Nichts bringt die Emotionen der Touristiker besser auf den Punkt als der Titel des aus den Fünfziger Jahren stammenden Schlagers «Nach em Räge schint d’Sunne», den der Chef der Rigi Bahnen, Frédéric Füssenich, in seiner Ansprache anführt. Er spricht im Rahmen des 10. Branchentalk von schweizeraktien.net am Flughafen Zürich über die «Zukunft des Reisens». Und taucht dafür zunächst in die Vergangenheit.
Krisen, Krisen, immer wieder Krisen hätten den Tourismus getroffen, so Füssenich. Aber der Tourismus habe sich als krisenresistent erwiesen: «Ein Wachstumsmarkt, eine Zukunftsbranche» sei der Tourismus, ruft er ins Publikum.
«Tourismus ist steiler denn je zurückgekommen»
Mit der Zuversicht ist er nicht alleine. Mit Schaudern schaut man auf das Bild der Abflugtafel am Flughafen Zürich vor vier Jahren, die keine 20 Abflüge an einem Tag auflistete. Für Kevin Fleck, CFO der Flughafen Zürich AG, ist die Katastrophe der Pandemie Geschichte, wie es die hervorragenden Geschäftszahlen nicht besser ausdrücken könnten. Sein Kollege Andreas Gerber von der Fluggesellschaft Swiss sekundiert. Das touristische Geschäft sei steiler denn je zurückgekommen. Einen bleibenden Einschnitt sieht er aber im Jet-Geschäftsreiseverkehr, der bei 70% im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten liege.
Grosse Investitionen am Berg
Auch die anderen Redner an diesem Tag bemühen die Pandemie-Zeiten, um zu verdeutlichen, wie sie diese Krise gestählt hat und welchen Schwung sie aus ihr mitgenommen haben. Urs Kessler, CEO der Jungfraubahnen, hat das Grossprojekt V-Bahn Anfang der 20er Jahre durchgezogen, Norbert Patt von den Titlisbahnen realisiert den Umbau des Gipfels zusammen mit Herzog & de Meuron gegen Widerstände, die ihm vor wenigen Jahren noch entgegenschlugen. Und die BVZ Holding, die die Gornergratbahn und die Matterhorn Gotthard Bahn betreibt, investiert dreistellige Millionensummen in Rollmaterial und einen Tunnel kurz vor Zermatt, wie ihr CEO Egon Gsponer ausführt.
Der Tourismus ist zurück – und wie. Davon zeugen auch die aktuellen Geschäftszahlen. Auch wenn die Anzahl der Besucherinnen und Besucher (noch) nicht wieder auf Vor-Pandemie-Niveau gestiegen ist, so liegen Profitabilität und Rentabilität der Tourismusunternehmen teilweise deutlich darüber. Der Grund ist schlicht: Heute zahlt der Besucher deutlich mehr für seine touristischen Aktivitäten.
Der internationale Tourismus ist zurück
Der internationale Tourismus ist zurück. Das ist für Unternehmen wie die Titlis- und die Jungfraubahnen entscheidend. Urs Kessler und Norbert Patt verwiesen auf ihre starke Verkaufspräsenz in den Fernmärkten USA, Asien, Südamerika und Arabien. Das Bedürfnis nach internationalen Reisen werde weiter steigen, prophezeite Patt.
Patt bemühte sich, das O-Wort nicht in den Mund zu nehmen. Wie auch alle anderen Redner. Es gehe nicht um die Anzahl der Reisenden, Stichwort «Overtourism», sondern um die Flussrichtung der Touristenströme. Und damit auch um ihre zielgerichtete Einhegung. Denn eines ist klar: Die Abhängigkeit von Fernmärkten gerade für Destinationen wie Engelberg, die Jungfrau-Region oder Zermatt wird weiter steigen. Gleichzeitig hat das Schweizer Schneesportgeschäft nur noch kleine Zuwachsraten zu verzeichnen oder stagniert, insbesondere in mittleren Lagen. «Man darf den internationalen Tourismus nicht gegen den Schweizer Tourismus ausspielen», warnte Patt.
Dichtestress durch aktive Lenkung begegnen
Auch Füssenich sprach davon, dem Dichtestress des Massentourismus durch eine aktive Besucherlenkung zu begegnen. Denn 80% der Touristen besuchten nur 10% der Destinationen. Reise-Influencer, Social-Media-Kanäle und KI sind die Treiber hinter dieser Entwicklung. Was allerdings eine weitere Good News für ein Tourismusland wie die Schweiz ist.
Tourismusdestinationen auf der Gewinnerseite
An den richtigen Destinationen das Geschäft zu machen, ist also die halbe Miete. Das zeigt auch eindrücklich das Geschäftsmodell des Hotelunternehmens Aevis Victoria, das 10 Luxushotels unter anderem in Zermatt, Interlaken und Zürich betreibt. Insbesondere die drei Standorte hätten dem Unternehmen in 2023 einen Rekordumsatz beschert, freut sich CEO Fabrice Zumbrunnen. Der Durchschnittspreis von 560 CHF für ein Zimmer pro Nacht in einem Aevis-Victoria-Hotel trägt massgeblich dazu bei.
Titlis Bahnen, Jungfraubahnen, die BVZ Holding, die Flughafen Zürich AG sowie die Aevis Victoria Gruppe stellten den anwesenden rund 80 Besuchern ihre Geschäftsmodelle in einem Investoren- und Analystenmeeting vor. Moderiert wurde das Meeting vom CEO der Serafin Group, Marcel Weiss, sowie dem Portfoliomanager Patrick Hofer. Serafin hält über seine Fonds Positionen in einigen dieser Unternehmen.
Totgesagtes Gruppenreisegeschäft wieder voll zurück
Um das grosse Bild der Situation des Tourismus in der Schweiz zu komplettieren, bat schweizeraktien.net-Gründer Björn Zern am Ende des Veranstaltungstages zu einer Podiumsdiskussion. Mit dabei: Sylvia Eppailard von Interhome, Karim Twerenbold vom gleichnamigen Reiseunternehmen, Frédéric Füssenich von den Rigi Bahnen und Andreas Gerber von der Swiss.
Karim Twerenbold bestätigte die Eindrücke des Tages. Nach Umsatzverlusten von 90% in 2020 hätte das Unternehmen nur überlebt, weil es im Familienbesitz sei und eine entsprechende Resilienz an den Tag gelegt hätte, weil man stets verantwortungsvoll gewirtschaftet hätte. Das totgesagte Gruppenreisegeschäft sei jetzt wieder voll lebendig, allerdings würden die Buchungen mit kürzerem Vorlauf getätigt. Andererseits sei festzustellen, dass sich das Buchungsverhalten auch insofern verändere, dass z.B. die wichtige Zielgruppe der Ü-60-Jährigen vermehrt digital buche. Twerenbold setzt 90% seiner Reisen im Direktvertrieb ab.
Workation als grosser Trend
Davon könne sie nur träumen, sagte Interhome Co-CEO Sylvia Epaillard. Der Ferienhausanbieter Interhome, in Glattbrugg zu Hause, bietet über seine 115 Servicebüros 36’000 Objekte in touristischen Destinationen an, sowohl am Berg als auch am Strand. Das Unternehmen sei aufgrund seines Geschäftsmodells nicht so stark von der Pandemie getroffen worden wie andere Anbieter, so Epaillard. Man profitiere von der «Workation» als grossem Trend, Ferien und Arbeit durchmischten sich immer mehr. Auch Epaillard beobachtet immer kurzfristigere Buchungen.
Nachhaltigkeit bleibt beherrschendes Thema
Das Podium widmete sich dem Thema Nachhaltigkeit. Karim Twerenbold rief dazu auf, dass Reisen wieder Wertigkeit brauche. Es benötige einen «Resonanztourismus», der einen Widerhall sowohl aufseiten des Reisenden wie aufseiten der anbietenden Destinationen finde. Sylvia Epaillard betonte, dass man die Kunden und die Anbieter von Ferienhäusern mit nachhaltigen Massnahmen nicht bestrafen, sondern belohnen sollte. Ihr Unternehmen wolle Anbieter von Ferienhäusern dazu ermutigen, die richtigen Schritte z.B. betreffend Energie zu gehen, wovon sie dann auch wirtschaftlich profitierten.
Es fehle aber immer noch an der Infrastruktur für das energiearme Reisen, monierte Twerenbold. Das ist natürlich auch ein Thema für eine Fluggesellschaft wie die Swiss. Andreas Gerber sagte mit Blick auf die Strategie der Swiss, man wolle vermeiden/reduzieren/ersetzen. «Vermeiden» von Kurzstrecken wie von Lugano nach Zürich, die nicht mehr angeboten werden, «Reduktion» durch eine effizientere Flotte und «Ersetzen», indem man halbsynthetische Treibstoffe einsetze, die heute allerdings noch 3 bis 5x teurer seien als herkömmliches Kerosin.
Auch wenn der Flughafen Zürich fast den ganzen Tag über in dichten Nebel gehüllt war, so schien beim Branchentalk im Veranstaltungsraum auf der Besucherterrasse des Flughafens die Sonne der Zuversicht. Man konnte förmlich all die Steine rumpeln hören, die von den Unternehmensverantwortlichen in den letzten zwei, drei Jahren abgefallen sind. Heute schaut die Branche auf eine sehr vielversprechende Zukunft – bis zur nächsten Krise. Aber man scheint gewappnet.