Die Börsen haussieren, und der Optimismus der Investoren hat durch die Zinssenkungen der Notenbanken weiter gewonnen. Dennoch fielen Anzahl und Volumina an den IPO-Märkten deutlich zurück. Die Emissionserlöse sanken im dritten Quartal um 35% gegenüber dem Vorjahresquartal auf 24.9 Mrd. USD, die Börsengänge um 14% auf 310. Mit Sunrise steht am Schweizer Markt zwar der nächste Börsenkandidat bereits in den Startlöchern, jedoch als Spin-off.
In der Schweiz fand das letzte IPO im März des Jahres statt. Obwohl Galderma den Erstzeichnern stattliche Gewinne bescherte, mangelte es im zweiten und dritten Quartal an Nachfolgern. In Deutschland ist die Lage gleich: Kein einziger Börsengang in den letzten zwei Quartalen. Anfang Jahr waren die Erwartungen hoch, doch tatsächlich schoben 14 der 15 von der SIX genannten IPO-Kandidaten in der Pipeline den Börsengang auf. Gründe lassen sich viele finden. Die Verschlechterung der geopolitischen Lage durch die immer weiter eskalierenden militärischen Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten, die für November anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA mit unsicherem Ausgang sowie die rezessiven Tendenzen, vor allem in Europa.
Löst sich der IPO-Stau auf?
Bessere Bewertungen aus der Sicht der Emittenten ergeben sich zwangsläufig bei sinkendem Zinsniveau. Die Diskontsätze der zukünftigen Cash-Flows und die Risikoprämien fallen mit den Zinssätzen. Dagegen steigen die KGVs der IPOs, wenn das Interesse und die Nachfrage der Erstzeichner zunehmen. So gesehen kann sich der aktuelle Stau auch schnell in einen Boom wandeln – wenn das Umfeld stimmt. Eine Börse im Aufschwung ist schon einmal eine gute Basis für Neuemissionen. Erst Ende September hat sich mit der Bosch-Tochter Syntecon ein weiterer IPO-Kandidat enttarnt. Der Hersteller von Verpackungsmaschinen für die Pharma-Industrie verlegt den Sitz in die Schweiz, nannte aber noch keinen Zeitplan für den angestrebten Börsengang an der SIX.
Chinesische Emittenten gehen wieder an US-Börsen
Laut dem Quartalsbericht zum IPO-Markt von EY ist das Marktgeschehen von grenzüberschreitenden Börsengängen, sogenannten cross-border IPOs, so stark wie noch nie geprägt. Sie bestreiten 9% der IPOs im dritten Quartal. Die SIX hat allerdings das Nachsehen, da chinesische Emittenten wieder den US-Markt vorziehen. Grund ist, dass sich die USA und China auf gemeinsame Grundsätze bei der Wirtschaftsprüfung geeinigt haben. Da an den US-Börsen höhere IPO-Bewertungen durchsetzbar sind, fällt die Wahl der chinesischen Unternehmen auf die amerikanischen Börsen.
Bewertungs-Arbitrage macht für Emittenten Sinn
Insgesamt sind in den ersten drei Quartalen 62 nicht-amerikanische Unternehmen an die US-Börsen gegangen; in der Vorjahresperiode waren es noch 48. Umgekehrt gingen 54 Unternehmen aus der asiatisch-pazifischen Region in anderen Ländern an die Börse, nach 45 im Vorjahreszeitraum. Die KGVs an den US-Börsen liegen bei über 20x, in China bei 12x und in Hongkong bei unter 10x. An den europäischen Börsen liegen die Markt-KGVs meist bei etwa 15x. Weiterhin hebt EY hervor, dass Spin-offs und Equity Carve-outs sowie Börsengänge von Private-Equity-finanzierten Unternehmen das Marktgeschehen dominieren. Ein Beispiel hierfür ist der angekündigte Spin-off von Sunrise. Erst vor vier Jahren war das Telekom-Unternehmen von Liberty Global von der Börse genommen worden.
Sektor-Rotation
Das sinkende Zinsniveau führt auch zu einer Verschiebung unter den Sektoren, die an der Börse gefragt sind. Waren es in der Phase mit höheren Zinsen vor allem die Sektoren Energie, Materialien, Industrie und Technologie, die gefragt waren, so überwiegen jetzt die Sektoren Konsum, Finanzen, Healthcare und Real Estate. Die Veränderungen in den ersten drei Quartalen 2024 zur Vorjahresperiode sind teilweise gravierend. In der Betrachtung nach Emissionsvolumen fiel Materials von 9% auf 3%, Energy von 12% auf 4% und Technology von 29% auf 18%. Demgegenüber stieg der Anteil von Real Estate von 2% auf 8%, der von Financials von 3% auf 8% und der von Healthcare von 8% auf 15%.
Künstliche Intelligenz entzündet Anlegerfantasie
Eine besondere Rolle spielen weiterhin IPOs von Unternehmen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. Laut EY sind in den letzten beiden Jahren jeweils 60 IPOs aus diesem Segment erfolgt. Die Hälfte davon verzeichnete soweit eine negative Performance. Gegenwärtig sind rund 50 weitere KI-IPOs im Registrierungsprozess, wovon ein Drittel profitabel sein soll.
Ausblick
Der Ausblick für die globalen Primärmärkte ist vorsichtig optimistisch, jedoch auch überschattet von geopolitischen Risiken, Wahlunsicherheiten und der Frage, ob der Rückgang der Inflation nachhaltig ist. Letzteres ist massgeblich für Tempo und Ausmass weiterer Zinssenkungen durch die Notenbanken. Das gilt insbesondere für die europäischen Primärmärkte, denn in den USA, Indien und weiteren Ländern läuft die Wirtschaft gut, was sich sowohl auf die Börsentendenz wie auch das Anlegerinteresse an Neuemissionen niederschlägt.