Transport, Energie und Logistik.
Schweizer Gesetzgebung soll geändert werden
Die europäische Medizinprodukteregulierung verzögert die Marktzulassung zum Teil um mehrere Jahre, was dazu führt, dass der Schweizer Bevölkerung erst verspätet innovative und manchmal lebensrettende neue medizintechnische Produkte zur Verfügung stehen. Daher strebt die Branche an, dass neue Medizinprodukte, die von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zugelassen wurden, auch in der Schweiz an den Markt kommen können. Bereits mehr als 20% der Schweizer Unternehmen beantragen die Erstzulassung in den USA. Das Schweizer Parlament hat deshalb schon 2022 den Bundesrat beauftragt, die von der FDA zugelassenen Medizinprodukte auch in der Schweiz zuzulassen. Der Vorteil ist, dass die FDA schneller als die europäische Zulassungsbehörde arbeitet. Dadurch würden die Patienten in der Schweiz besser versorgt werden und die Industrie im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen geraten. Weiterhin würde die Attraktivität des Medizintechnik-Standorts Schweiz europa- und weltweit nochmals gesteigert werden.
Digitalisierung und KI als Impulsgeber
Kennzeichnend für die Schweizer Medtech-Industrie ist die Stärke in der Gestaltung effizienter Prozesse. Daher werden die Chancen der Digitalisierung entschlossen genutzt und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz forciert. Dies wiederum verlangt hohe Investitionen in IT und Datensicherheit. Bei den börsenkotierten Unternehmen zeichnet die Kursentwicklung recht unterschiedlich ab, wie die einzelnen Unternehmen mit den Herausforderungen des Marktes zurechtkommen respektive im besten Fall frühzeitig Anpassungen vorgenommen haben.
Pioniergewinne für Ypsomed
Ypsomed hat die Veränderungen des Marktes und der Regulierung früh erkannt und diese zu einem guten Teil antizipiert. Von entscheidender Bedeutung für die positive Entwicklung ist die strategische Entscheidung zur vollständigen Fokussierung auf Delivery Systems, also das boomende Geschäft mit den Autoinjektoren. Seit Anfang Jahr liegt die Aktie mit 41% im Plus und in den letzten 12 Monaten mit 60%. Dazu hat ohne Zweifel auch die Ausnahmeentwicklung im Bereich der injizierbaren Therapien – Stichwort Novo Nordisk und Eli Lilly – wesentlich beigetragen, doch ohne die richtigen Weichenstellungen in den Vorjahren wäre die starke Geschäftsentwicklung kaum in diesem Ausmass möglich gewesen. Das ist auch der Grund, warum Ypsomed auf schweizeraktien.net der Top-Pick in der Industrie während der letzten Jahre war.
Der Boom der «Injectibles»
Im Geschäftsjahr 2023/2024 kletterte der um eine Devestition bereinigte Umsatz um 24,5% auf 548.5 Mio. CHF! Die EBIT-Marge stieg um mehr als das Doppelte auf 15,7%, und der Jahresgewinn erhöhte sich um 52,8% auf 78.4 Mio. CHF, was einer Nettogewinnmarge von 14,3% entspricht. Der Ausblick bleibt positiv. Die selbsentwickelte Ypso-Pump wurde zur Zulassung bei der FDA eingereicht. Bis 2025 sollen zwei Unternehmenseinheiten geschaffen werden, die sich ganz auf das B2C- respektive das B2B-Geschäft fokussieren. Wachstumsimpulse schaffen auch neue Indikationsgebiete für die Autoinjektoren wie Migräne, Multiple Sklerose, Onkologie, Dermatitis und Psoriasis. Für das Geschäftsjahr 2024/2025 wird ein Wachstum von 25% und ein EBIT von 140 Mio. CHF erwartet. Das war Grund genug, um die Ypsomed-Aktie Anfang August nach Ausverkauf an den Börsen auf die Liste der Turnaround-Kandidaten zu setzen. Der Kurs stieg seitdem von 380 CHF auf 420 CHF. Der seit September 2022 etablierte Aufwärtstrend ist intakt.
SKAN – Weltmarktführer bei Isolatoren
Ein weiterer Titel, der sich dem Abwärtssog in der Branche entziehen konnte, ist SKAN. Die Aktie des Spezialisten für Isolatoren zur keimfreien Abfüllung von injizierbaren Therapien hat sich zwar auf 12 Monatssicht wie auch seit Anfang Jahr per saldo kaum bewegt, doch durch die hervorragende Geschäftsentwicklung ist SKAN gut in die seit dem IPO über dem Branchendurchschnitt liegende Bewertung hineingewachsen. Aufgrund der weiterhin starken Perspektiven ist die Aktie reif für einen Ausbruch nach oben.
Trendwende bei Straumann lässt auf sich warten
Anders ist das Bild bei den langjährigen Favoriten Straumann und auch Sonova. Die Höchststände verzeichneten beide Marktführer nach der langen Hausse während der intensiven Covid-Periode Ende 2021. Danach folgt der Absturz, wenn auch im letzten Jahr mit Ansätzen einer nachhaltigen Erholung. Bereits 2022 war die Folgerung aus dem Kursgeschehen, dass ohne die Leitaktien Straumann, Lonza und Bachem keine dauerhafte Trendwende des Sektors erfolgen kann. Straumann fiel im Sptember 2022 auf unter 90 CHF und kratzte seitdem zweimal an der 150-CHF-Marke. Doch die Hürde wurde bisher nicht genommen, da es immer wieder zu kräftigen Rückschlägen kommt. Während in der Covid-Ära praktisch alle Banken Kaufempfehlungen aussprachen, selbst auf aberwitzig hohem Kursniveau, sind es heute hauptsächlich Halte-Empfehlungen, teilweise, wie bei UBS, sogar Sell-Einschätzungen. Tatsache ist, dass die Bewertung auch auf dem gedrückten Kursniveau nicht gerade attraktiv ist. Das KGV 2024 liegt bei ca. 38. Der Geschäftsverlauf ist weiterhin positiv. Im ersten Halbjahr kletterte der Umsatz in CHF um 11,3%, organisch jedoch um 16,1%. Die Margen waren allerdings unter leichtem Druck, was nicht zuletzt auf die Frankenstärke zurückzuführen ist. Besonders gut lief es in den wichtigen Volumenmärkten USA und China. Durch Einführung von Innovationen wie dem kabellosen Intraoral-Scanner, dem Verkauf von 80% an der Zahnschienentochter DrSmile und neuen Initiativen zur Schulung von Zahnmedizinern zu digitalen Prozessen in der Behandlung ist der Fokus geschärft worden. Der adressierbare Markt hat ein Volumen von 19 Mrd. CHF, wovon 2.6 Mrd. CHF im laufenden Jahr auf Straumann entfallen werden. Die Kern-EBIT-Marge bleibt mit 27,3% stark, wenngleich sie etwas tiefer als in der Vorjahresperiode ausfällt. Im Management wurden verschiedene Änderungen bekannt gegeben. U.a. wird Matthias Schupp, bisher Head Latinamerica, ab Oktober neuer CEO von Medartis. Trotz guter Geschäftsentwicklung ist die Medartis-Aktie auf andauerndem Sinkflug. Sollte der Kurs der Straumann-Aktie die Hürde bei 150 CHF nachhaltig überwinden, eröffnen sich neue Kurspotenziale, die zunächst durch das historische Hoch bei 210 CHF begrenzt werden.
Sonova scheint Tritt zu fassen
Bei Sonova ist der langfristige Aufwärtstrend ungebrochen. Ähnlich wie bei Straumann scheint es jedoch viel Zeit zu erfordern, bis die Korrektur nach der Übertreibungsphase abgeschlossen ist. Nach dem Doppelhoch von Ende 2021 und Mai 2022 halbierte sich der Kurs innerhalb weniger Monate. Noch im Oktober 2023 pendelte der Kurs knapp über 200 CHF, konnte sich jedoch im laufenden Jahr deutlich befestigen. Dazu trugen innovative Produkte bei wie ein Hörgerät, das mit Hilfe von KI Umgebungsgeräusche vermindern kann, sodass die Hörqualität deutlich verbessert wird. Im Geschäftsjahr 2023/2024 per 30. März war der Umsatz um 3% rückläufig. Für das laufende Geschäftsjahr wird von den Analysten ein Zuwachs im hohen einstelligen Prozentbereich prognostiziert. Der Wettbewerb ist hart. Für längerfristige Impulse sorgt die zunehmende Überalterung der Gesellschaft, denn Hördefizite treten vor allem bei Senioren auf. Es bleibt abzuwarten, ob die neuen teureren Produkte für eine nachhaltige Nachfragebelebung sorgen werden.
Auch bei den weiteren Leitaktien des Healthcare-Segments (ohne Pharma) liegen die historischen Höchststände deutlich über den aktuellen Kursen. Sowohl Lonza wie auch Bachem scheinen noch mehr Zeit zu benötigen, um in die hohen Bewertungen hineinzuwachsen. Deutlich zulegen konnte dagegen PolyPeptide, allerdings nach einem regelrechten Absturz um 90% von 140 CHF auf 14 CHF.
Fazit
Die Medizintechnik und ihre Zulieferer bilden einen wichtigen und wachstumsstarken Sektor, dessen Perspektiven sich durch Innovationen weiter verbessern. Allerdings läuft die Entwicklung nicht gleichmässig, sondern differenziert ab. Die Schweizer Weltmarktführer und langjährigen Zugpferde an der Börse, Straumann und Sonova, bleiben auf ihrem Wachstumskurs, sind allerdings davon betroffen, dass die Nachfrage nach hochpreisigen Produkten und Dienstleistungen unter der Inflation leiden. Die Patienten wählen daher oft preiswerte Lösungen oder schieben ihre Entscheidungen auf. Sowohl bei Zahnersatz wie auf bei Hörgeräten werden in den meisten Ländern nur preiswerte Lösungen von den Kostenträgern übernommen, in manchen Ländern ohne umfassendes Versicherungssystem sind die Kosten sogar vollständig von den Patienten zu tragen.
Ein anderes Bild zeigt sich bei chronischen und tödlichen Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Adipositas oder Herzkrankheiten. Bei diesen Indikationen entstehen hohe Kosten für die Gesundheitssysteme, die durch neue Diagnostikverfahren und effektive Therapien auf längere Sicht wesentlich vermindert werden. In diese Kategorie fallen unter den börsenkotierten Schweizer Aktien Ypsomed und SKAN. Ansonsten spielt die Musik hauptsächlich in den USA. Die Aktien von Stryker und Intuitive Surgical beispielsweise haben ihre alten Höchststände längst hinter sich gelassen und steigen fast vertikal. Eine globale Investment-Lösung bieten die spezialisierten Medtech-Fonds von Bellevue Asset Management.