Es ist eine Rückkehr an die Börse, denn Sunrise war bereits börsenkotiert – bis 2020. Damals hatte der US-Telekomgigant Liberty Global das Unternehmen übernommen und daraufhin die Dekotierung betrieben. Schon seit Februar 2023 wird der erneute Börsengang durch zahlreiche Ankündigungen und Pressemitteilungen avisiert. Was steckt hinter der Transaktion, wie ist sie strukturiert und was können die neuen Aktionäre erwarten?
Ein kurzer Blick auf den Platzhirsch am Schweizer Telekom-Markt, Swisscom, offenbart, dass sich interessierte Anleger nicht allzu viel versprechen sollten. Seit 2012 zahlt Swisscom eine unveränderte Dividende von 22 CHF je Aktie. Nach dem Kursrutsch der letzten Woche beträgt die Dividendenrendite 4,1%. In den vergangenen fünf Jahren lag der Jahresumsatz relativ stabil bei knapp über 11 Mrd. CHF, der Nettogewinn pendelte geringfügig um die 1.7 Mrd. CHF, wovon 1.1 Mrd. CHF als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Auch der Aktienkurs zeichnet sich durch eine Seitwärtsbewegung aus, die sich in den letzten 10 Jahren zwischen 450 CHF und 600 CHF abspielt. Bei dieser Aktie passt die in der Schweiz gern und häufig verwendete Titulierung „Obligationenersatz“.
Telekom-Marktanteile in der Schweiz
Der Telekom-Markt war einst ein Wachstumsmarkt, ist jedoch zwischenzeitlich in den reifen Volkswirtschaften saturiert. In weiten Teilen handelt es sich um ein Commodity-Business, obwohl es weiterhin in Teilbereichen Innovationen gibt. Die Marktanteile in der Schweiz ändern sich kaum. Swisscom dominiert mit einem Marktanteil von rund zwei Dritteln das Festnetzsegment, die zweitplatzierte Sunrise kommt auf 14%. Im Segment Mobilfunk liegen die Marktanteile bei 57% respektive 24%. Im Segment Breitband sind es 50% respektive 29%. Den Rest des Marktes teilen sich abgeschlagen Salt, Quickline und weitere Anbieter.
Kein schärferer Wettbewerb zu erwarten
Wie Sunrise explizit ausführt, sind Marktanteilsgewinne durch Wettbewerbsintensivierung in der Schweiz nicht das Ziel. Vielmehr sollen differenzierte kundenspezifische Lösungen beispielsweise für KMU, grössere Unternehmen und Privatkunden dazu beitragen, die Margen selektiv zu erhöhen. Das scheint aussichtsreich, denn Sunrise hat weiterhin Zugriff u.a. auf Entertainment- und Sportübertragungsrechte des Liberty Global Content-Portfolios. Dazu kommen zahlreiche Streaming-Apps wie Netflix, Apple TV und Disney. Einen Wettbewerbsvorsprung bietet die neue TV-Box, die nicht nur aus rezykliertem Plastik besteht, sondern auch 20% weniger Strom verbraucht, also einen grossen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit macht. Der Verzicht auf Preisschlachten trifft sich insofern gut, als Swisscom wohl auf Jahre hin den Fokus hauptsächlich auf die Integration der Akquisition der Vodafone-Aktivitäten in Italien richten wird. An hartem Preiswettbewerb sind beide Markführer nicht interessiert, was typisch für eine Oligopolstruktur in einem begrenzten und regulierten Markt ist. Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass die Schweizer Eidgenossenschaft unverändert die Mehrheit am Aktienkapital von Swisscom hält.
Priorität: Schuldenabbau
Bei Sunrise sollen die hohen freien Cash-Flows vorrangig zur Reduzierung der Verschuldung verwendet werden. Die Verbindlichkeiten bewegen sich etwa beim Viereinhalbfachen des EBITDA, bei Swisscom dagegen trotz der Übernahme des italienischen Vodafone-Geschäfts lediglich beim Zweieinhalbfachen des EBITDA. Ziel von Sunrise ist es, den Aktionären eine Dividendenrendite von wenigstens 4% zu bieten. Zu den Pluspunkten zählt, dass die Ausschüttung in den ersten Jahren steuerfrei erfolgen wird.
Wer ist Liberty Global?
Wie kommt es, dass Sunrise so hoch verschuldet ist? Dazu ist ein Blick auf die Vorgeschichte und das Geschäftsmodell von Liberty Global sowie die wertoptimierenden Taktiken des Grossaktionärs John Malone hilfreich, wenn nicht sogar unerlässlich. Liberty Global sitzt in den USA und ist durch zwei sogenannte Tracking Stocks an der Nasdaq kotiert. Die eine Gesellschaft hält Beteiligungen an europäischen Telekom-, Vertriebs- und Content-Gesellschaften, die andere an entsprechenden Gesellschaften in Lateinamerika und in der Karibik. In den USA ist Liberty Global nicht aktiv.
Die Vorgehensweise zur Renditesteigerung
Zum Geschäftsmodell gehören Akquisitionen, Konsolidierungen, Abspaltungen. Nicht anders als Private Equity-Investoren werden die Zielgesellschaften in der Regel mit wenig Eigenkapital und viel Fremdkapital übernommen. Dafür genehmigt sich der Alleingesellschafter in der Halteperiode hohe Dividenden. Das funktioniert im Telekomgeschäft gut, weil die Cash-Flows hochgradig prognostizierbar sind. So wird eine hohe Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital erzielt. Wird die Gesellschaft dann nach einigen Jahren, so wie jetzt Sunrise, wieder an die Börse gebracht, bleibt der Verschuldungsgrad hoch und muss erst einmal reduziert werden, um ein besseres Kreditrating erzielen zu können. Ein gutes Beispiel ist die 2009 getätigte Übernahme des deutschen Kabelnetzbetreibers Unitymedia, kurz UPC, für 3.5 Mrd. Euro. Bereits 2014 zeigte sich Vodafone interessiert, die Gespräche scheiterten. 2018 kam dann jedoch die Transaktion zustande, allerdings ergänzt um die Liberty Global Aktivitäten in Rumänien, Tschechien und Ungarn. Der Preis: 18.4 Mrd. Euro. Der Vorstoss von 2014 hat wohl nicht gefruchtet, weil die deutsche Wettbewerbsbehörde keine Fusionen unter Kabelnetzbetreibern genehmigen wollte. Daraufhin wurde das grössere Paket geschnürt, und da es somit eine EU-Angelegenheit geworden war, waren nun die EU-Wettbewerbsbehörden und die EU-Kommission zuständig. Die sahen keine Monopolbildung und genehmigten die Transaktion 2019.
Kapitalgewinne und Steueroptimierung
Für Liberty Global war es ein lukratives Geschäft. Es wurden in der Halteperiode 3.8 Mrd. Euro abgeschöpft und beim Verkauf weitere 7.2 Mrd. Euro Kapitalgewinn verbucht. Die Unternehmenssteuern während der Halteperiode beliefen sich auf nur 50 Mio. Euro, der Veräusserungsgewinn konnte ebenfalls nahezu steuerfrei gestaltet werden. Es passt ins Bild, dass Liberty Global bei der komplexen Struktur des Spin-offs von Sunrise durch Aktien mit 10fachem Stimmrecht am Ende 30% der Stimmrechte kontrolliert.
Geschäftszahlen 2023
Im Geschäftsjahr 2023 lag der Umsatz von Sunrise bei 3 Mrd. CHF. Davon entfielen jeweils 35% auf Festnetz und Mobiltelefonie sowie 26% auf das B2B-Geschäft. Die adjustierte EBITDA-Marge beträgt 34%, die Free Cash-Flow-Marge 12%. Es ist ein “Pure Play” auf den Schweizer Telekom-Markt. Zu den Vorteilen für die bestehenden amerikanischen Aktionäre zählen die deutlich tieferen Kosten des Fremdkapitals in Schweizerfranken sowie auch die tiefere Inflation und Steuerquote in der Schweiz. Zunächst wird Sunrise nach dem Spin-off überwiegend amerikanische Anteilseigner haben. Da das Interesse der Liberty Global Aktionäre an einem Pure Play auf den im globalen Massstab kleinen Schweizer Telekom-Markt begrenzt sein dürfte, ist zu erwarten, dass die meisten Aktien in die Schweiz wandern werden.
Zeitplan
Deshalb werden zunächst Bezugsrechte an die Aktionäre verteilt, deren Handel am 4. November an der Nasdaq aufgenommen wurde. Ab 12. November werden dann die Aktien ausgegeben. Die Aktionäre können bei dieser Strukturierung der Transaktion entscheiden, ob sie die Aktien beziehen wollen. Für erste Indikationen zum Aktienkurs wird es ab 12. November kommen, nachdem der Aktienhandel an der Nasdaq aufgenommen wurde. An der SIX wird der Aktienhandel voraussichtlich am 15. November starten. Das Kürzel ist SUNN. Die Sunrise Aktie wird spätestens nach fünf Handelstagen, also bis 22. November in den SPI Index der SIX aufgenommen werden. Damit kommen institutionelle Investoren, die passiv gemanagte Index-Fonds oder -ETFs in ihrer Produktpalette haben nicht um die Aktie herum. Ob sich viele Privatanleger für Sunrise begeistern können, wird erst die Zeit zeigen. Es ist davon auszugehen, dass der Grossteil des Sunrise-Aktienhandels an die Schweizer Börse migrieren wird.
Zwei Klassen von Aktien
Die Aktionäre von Liberty Global erhalten ein Sunrise A-Bezugsrecht für je fünf Liberty Global A- oder C-Aktien sowie zwei B-Bezugsrechte für eine Liberty Global B-Aktie. Der Unterschied ist, dass die B-Aktie nur mit einem Zehntel an den ökonomischen Ansprüchen teilhat, aber mit vollem Stimmrecht ausgestattet ist. Die B-Aktien werden an keiner Börse gehandelt. Diese Struktur ist in Übereinstimmung mit dem Schweizer Recht, was in den Informationsdokumenten zum Spin-off hervorgehoben wird.
Zahlen des dritten Quartals
Im dritten Quartal 2024 ging der Umsatz um 1,3% auf 749 Mio. CHF zurück. Die Entwicklung verlief unterschiedlich. Während das dominierende Privatkundengeschäft einen Rückgang um 4,4% auf 538.6 Mio. CHF verzeichnete, stieg der Umsatz im Segment Geschäftskunden und Grosshandel um 6,8% kräftig auf 207.3 Mio. CHF. Bis Jahresende sollen die Verbindlichkeiten um 1.5 Mrd. CHF zurückgeführt werden. Für das Geschäftsjahr 2024 wird eine Dividendenzahlung in Höhe von mindestens 240 Mio. CHF versprochen. Die Dividendenzahlungen der nächsten fünf Jahre und mehr unterliegen nicht der Schweizer Verrechnungssteuer, so die offiziellen Aussagen von Sunrise anlässlich des Spin-offs.
Fazit
Die Bereicherung des Kurszettels durch Sunrise ist erfreulich, nach den zahlreichen Abgängen durch Fusionen und Taking Privates vom Kurszettel der SIX in der jüngeren Vergangenheit. Durch die schiere Umsatzgrösse wird Sunrise schnell ein Mitglied im SPI-Index und gewinnt dadurch auch am Kapitalmarkt Visibilität. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass Sunrise für Schweizer Investoren kein komplett neuer Name auf dem Kurszettel ist, immerhin war das Unternehmen bis 2020 schon einmal an der SIX kotiert. Ob die Aktie in das Portfolio passt, kommt auf die Anlagestrategie des Investors an. Der Telekom-Sektor zeichnet sich durch seine relative Reife aus, aber eben auch durch gut prognostizierbaren Cash-Flow. Wer starke Wachstumsraten sucht, wird in anderen Wirtschafts-Sektoren eher fündig. Für Sunrise spricht zweifellos die zu erwartende Dividendenkontinuität, doch grosse Steigerungen sind eher unwahrscheinlich. Gegen ein Engagement spricht die Tatsache, dass die B-Aktien nur 3% des Aktienkapitals repräsentieren, jedoch einen Stimmanteil von 30%. Dies mag zwar gesetzeskonform sein, steht jedoch im Widerspruch zur Best Practice-Regel “one share, one vote”.