Vor einem Jahr legte der Schweizer Life Science Spezialist Bellevue Asset Management einen innovativen Publikums-Fonds auf, der auf den wertsteigernden Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen fokussiert. Die Einsatzmöglichkeiten im Healthcare-Sektor sind breit. Die «early adopters» wie Eli Lilly, Stryker und UnitedHealth Group glänzen mit Effizienzsteigerungen und Innovationen, die wesentlich zu deren beflügelter Kursentwicklung beitragen. Im Gespräch mit schweizeraktien.net erläutert Fondsmanager Marcel Fritsch wie die AI-Revolution die Gesundheitswirtschaft re-definiert, wodurch sich die Gewinner der rapiden Entwicklung auszeichnen und worauf Anleger ihre Aufmerksamkeit richten sollten.
Sie haben die Zeichen der Zeit gut erkannt und mit dem Bellevue AI Health Fonds seit der Auflage am 30. November 2023 eine überdurchschnittliche Performance von rund 20% erzielt. Es fällt auf, dass die hoch gewichteten Aktien wie Eli Lilly und Novo Nordisk auch für einen auf Diabetes und Adipositas oder einen auf General Bio-Pharma fokussierten Fonds typisch wären. Worin genau besteht die Verbindung von Artificial Intelligence mit Lilly und Novo Nordisk?
Marcel Fritsch: Die Bottom-up-Aktienselektion und Portfoliokonstruktion im Bellevue AI Health Fonds wird hauptsächlich durch «Conviction» bestimmt. «Conviction» in Bezug auf eine Aktie ist wiederum durch verschiedene Fundamentaldaten wie Managementqualität, Wachstumsprofil, Rentabilität und Bewertung sowie durch den Bellevue AI Affinity Score getrieben. Eli Lilly und Novo Nordisk sind Pharmaunternehmen, die über eine sehr grosse Menge an Daten verfügen und versuchen, die Entwicklung neuer Medikamente mit Generativer Künstlicher Intelligenz, GenAI, zu beschleunigen. Lilly zum Beispiel hat eine Partnerschaft mit XtalPi angekündigt und setzt AI und Robotik zur Erforschung neuer Therapeutika ein. Novo Nordisk ist unter anderem eine Partnerschaft mit Microsoft eingegangen, um die Arzneimittelforschung und -entwicklung mit Hilfe von Big Data und künstlicher Intelligenz zu beschleunigen.
Wodurch zeichnet sich der Bellevue AI Affinity Score aus, der gewissermassen Ihr Investment Universum definiert?
Der proprietäre Bellevue AI Affinity Score bewertet, wie intensiv ein Unternehmen künstliche Intelligenz (AI) nutzt und in entsprechende Ressourcen investiert. Dabei wird gemessen, wie strategisch AI in Geschäftsprozesse wie Forschung, Medikamentenentwicklung oder Patientenversorgung integriert ist. Unternehmen, die signifikante Investitionen in AI-Technologien tätigen und innovative Anwendungen entwickeln, werden höher eingestuft. Der Score berücksichtigt auch das regulatorische Umfeld, da der Gesundheitssektor stark reguliert ist und der klinische Nutzen im Vordergrund steht. Dadurch können wir Unternehmen gezielt auswählen, die durch den Einsatz von AI einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil erzielen und langfristig höhere Renditen erwarten lassen.
Neun der 10 grössten Positionen sind Arzneimittelhersteller, auf die fast 40% des Fondsvolumens entfällt. Heisst das implizit, dass bisher der Grossteil der Wertschöpfung durch KI im Gesundheitssektor bei den forschenden Big Bio-Pharma Unternehmen stattfindet?
Ja, die Wertschöpfung durch KI findet derzeit in hohem Masse bei den Mega und Large Caps wie Eli Lilly, Novo Nordisk und Amgen statt, die führend in der Nutzung von KI für die Medikamentenentwicklung und Diagnostik sind. Diese Unternehmen profitieren stark von der Anwendung von GenAI, die es ihnen ermöglicht, Entwicklungszeiten zu verkürzen und Risiken im Forschungsprozess zu verringern. Grosse Unternehmen verfügen nicht nur über die erforderlichen finanziellen Mittel, um in KI-Technologien zu investieren, sondern sie haben auch Zugang zu den grossen Datenmengen, die für den Erfolg von KI-Anwendungen im Gesundheitswesen entscheidend sind. Auch die regulatorischen Rahmenbedingungen im Gesundheitssektor, die hohe klinische Standards erfordern, machen den Einsatz von KI für diese etablierten Unternehmen besonders attraktiv, da sie den klinischen Nutzen maximieren und Risiken besser steuern können.
«Die Wertschöpfung durch KI findet derzeit in hohem Masse bei den Mega und Large Caps wie Eli Lilly, Novo Nordisk und Amgen statt»
Bitte machen Sie das an für die Leser gut nachvollziehbaren Beispielen fest. Wie setzen beispielsweise Roche und Novartis die KI konkret ein? Die beiden Aktien sind mit jeweils über 3% in Ihrem Fonds gewichtet.
Bei Genentech, das zu Roche gehört, wurden umfangreiche, robuste Datensätze aus jahrzehntelanger Labor- und klinischer Forschung aufgebaut und zum Training leistungsstarker GenAI-Modelle verwendet. Genentech kündigte im November 2023 eine Partnerschaft mit dem amerikanischen Technologieunternehmen Nvidia an. Durch die Zusammenarbeit mit Nvidia steigert Genentech die Leistung seiner GenAI-Modelle durch beschleunigte Rechenleistung und Software von Nvidia, wie BioNeMo, die GenAI-Anwendungen in der Arzneimittelforschung skaliert. Novartis hat gemeinsam mit Microsoft das AI Innovation Lab gegründet. Die beiden Unternehmen arbeiten seit 2019 in der Forschung und Entwicklung zusammen. Ziel ist es, die KI-Fähigkeiten der beiden Unternehmen zu bündeln, um einen Innovationsschub in der Medikamenten- und Therapieentwicklung auszulösen. KI soll das Design von CAR-T-Zellen für die Krebsimmuntherapie optimieren und Behandlungen individueller gestalten.
Die grosse Datenbasis in der Welt der Medizin bietet beste Voraussetzungen für den Einsatz der “learning machines”, z.B. bei der Differenzialdiagnose in der Onkologie oder beim patent-screening. Wie sieht es in Bereichen aus, die mehr erfordern als den Vergleich bereits bestehender Bilder, analytischer Messwerte und Dokumente? Wo sehen Sie “the next frontier” für den Einsatz von KI bei der Verbesserung der Gesundheitswirtschaft?
Das grosse Potenzial für den Einsatz von KI im Gesundheitssektor liegt in der Weiterentwicklung roboterassistierter Chirurgie, der präzisen Gewebeerkennung und der Erstellung personalisierter Behandlungspläne. Roboterbasierte Chirurgiesysteme wie das neue da Vinci 5 von Intuitive Surgical ermöglichen präzisere und sicherere Operationen mit verbesserten Ergebnissen für die Patienten. Gleichzeitig wird KI zunehmend in der Diagnostik eingesetzt, etwa zur Erkennung von Gewebeanomalien oder zur Unterstützung bei minimalinvasiven Eingriffen. Auch in der personalisierten Medizin eröffnet KI neue Möglichkeiten: Durch die Analyse individueller Patientendaten können massgeschneiderte Behandlungspläne entwickelt werden, die auf die spezifischen Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt sind.
Eine Ihrer grössten Positionen ist mit 7,4% die amerikanische UnitedHealth Group. Die operiert im Nexus des Healthcare-Sektors und verbessert die Kooperation der diversen Stakeholder wie Patienten, Regierungen, Pharmaindustrie, Versicherungen, etc. Ziel ist die Steigerung von Effizienz und Qualität. Wie hilft die KI dabei genau? Gibt es in Europa vergleichbare Unternehmen? Und wie ist sichergestellt, dass es keine Interessenkonflikte gibt?
UnitedHealth setzt künstliche Intelligenz in über 50 verschiedenen Anwendungsfeldern ein um die Effizienz und Qualität im Gesundheitswesen zu verbessern. Das Unternehmen ist bestrebt, unnötige Behandlungen bereits in der Phase der Vorabgenehmigung zu erkennen und zu verhindern. Ein zweites Anwendungsbeispiel ist die KI-gestützte Suche für Versicherte, die einen Spezialisten (Arzt) suchen, der qualitativ sehr gut, kostengünstig, im UnitedHealth-Netzwerk und in der Nähe des Versicherten ist. Der Versicherte gibt beispielsweise Symptome wie „Kopfschmerzen“ ein und basierend auf der individuellen Krankengeschichte werden die entsprechenden Ärzte aufgelistet.
Über 70% des Portfolios sind in US-Unternehmen investiert. Weitere 12% entfallen auf Mega-Caps aus der Schweiz und Dänemark. Wie kommt es, dass Unternehmen aus traditionell in Medizin und Forschung starken Ländern wie Japan nur mit 4% und Deutschland mit 1% gewichtet sind?
Die geografische Aufteilung des Portfolios ist lediglich das Ergebnis unserer Bottom-up-Aktienauswahl und Portfoliokonstruktion. Für den hohen Anteil an US-Unternehmen im Bellevue AI Health Portfolio gibt es verschiedene Gründe. Die USA investieren pro Jahr etwa sechsmal mehr in die medizinische Grundlagenforschung als die grössten europäischen Länder wie Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich. Von den fünf grössten Risikokapitalmärkten befinden sich vier in den USA: Bay Area, New York City, Boston und Los Angeles. Die Risikokapitalinvestitionen im Gesundheitssektor gehören zu den beiden grössten nach der Softwarebranche. Schliesslich ist die Mehrheit der grossen Gesundheitsunternehmen in den USA ansässig und ebenfalls die führenden KI-Technologieunternehmen wie Nvidia, Microsoft, Qualcomm und Oracle.
Sprechen wir noch kurz über Engagements in sogenannten Schwellenländern, wo aufgrund der IT-Kompetenz auch Indien, Brasilien und afrikanische Länder wie Uganda, Kenia und Ghana überraschend schnell KI-Lösungen für den Gesundheitsmarkt entwickeln. Wie schätzen Sie die Chancen für erfolgreiche KI-Investments in Emerging Markets ein?
Die meisten Unternehmen aus den genannten Schwellenländern haben entweder einen zu niedrigen Bellevue AI Affinity Score oder eine zu geringe Marktkapitalisierung. QuantumPharm (XtalPi) ist ein auf KI und robotergestützte Arzneimittelentwicklung spezialisiertes Unternehmen mit Sitz in Shenzhen, China, in das wir investiert sind.
Bisher standen ja an der Börse im KI-Kontext Mega- und Large-Caps im Fokus der Anleger. Die Bewertungen von Nvidia, Lilly & Co. sind inzwischen jedoch zumindest ambitioniert zu nennen. Welche Chancen sehen Sie für Mid-Caps mit Blick auf Phase II der KI-Revolution im Healthcare-Sektor?
Die meisten Mid-Cap-Unternehmen erfüllen derzeit die Auswahlkriterien für unser Portfolio nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Technologie heute noch teuer ist und sich die Mid-Cap-Unternehmen die noch teureren Spezialisten (noch) nicht leisten können. Die Preise und damit die Eintrittsbarrieren werden fallen. Letztlich ist die entscheidende Frage, ob diese Unternehmen über genügend Daten verfügen, um die KI-Modelle auf einem ausreichend hohen Qualitätsniveau zu trainieren.
«Die meisten Mid-Cap-Unternehmen erfüllen derzeit die Auswahlkriterien für unser Portfolio nicht»
Bitte nennen Sie einige Beispiele und Nischen, die sich als besonders vielversprechend erweisen könnten?
Gerne stelle ich Ihnen zwei Beispiele mit jüngsten Produktzulassungen aus den Bereichen robotergestützter Chirurgie und Diabetes-Management vor. Procept BioRobotics hat mit seiner Hydros-Roboterplattform für die Entfernung von Prostatagewebe einen entscheidenden Schritt gemacht. Die Plattform nutzt KI für OP-Planung und verfügt über Einweg-Endoskop-Hardware, was zu schnelleren, sichereren und konsistenteren Ergebnissen führt – unabhängig von der Erfahrung des Chirurgen. Mit 400 bereits installierten Robotern bietet Hydros durch die hohe Integration und vereinfachte Workflows ein enormes Potenzial für die breitere Marktakzeptanz. Dexcom erschliesst mit seiner Produktinnovation ein neues Kundensegment im Bereich Diabetes. Mit dem kürzlich zugelassenen Stelo-Glukosesensor bietet das Unternehmen ein «Wearable» für Diabetiker, die kein Insulin benötigen. Dieser Sensor hilft, den Einfluss von Bewegung und Ernährung auf den Blutzuckerspiegel besser zu verstehen. Dexcom erweitert damit sein Angebot über insulinabhängige Patienten hinaus und bietet Lösungen, die eine breitere Nutzerbasis ansprechen.
Medizintechnik ist in Ihrem Fonds mit 24% hoch gewichtet. Für gute Performance sorgen vor allem die amerikanischen Weltmarktführer Stryker, Boston Scientific und Intuitive Surgical. Was können die besser als ihre europäischen Konkurrenten? Und bietet nicht gerade die KI die Möglichkeit, die Wettbewerbsposition zu verbessern?
Stryker und Boston Scientific haben ihre Finanzkraft genutzt, um sehr gezielte Übernahmen zu tätigen. Stryker kaufte vor einigen Jahren Mako, ein führendes Unternehmen im Bereich der Roboterorthopädie, und investierte dann zwei Jahre in die Verbesserung und Skalierung des Systems, so dass es jetzt eine fast uneinholbare Führung bei der robotergestützten Knie-, Hüft- und Schulterimplantation hat. Boston Scientifc verfügt über einen eigenen Fonds, der Risikokapital in innovative Medizintechnikunternehmen investiert. Dies führte 2020 zur Übernahme von Farapulse, dessen innovativer Ablationskatheter zur schnellen und nebenwirkungsarmen Behandlung von Herzrhythmusstörungen einen wesentlichen Beitrag zum zweistelligen organischen Umsatzwachstum des Unternehmens im Jahr 2024 leistet.
Sie haben dieses Jahr auch in zwei IPOs mit KI-Hintergrund investiert. Was können Sie dazu sagen? Sehen Sie weitere interessante Börsengänge von AI-affinen Unternehmen im Healthcare-Sektor?
Ja, wir haben in diesem Jahr in die IPOs von QuantumPharm und Tempus AI investiert, beide mit starkem KI-Fokus. Beide Unternehmen haben eine bemerkenswerte Entwicklung gezeigt, was unsere Entscheidung bestärkt, in innovative Technologien im Gesundheitswesen zu investieren. Der Markt für Börsengänge, in diesem Bereich, zeigt derzeit eine deutliche Belebung. Investoren haben nach der Dürre der vergangenen Jahre wieder ein stärkeres Interesse. Wir prüfen kontinuierlich neue Möglichkeiten im AI-Healthcare-Sektor, da wir davon ausgehen, dass dieser Bereich weiterhin stark wachsen wird und spannende neue Unternehmen auf den Markt kommen werden.
«Der Markt für Börsengänge, in diesem Bereich, zeigt derzeit eine deutliche Belebung»
In Ihren Publikationen erwähnen Sie Ihr Engagement bei Elevance, einem auf “Exchange Market” Krankenversicherungen spezialisierten Unternehmen, und dass sich deren Perspektiven unter einer Präsidentin Kamala Harris verbessern würden. Können Sie unsere Leser erhellen und den Terminus und die Perspektiven bitte kurz erläutern?
Bei «Exchange Market»-Krankenversicherungen handelt es sich um stark subventionierte Krankenversicherungspläne, die zusätzlich vom demokratischen Präsidenten Joe Biden subventioniert werden. Diese zusätzlichen Subventionen sorgen dafür, dass diese Krankenversicherungen sehr gefragt sind. Die Subventionen sind jedoch bis Ende 2025 befristet und würden von einem republikanischen Präsidenten nicht verlängert werden, was sich negativ auf die Nachfrage auswirken würde. Kamala Harris hingegen hat sich für eine Verlängerung der zusätzlichen Subventionen ausgesprochen.
Einen klaren Nutzen für forschende Arzneimittelunternehmen, Patienten und Kostenträger bringt bereits die durch KI rapide beschleunigte Medikamentenentwicklung. Amgen und Gilead setzen Masstäbe. Ist das auch eine Chance für Unternehmen wie beispielsweise die deutsche Merck, die in den letzten 15 Jahren nur drei Neuzulassungen erreichen konnte?
Eindeutig. Merck KGaA ist Teil unseres Portfolios, und es gibt viel Evidenz für den Einsatz von GenAI.
Wenn Sie fünf bis zehn Jahre weiterdenken, wie wird die KI den Healthcare-Sektor verändert haben, und wie können weitsichtige Investoren daran partizipieren?
Unternehmen, die GenAI als zentralen Bestandteil ihrer Geschäftsstrategie einsetzen und erhebliche Ressourcen in diese Technologie investieren, können sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen. Dies könnte aus einem einst für alle offenen Markt einen „the-winner-takes-it-all“ Markt machen. Für Investoren bedeutet dies, gezielt auf die Gewinner zu setzen und die Verlierer zu meiden, da die Aktienperformance stark auseinanderdriften wird.
Vielen Dank, Herr Fritsch, für die geteilte Expertise. Das wird die Sicht der Leser auf den Einsatz von AI im Healthcare Universum bestimmt erhellen.