Die Serie der überraschenden Unternehmensergebnisse aus der Schweizer Industrie reisst nicht ab. In einigen Fällen sind sie positiv, in anderen gemischt, doch meistens sind sie enttäuschend und führen zu Kursabstürzen. Im Kursgeschehen zeigen sich Muster, die für Anleger aufschlussreich sind und helfen Verluste zu vermeiden und Chancen zu identifizieren.
Zinssenkungen sind zwar generell gut für die Aktienbörse, trotzdem ist die Gleichung nicht ganz so einfach, denn viele Variablen beeinflussen die einzelnen Unternehmen und Wirtschaftssektoren. Das zeigt sich deutlich im unterschiedlichen Geschäftsverlauf und Ausblick der rapportierenden Unternehmen. Zulieferer von Fertigungsindustrien wie Automobil und Landwirtschaftsmaschinen spüren die anhaltende Zurückhaltung der Endkunden. Ein aktuelles Beispiel ist der Hersteller von Maschinen zur Blechbearbeitung Bystronic, wo Auftragseingänge und Umsätze in den ersten neun Monaten des Jahres um 25,3% respektive 28,3% weiter fielen. 500 Stellen werden abgebaut. Die Aktie verlor seit Anfang Jahr 31% und in den letzten drei Jahren 75%.
Komax im Schatten der kriselnden Automobilindustrie
Ähnlich sieht es beim Kabelbaum-Spezialisten Komax aus. Die Krise der Autobauer schlägt durch, da die Auftraggeber immer zurückhaltender bei Investitionsentscheidungen werden. Der Auftragsbestand ist abgeschmolzen, im Juni wurde Kurzarbeit eingeführt. Standorte werden geschlossen und die Kosten gesenkt, nicht zuletzt durch einen aktiven Personalabbau. Seit Anfang Jahr fiel die Aktie um 41% und liegt nun um zwei Drittel unter den Höchstkursen. Bei beiden Unternehmen gibt es auch Lichtblicke, doch die kompensieren nicht für den breiten Nachfragerückgang.
Kapazitätsauslastung auf Krisenniveau
Ein tieferer Blick auf die Hintergründe offenbart eine mittlerweile tiefe Kapazitätsauslastung der Schweizer Industrie von 79% im ersten Quartal des laufenden Jahres. Noch 2022 bewegte sich die Kapazitätsauslastung bei 84% bis 85%. Das liegt auf der Höhe des langfristigen Durchschnittswertes zwischen 1967 und 2024 von 83,4%. Tiefere Werte als 79% wurden nur in den Krisenjahren 1975, 2009 und 2020 verzeichnet. Das zeigt, dass es sich nicht nur um einen zyklischen Abschwung der Nachfrage handelt, sondern um ein strukturelles Problem.
Überkapazitäten und Gewinnschwund
Überkapazitäten wie in der Automobilindustrie können durch einen starken Rebound der Nachfrage im besten Fall schnell verschwinden, doch Über-Investment, das durch inflationierte Erwartungen gespeist wird und an der tatsächlichen Nachfrage vorbei geht, führt zwangsläufig zu Krisen. Die Kosten der herstellenden Unternehmen bleiben hoch und sind nur begrenzt absenkbar. Wenn die Nachfrage schwach bleibt, schwindet auch die Profitabilität schnell, denn die Fixkosten verteilen sich auf immer weniger Stückzahlen und erhöhen so die Gewinnschwelle. In aller Regel kann nur der aktive und entschlossene Kapazitätsabbau die Profitabilität wieder herstellen. Deshalb sind Stilllegungen von Fabriken oder Fertigungslinien derzeit so oft in den Schlagzeilen. Immerhin, die Entscheidungen dazu fallen den Unternehmenslenkern zwar bestimmt nicht leicht, sind aber gleichzeitig ein Signal, dass sie den Ursprung der Problematik verstehen und sich entschlossen in Richtung gesunder ausgeglichener Marktverhältnisse bewegen. Auch wenn es dauern kann, bis sich die erwünschten Ergebnisse zeigen, der eingeschlagene Weg führt meist über kurz oder lang zu einem erneuten Erstarken der Profitabilität.
Zuversicht in der Schweizer Wirtschaft nimmt spürbar zu
Der volkswirtschaftliche Datenkranz und die Prognosen für 2025 begründen durchaus den Optimismus für die Industrie. Das Wirtschaftswachstum dürfte sich auf annualisierter Basis bei rund 1,8% bewegen, die Inflationsrate bei knapp über 1%. Sowohl beim Konsumentenvertrauen als auch bei der Zuversicht der Unternehmen zeichnet sich schon seit dem Ende des dritten Quartals 2024 eine sukzessive Verbesserung ab. Im September 2024 stieg das KOF Economic Barometer überraschend auf 105.5. Erwartet worden waren 102. Das ist der höchste Wert seit dem Tief von 87.2 im September 2022 und dokumentiert die sich stetig verbessernde Stimmung der Wirtschaft, vor allem im Sektor Manufacturing.
Kommt die Rieter-Aktie jetzt in Fahrt?
Im zweiten Quartal 2024 stieg die Industrieproduktion in der Schweiz um 7,3%, das ist einer der besten Werte der letzten fünf Jahre. Diese landesweiten Zahlen lassen sich jedoch nicht pauschal auf einzelne Segmente oder Unternehmen übertragen. In manchen Industriezweigen herrscht schon seit Jahren Zurückhaltung bei Investitionen. Ein Beispiel ist Rieter in der Textilmaschinenindustrie. Im ersten Halbjahr 2024 ging der Umsatz um 43% auf 421 Mio. CHF zurück. Der Nettogewinn schrumpfte auf 1.7 Mio. CHF zusammen. Der hohe Auftragseingang in den Boomzeiten hatte zu einem starken Auftragsbestand geführt, doch der ist inzwischen weitgehend abgearbeitet, weshalb die Umsätze zuletzt abgestürzt sind. Die neu entwickelten Textilmaschinen von Rieter sind effizienter und bieten viele neue Features wie die Verarbeitungsfähigkeit von Recyclingfasern. Erste Zeichen eines neuen Investitionszyklus sind erkennbar. Der Auftragseingang im ersten Semester nahm um beachtliche 24% auf 403.4 Mio. CHF zu, getragen von Bestellungen von neuen Maschinen. Die Aktie nahm in den letzten Tagen die Hürde von 100 CHF. Das Tief lag vor kurzem bei 80 CHF, das historische Hoch im Jahr 2007 bei 691 CHF. Noch 2021 wurden in der Spitze 240 CHF bezahlt.
Oerlikon plant Spin-off der Textilmaschinen-Sparte
Oerlikon entschied bereits Anfang Jahr, die Textilmaschinensparte mit Namen «Polymer Processing» innerhalb von 12 bis 36 Monaten abzuspalten. Dies könnte auch als Spin-off geschehen, da potenzielle Kaufinteressenten derzeit nicht gerade Schlange stehen. Die jahrelange Krise in der Textilindustrie hatte zu dramatischen Umsatzrückgängen geführt, die auch von den anderen Aktivitäten nicht kompensiert werden können. Zukünftig will sich Oerlikon auf Oberflächentechnologien konzentrieren. Der Aktienkurs ist nur noch ein Schatten seiner vormaligen Grösse. 2007 wurden Kurse über 100 CHF verzeichnet, 2018 immerhin 17 CHF, jetzt gerade noch 4 CHF. Das absolute Tief lag bei 3.40 CHF um die letzte Jahreswende.
Erfolg der CPH Spin-off-Transaktion lässt auf sich warten
CPH, ein weiterer Mischkonzern mit langer Tradition, hat die Papieraktivitäten mit unternehmenseigenen Immobilien angereichert und im Juni des Jahres als Spin-off abgespalten. Die Valoren werden seitdem auf OTC-X gehandelt. Im aktuellen Interview mit schweizeraktien.net gewährt Peter Schildknecht, der Vorsitzende der Gruppenleitung der Perlen Industrieholding, Einblicke zum Geschäftsverlauf und der Strategie. Das Kalkül von CPH war, dass sich ohne die zyklische Papiersparte die Bewertung der beiden stetig wachsenden Sparten Pharma-Verpackungen und Spezialchemie erhöhen würde. Tatsächlich hat sich jedoch die aufsummierte Bewertung der beiden Unternehmensteile bis heute kaum verändert. Vor der Transaktion lag der Kurs bei 92 CHF, jetzt sind es etwas mehr als 20 CHF für Perlen Industrieholding + 70 CHF für CPH. Und die Liquidität hat sich nicht, wie erwünscht, erhöht, sondern blieb quasi unverändert.
ABB auf Klettertour
Wenn auch die meisten Industrietitel mehr oder weniger angeschlagen sind, es gibt auch Segmente, die prima laufen. Zu den besten Performern zählen die Gewinner der Elektrifizierung. Unter den Large Caps ragt ABB mit einer 5-Jahresperformance von 175% hervor. Im laufenden Jahr stieg die Aktie um 33%. Zwischen 2009 und 2020 galt die Aktie als langweilig und als 20 CHF-Aktie, weil der Kurs tatsächlich über ein Jahrzehnt lang seitwärts an der 20-CHF-Linie entlanglief. Dann jedoch hatten die vom Management installierten Effizienzprogramme und der neue Investitionsgüterboom durch Automatisierung, Industrieroboter und vor allem mit dem Ausbau und der Erneuerung der Energierzeugungskapazitäten zu einem veritablen Boom geführt. Schon bei 35 CHF und 40 CHF waren erste kritische Stimmen zum Höhenflug zu hören, doch jeder Rückschlag lockte neue Käufer an. Im dritten Quartal 2024, dem ersten unter dem neuen CEO Morten Wierod, stiegen Umsatz und Auftragseingang trotz des hohen Niveaus nochmals um je 2%. Das EBITA-Ergebnis nahm um 12% auf 1.55 Mrd. USD zu, die Marge erhöhte sich um 1.6 Prozentpunkte auf 19%. Der neue CEO hält sie für weiterhin steigerbar.
R&S Group brilliert mit Jahresperformance von 117%
Unter den Small Caps überzeugt der Transformatorenhersteller R&S Group mit einer Jahresperformance von bisher 117%. Die Aktie wurde anlässlich der Übernahme der irischen Kyte Powertech im September auf schweizeraktien.net auf den Prüfstand gestellt. Nach der Übernahme dürften die Gewinne 2025 überproportional ansteigen. Inzwischen haben auch die Banken den zunächst lange übersehenen Titel für sich entdeckt. Die Kursziele reichen bis 27 CHF.
Stadler-Rail-Aktie enttäuscht
Zu den wichtigsten Segmenten der Elektrifizierung zählt die Bahnindustrie. Und obwohl Stadler Rail einer von nur vier Komplettanbietern ist und zum Ende des ersten Semesters 2024 über einen Auftragsbestand von 26.8 Mrd. CHF verfügt, die Profitabilität ist mit einer EBIT-Marge von 2,2% stark verbesserungswürdig. Trotz nahezu täglicher neuer Bestellungen kommt die Aktie nicht aus ihrem anhaltenden Abwärtstrend heraus. Der Kurs hat sich auf 26 CHF gegenüber den Höchstkursen halbiert.
Sulzer im Höhenflug
Ganz anders sieht das bei Sulzer aus. Die Aktie des Flow-Management-Unternehmens kennt kein Halten und hat zwischenzeitlich das historische Hoch von 2007 deutlich überboten. Seit den Tiefs von 2020 bei 35 CHF hat sich der Kurs zwischenzeitlich vervierfacht. Unter dem Management von Suzanne Thoma hat sich das Wachstumstempo mehr als verdoppelt, und die Profitabilität hat sich markant verbessert. Im ersten Halbjahr 2024 nahm der Umsatz um 10,5% zu, der operative Gewinn stieg um 25,9%, und die Marge kletterte auf 11,4%. Die Guidance wurde angehoben.
Fazit
Im Industrie-Sektor der Schweiz gehen in der gegenwärtigen Phase der globalen Konjunkturzyklen die Performancezahlen weit auseinander. Das Wunderbare an Aktien ist eben, dass jede für sich ihren eigenen Verlauf nimmt, je nach dem entsprechenden Subsegment und darüber hinaus auch der Qualität des Managements. Es ist kein Zufall, dass Sulzer und ABB zu den besten Performern zählen und andere Industrietitel eben nicht. Beide Aktien sind seit November 2021 Bestandteil der Dividendenstrategie von schweizeraktien.net.
Hinweis in eigener Sache: Nach der der erfolgsreichen Lancierung des Branchentalk Industrie 2024 findet im kommenden Jahr am 27. Mai 2025 wieder ein Branchentalk Industrie statt. Bitte merken Sie sich das Datum heute schon vor.