Energieanbieter wie der Westschweizer Gasversorger Holdigaz stehen nicht erst seit dem Ende der russischen Gaslieferungen vor der Frage, wie sie ihren Energiemix für die Zukunft umstellen. Das Netto-Null-Ziel beim CO2-Ausstoss bis zum Jahr 2050 verlangt von ihnen einen tiefgreifenden Strategiewechsel, hin zu erneuerbaren Energien wie Solar-, Wind- und Biogas-Kraftstoff.
Deshalb baut Holdigaz diesen Bereich weiter stark aus. Der Anteil der Direktinvestitionen der Gruppe im Bereich erneuerbarer Energien und Innovationen in der Westschweiz hat sich im Geschäftsjahr 2023/24 auf 75,8% erhöht. Auch die Produktion von Biogas an fünf Standorten stieg um 8,4% auf 30.7 Mio. kWh.
Insgesamt erzielte das Unternehmen aus Vevey im Geschäftsjahr 2023/24 (zum 31. März) einen um 4,0% auf 327.9 Mio. CHF gestiegenen Umsatz. Die höheren Beschaffungspreise führten zu einem Rückgang des operativen Gewinns (EBITDA) um 14,3% auf 59.7 Mio. CHF. Unter dem Strich erzielte der Versorger dennoch einen konsolidierten Nettogewinn von 26.9 Mio. CHF (+4,3%).
Im Interview mit schweizeraktien.net umreisst CEO Philippe Petitpierre die Anforderungen rund um die Verschiebungen im Energiemix und erläutert, warum er nicht bereit ist, in Windanlagen in der Schweiz zu investieren. Und er fordert die Politik auf, etwas mehr Pragmatismus in der Debatte um Null-Emissionen bis zum Jahr 2050 walten zu lassen.
Herr Petitpierre, hätten Sie sich vor fünf Jahren vorstellen können, dass Holdigaz in diesem hohen Tempo auf erneuerbare Energien umstellen müsste?
Philippe Petitpierre: Der Einsatz erneuerbarer Energien ist für Holdigaz SA keine Neuheit. Die Gruppe hat schon vor vielen Jahren eine Diversifizierungsstrategie eingeschlagen. Diese Strategie umfasst unter anderem den Erwerb von Unternehmen in Schlüsselbereichen der Energiewende: die Entwicklung erneuerbarer Energien und den Bau, die Sanierung und die energetische Erneuerung von Gebäuden. Seit den 2000er Jahren gehören Unternehmen, die im Bereich Solarenergie (Agena SA), erneuerbare Gase und Abfallverwertung (Ecorecyclage SA) sowie Gebäudetechnik (Brauchli SA, Roos SA und Taxa SA) tätig sind, zur Holdigaz-Gruppe. Außerdem wurden erhebliche Investitionen in Offshore-Windparks in der deutschen Ostsee und in Fonds getätigt, die in Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien, vor allem in Europa, investieren.
Was die lokalen Investitionen in erneuerbare Energien betrifft, hat Holdigaz frühzeitig Projekte zur Entwicklung erneuerbarer Gase initiiert. So haben wir 2010 eine bedeutende Biogasproduktionsanlage in Lavigny (Ecorecyclage SA) erworben. Diese Produktion ergänzt die Versorgung unseres Netzes, insbesondere durch die Nutzung erneuerbarer Gase aus Klärschlamm, wie in Roche und Penthaz. Wir handeln daher nicht aus Dringlichkeit, sondern setzen unsere Strategie fort, erneuerbare Energien und insbesondere Biogas zu nutzen. Es ist kein Zufall und auch kein blindes Vorantreiben, dass die Holdigaz-Gruppe der grösste Produzent von ins Netz eingespeistem Biogas in der Westschweiz ist.
Sie investieren etwa 80 Mio. CHF in die Entwicklung erneuerbarer Energien. Über welchen Zeitraum sind diese Investitionen geplant? Und in welche erneuerbaren Energien fliesst der Grossteil dieser Investitionen?
Unsere Investitionen sind auf erneuerbare Energien ausgerichtet, die unserer Strategie und Energievision entsprechen. Die Amortisationsdauer hängt von jedem einzelnen Projekt ab. Daher gibt es bei uns keine feste Amortisationsregel. Jedes Projekt wird einer eigenen finanziellen Analyse unterzogen, die die Amortisationsdauer festlegt.
Sie haben sehr gute Ergebnisse sowohl in der Installation von Solarmodulen als auch im Bereich des Solarenergie-Contractings erzielt. Welchen Anteil am Energiemix streben Sie für Solarenergie an?
Auch hier gibt es keine festgelegte Regel für den Anteil der Solarenergie in unserem Energiemix. Dieser ist marktabhängig, und wir lassen unseren Unternehmen im Solarsektor die Freiheit, ihre Ziele und Leistungserwartungen selbst festzulegen. Die finanziellen Erfolge in diesem Bereich sind hervorragend, sodass wir diese Entwicklung nur ermutigen können. Im Februar dieses Jahres wurde die Gesellschaft NovoEnergies SA, ebenfalls im Bereich erneuerbare Energien, vor allem Solarenergie, gegründet, um die Strategie der Gruppe weiter zu konkretisieren. Im Bereich der Eigenproduktion setzen wir ebenfalls keine Ziele fest; Investitionsentscheidungen werden auf Grundlage der finanziellen Parameter jedes einzelnen Projekts getroffen.
Wie steht es um die Windenergie? Welche Schwierigkeiten treten im Genehmigungsverfahren auf?
Wir sind im Bereich der Offshore-Windenergie tätig, naturgemäss im Ausland. Daher haben wir keine administrativen Schwierigkeiten, da wir in bestehende Strukturen investieren, die alle administrativen Hürden bereits überwunden haben. Angesichts der zahlreichen Hürden im Inland sind wir nicht bereit, in Onshore-Anlagen in der Schweiz zu investieren.
«Angesichts der zahlreichen Hürden im Inland sind wir nicht bereit, in Onshore-Anlagen in der Schweiz zu investieren»
Die Frage der Speicherung erneuerbarer Energien bleibt ein zentrales Hindernis. Welche Strategie verfolgen Sie?
Die Gasindustrie hat das Glück, über eine europäische Speicherinfrastruktur mit Netzwerken und unterirdischen Speicherkapazitäten, etwa in Etrez in Frankreich, zu verfügen. Diese Infrastruktur, die für die Energiewende unerlässlich ist, ermöglicht es der Gasindustrie, sowohl Erdgas als auch erneuerbare Gase zu speichern. Zudem lässt sich überschüssige erneuerbare Elektrizität durch den Power-to-Gas-Prozess in erneuerbares Gas umwandeln, was eine saisonale Speicherung ermöglicht, von Sommer zu Winter, und den bestehenden Gasinfrastrukturen zugutekommt.
Sie waren und sind ein klassischer Gasanbieter. Jetzt engagieren Sie sich stark für die Entwicklung von Biogas und Biomethan. Wann wird Biogas im Lieferumfang das konventionelle Gas mengenmässig übertreffen?
Die Schweizer Gasindustrie und insbesondere die Gruppe Holdigaz bemühen sich, den Anteil erneuerbarer Gase am Gasverkauf zu steigern. Von wenigen Prozentpunkten aktuell soll der Anteil durch Eigenproduktion und den Erwerb erneuerbarer Gase aus dem Ausland kurzfristig auf einige Dutzend Prozent steigen. Das Ziel der Kohlenstoffneutralität bis 2050, das die Schweizer Gasindustrie anstrebt, unterstützen wir in Vevey. Holdigaz SA ist ein Pionier in der Entwicklung erneuerbarer Gase in der Westschweiz und wird diese Position auch künftig beibehalten.
Manche Energieversorger in der Schweiz planen den Einstieg in die Fernwärme. Welche Strategie verfolgt Holdigaz in diesem Bereich?
Zentralisierte Fernwärme ist keine Modeerscheinung, sondern eine Alternative zu dezentralen thermischen Energien wie Erdgas. Holdigaz hat nicht auf diesen „Trend“ gewartet, um sich auf dieses Gebiet zu begeben: Schon seit den 1970er-Jahren betreibt der Gasanbieter in Vevey einen der ersten Fernwärmeanlagen zur Versorgung der Gebäude an der Avenue du Général-Guisan. Ausserdem realisiert Holdigaz derzeit eine Fernwärmeanlage im Anergie-Typ, die die Temperatur des Genfersees durch Wärmepumpen nutzt und so die nötige Wärme für ein ganzes Viertel in der Gemeinde Bourg-en-Lavaux erzeugt.
«Zentralisierte Fernwärme ist keine Modeerscheinung, sondern eine Alternative zu dezentralen thermischen Energien wie Erdgas»
Ihr Engagement für Softcar, das teils mit Strom und teils mit Biogas betrieben werden soll, zeigt, wie wichtig Ihnen die Umstellung auf „grüne“ Energie ist. Im Oktober präsentierten Sie Softcar auf dem Pariser Autosalon. Wie waren die Reaktionen der Fachwelt?
Die erste Begegnung mit dem breiten Publikum sowie Fachleuten aus Medien und der Hersteller verlief sehr positiv. Das Konzept des Fahrzeugs, sowohl was das industrielle als auch das technische Design angeht, weckte grosse Neugier.
Ich erinnere mich, dass wir vor drei Jahren über den bevorstehenden Markteintritt von Softcar gesprochen haben. Was war der Grund für die Verzögerungen? Wann werden wir Softcar auf den Strassen sehen?
Es gab hauptsächlich Schwierigkeiten im Zulassungsprozess, die komplexer waren als ursprünglich gedacht. Das nächste Ziel ist die Errichtung der ersten Produktionsstätte in der Industriezone von Aigle, sodass die Produktion im Winter 2025 beginnen und Softcar ab dem zweiten Quartal 2026 auf dem Markt sein wird.
«Softcar WIRD Ab dem zweiten Quartal 2026 auf dem Markt sein»
Ein Blick in die Zukunft: Die Energiewende mit null Emissionen bis 2050 – ist das realistisch?
Das ist wie ein Glücksspiel! Alles hängt von den verfügbaren finanziellen Mitteln und den gesetzlichen Instrumenten ab.
Was sollten die Politiker tun, um Unternehmen wie Ihres bei der Transformation zu unterstützen? Und was läuft in der politischen Wahrnehmung falsch?
Sie sollten etwas Pragmatismus in die Debatte bringen! Allein in der Schweiz gibt es etwa 2 Millionen beheizte Gebäude; die Bundesregierung spricht von 1,5 Millionen Gebäuden, die in den nächsten zehn Jahren energetisch saniert werden müssen. Das ist mehr, als wir mit den aktuellen Ressourcen schaffen können.
Herr Petitpierre, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Die Aktien von Holdigaz werden ausserbörslich auf OTC-X gehandelt. Zuletzt wurden Kurse von 142.50 CHF je Aktie gezahlt. Für das vergangene Geschäftsjahr 2023/24 zahlte Holdigaz eine Dividende von 6 CHF je Aktie. Bei einer gleichbleibenden Ausschüttung ergibt sich daraus eine Rendite von 4,2%.