Stefan Schulthess, SGV Holding: «Durch Solartreibstoffe können wir die bestehende Technologie weiter nutzen»

Der Umsatz in der Schifffahrtssparte wird 2024 wieder einen Rekordwert erreichen

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Stefan Schulthess
Stefan Schulthess ist seit 2005 Geschäftsführer der SGV Holding AG und der SGV AG. In den vergangenen Jahren hat er das Thema Nachhaltigkeit in der Unternehmensgruppe stark vorangetrieben. Bild: zvg

In puncto Nachhaltigkeit hat die Luzerner SGV Gruppe in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gemacht. Dies zeigt sich nicht nur im Nachhaltigkeitsbericht und der Zusammenarbeit mit Initiativen wie myclimate, sondern gerade auch bei den Massnahmen zur Dekarbonisierung der Schiffsflotte. Seit dem Frühling 2024 fährt beispielsweise das von der SGV AG betriebene Motoschiff Rütli rein elektrisch. Ab Frühling 2026 soll das Motorschiff Saphir mit einem Wasserstoff-Brennstoffzellen Antrieb unterwegs sein. Nun gab das Unternehmen bekannt, dass es als weltweit erste Schifffahrtsgesellschaft einen fünfjährigen Abnahmevertrag für einen Solartreibstoff des ETH-Spinn-offs Synhelion unterzeichnet hat. 100 Tonnen des synthetischen Treibstoffes sollen jährlich zum Antrieb der Dampfschiffe auf dem Vierwaldstättersee verwendet werden. schweizeraktien.net fragte Geschäftsführer Stefan Schulthess, was die Umstellung für die Dampfschiffflotte bedeutet, auf welche anderen emissionsarmen Antriebsarten gesetzt wird und wie das bisherige Geschäftsjahr verlaufen ist.

Synhelion ist bekannt dafür, dass sie Kerosin für Flugzeuge herstellen. Wie kam die SGV dazu, diesen Treibstoff für ihre Dampfschiffe anzufragen?

Stefan Schulthess: Synhelion stellt ein synthetisches Rohöl her, aus dem sich in konventionellen Ölraffinerien alles herstellen lässt, was man auch sonst mit Rohöl herstellt. Also Kerosin, Benzin, Diesel oder Heizöl. Der Einsatz des Solartreibstoffes von Synhelion bei Dampfschiffen drängt sich insofern auf, weil wir dadurch unsere existierende Dampfschifftechnologie und Treibstoffinfrastruktur weiter nutzen können. Wir haben darum schon vor ein paar Jahren den Kontakt zu Synhelion gesucht. Im Strassenverkehr spielt heute die Elektrifizierung eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung von CO2-Emissionen. Andere Bereiche der Mobilität sind schwieriger zu elektrifizieren wie eben unsere historischen Dampfschiffe.

Also ist eine Umstellung der Antriebe der Dampfschiffe, die bisher mit Heizöl fahren, gar nicht notwendig?

Wie erwähnt ist eine Anpassung des Antriebes und der Dampferzeugung nicht notwendig. Synhelion produziert einen Solartreibstoff, der fossile Kraftstoffe ersetzt und kompatibel ist mit bestehenden Verbrennungsmotoren oder -maschinen. Gleichzeitig ist der Solartreibstoff von Synhelion CO2-neutral, da er bei der Verbrennung nur so viel CO2 ausstösst, wie für die Herstellung verwendet wurde. Weil die Verfügbarkeit von synthetischen Treibstoffen noch sehr gering ist und die Preise noch sehr hoch sind, suchen wir gleichwohl nach Optimierungen im Bereich Treibstoff- und CO2-Reduktion bei Dampfschiffen.

Wie gestalten sich denn die Kosten des synthetischen Treibstoffs im Vergleich zu bisherigen Treibstoffen wie Diesel oder Heizöl?

Der synthetische Solartreibstoff ist aktuell noch um ein Vielfaches teurer im Vergleich zu fossilen Treibstoffen. Ab 2033 strebt Synhelion Produktionskosten von 1 CHF pro Liter an und wäre dann preislich konkurrenzfähig.

«Ab 2033 strebt Synhelion Produktionskosten von 1 CHF pro Liter an»

Werden die Fahrgäste den Mehraufwand bezahlen müssen?

Wie bei jeder anderen Kostensteigerung auch, werden die Fahrgäste selbstverständlich einen Anteil der Mehrkosten indirekt über höhere Fahrpreise früher oder später mitfinanzieren müssen. Ökologische Nachhaltigkeit ist nicht zum Nulltarif erhältlich; auch bei uns nicht. Mit durchschnittlich 14 Franken pro Fahrtstrecke ist die SGV AG heute alles andere als teuer.

Schon ab Mai 2025 soll das Dampfschiff «Gallia» mit einem Teil nachhaltigem Treibstoff, ab 2027 komplett mit den neuen Treibstoffen fahren. Die SGV hat sich jährlich 100 Tonnen dieses Treibstoffs ab 2027 gesichert. Ist es realistisch, dass diese Menge auch produziert werden kann?

Ja, es ist realistisch. Vor ein paar Wochen hat Synhelion im deutschen Jülich seine erste Anlage eröffnet, welche den ökologischen Treibstoff im kleinen Massstab herstellt, und aktuell plant Synhelion den Bau der ersten kommerziellen Solartreibstoffanlage in Spanien mit einer geplanten Produktionskapazität von 1’000 Tonnen Solartreibstoff pro Jahr ab 2027.

Wie läuft die Finanzierung? Muss die SGV für eine Option auf den Treibstoff zahlen?

Die Finanzierung der Anlagen ist für Synhelion tatsächlich anspruchsvoll. Darum braucht Synhelion Partnerschaften und Abnahmeverträge wie mit der SGV AG und natürlich Investoren. Synhelion hat eine hardwaregetriebene Technologie. Der Bau der Anlage ist sehr teuer, der Betrieb vergleichsweise günstig. Die SGV musste aber für die Option der Treibstofflieferungen nicht im Voraus bezahlen.

Kritiker sagen, synthetische Treibstoffe wie bspw. Synhelion brauchen zu viel Energie für deren Herstellung. Was sagen Sie?    

Die Umwandlung von CO2 und Wasserdampf in flüssigen Treibstoff braucht tatsächlich viel Energie, weshalb diese zwingend erneuerbar sein muss. Die thermische Energie , die für die chemischen Prozesse von Synhelion benötigt wird, stammt von der Sonne. Heliostaten konzentrieren Sonnenstrahlen und wandeln sie in Hochtemperaturprozesswärme um. Die Energiefrage kann Synhelion also gut lösen. Auch Wasser ist leicht verfügbar. Bleibt noch die Kohlenstoffquelle. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen kann das CO2 mit der Technologie «direct air capture» (DAC) direkt aus der Luft gewonnen werden oder man setzt auf biogenes CO2, das aus Bioabfall gewonnen wird. Weil DAC derzeit noch nicht zu einem marktfähigen Preis produzierbar ist, setzt Synhelion aktuell auf biogenes CO2. Die Vision von Synhelion ist aber, DAC zu nutzen, sobald der Preis konkurrenzfähig ist.

Die SGV setzt bei den Antrieben für ihre Schiffe auf Elektrizität, Wasserstoff und nun auf synthetische Treibstoffe. Wo sehen Sie das grösste Potenzial?

Aus heutiger Sicht haben meines Erachtens alle der erwähnten Lösungsansätze je nach Mobilitätsform ihre Berechtigung.

Auf der Strasse wird sich die Elektromobilität durchsetzen, in der Fliegerei aus Gewichts- und Platzgründen eher synthetische Treibstoffe wie bspw. Synhelion, und bei Schiffen sind je nach Distanz, Geschwindigkeit, Schiffsgrösse und Einsatzdauer sowohl Elektromotoren mit Batterien oder Brennstoffzellen und Wasserstoff oder eben der Einsatz von synthetischen oder anderen nicht fossilen Treibstoffen ein Thema.

Die SGV AG hat den Anspruch, den Richtwerten im neuen Bundesgesetz über die Klimaziele Rechnung zu tragen, die verlangen, dass im Sektor Verkehr die Treibhausgasemissionen bis 2040 um 57% und bis 2050 um 100% vermindert werden.

Kommen wir zur laufenden Geschäftsentwicklung der SGV Gruppe. Sie haben Anfang Jahr in einem Interview gesagt, dass die Fernmärkte 2024 nochmals zulegen werden, sich die inländische Nachfrage auf einem hohen Niveau stabilisiert. Ist dieses Szenario eingetreten?

Ja, dieses Szenario ist eingetreten. Die SGV AG, also der Schifffahrtsbereich unserer Gruppe, erwartet trotz teilweiser schwieriger meteorologischer Rahmenbedingungen bis Ende Jahr mit rund 3 Millionen Gäste gleich viele Gäste wie im letzten Jahr. Im Gegensatz zu anderen Schifffahrtsgesellschaften profitierten wir vom boomenden Städtetourismus in Luzern und von den ausländischen Gästen, die ihre Reisen wetterunabhängig durchführten. Mit 66% sind Schweizer Gäste auf dem Vierwaldstättersee aber weiterhin die wichtigste Kundengruppe.

2023 hat die SGV AG einen Rekordumsatz erzielt. Wie ist der Ausblick auf das Gesamtjahr in der Schifffahrt …

Auf Umsatzebene werden wir das Rekordergebnis bei der Schifffahrt egalisieren können. Der Verkehrsertrag wird mit rund 42 Mio. CHF voraussichtlich sogar leicht höher ausfallen als im Jahr 2023. Auf Stufe EBITDA werden wir infolge leicht höherer Personal- und Unterhaltskosten das letztjährige Betriebsergebnis jedoch nicht übertreffen.

«Auf Umsatzebene werden wir das Rekordergebnis bei der Schifffahrt egalisieren können»

und bei der Tavolago AG?

Für das laufende Jahr rechnet die Tavolago AG in der Gastronomie mit einem Gesamtumsatz von rund 33 Mio. CHF. Dies ist im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Rückgang, der vor allem auf die Schliessung eines Restaurants zurückzuführen ist. Trotz des etwas tieferen Umsatzes wird das Betriebsergebnis auf Stufe EBITDA der Tavolago AG ähnlich hoch wie im guten Vorjahr ausfallen.

2023 war der Ergebnisbeitrag der Shiptec AG negativ. Hat sich die Situation mittlerweile geändert, und konnte man sich mit dem Kunden in Lausanne einigen?

Ja, bei der Shiptec AG hat sich die Situation im laufenden Jahr aufgehellt. Im Sommer 2024 konnte die zweite der beiden Personenfähren an den Kunden CGN SA übergeben werden und die von Ihnen angesprochene Konfliktlösung der strittigen Punkte und deren Kostenfolge konnte zwischenzeitlich zwischen der Shiptec AG und der CGN SA aussergerichtlich bereinigt werden.

Herr Schulthess, ganz herzlichen Dank für das aufschlussreiche Interview.

Die Aktien der SGV Holding AG werden ausserbörslich auf OTC-X gehandelt. Zuletzt wurden 265 CHF für eine Aktie bezahlt.

 

Aktienkurs SGV
Seit Jahresbeginn bewegen sich die Titel der SGV Holding AG in einem Band zwischen 250 und 300 CHF. Chart: otc-x.ch

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