Das Rohstoffland Kanada hat schon lange eine «Critical Minerals Strategy», die EU hat seit März 2024 eine Verordnung zu «Kritischen Rohstoffen». Und im Dezember 2024 hat auch der Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft den «Bericht über die Versorgung mit mineralischen Rohstoffen, die für die Energiewende benötigt werden», zur Kenntnis genommen. Alles gut also?
Die unvermittelt erhobenen territorialen Ansprüche der USA mit Blick auf die rohstoffreichen Länder Kanada und Grönland zeigen, dass das bisher Undenkbare schnell Realität werden kann. Gewachsene Partnerschaften zerbrechen, Allianzen können über Nacht zu Gegnerschaften werden. Der Nachbar Kanada soll 230 Jahre nach der Grenzziehung nun als 51. Bundesstaat von den USA geschluckt werden. Frankreich bot dem EU-Partner Dänemark an, ihm in der Verteidigung des seit 600 Jahren zum Staatsgebiet zählenden Grönland gegen Verletzungen der Souveränität von aussen beizustehen.
Rohstoff-Abhängigkeit Europas
Mineralien und Metalle sind für das eher rohstoffarme Europa essenziell, um in Industrie, Technologie, Wissenschaft und Forschung an der Spitze zu bleiben. In der Vergangenheit gab es selten Engpässe in der Versorgung mit Eisenerz, Kupfer, Öl, ausser in Kriegssituationen. Doch in früheren Zeiten sicherten Kolonien und später Abbaukonzessionen den stetig steigenden Bedarf Europas, insbesondere seit Beginn der Industrialisierung.
Rohstoffhunger steigt
Viele der leicht und kostengünstig abbaubaren Ressourcen sind in den letzten 100 Jahren jedoch abgetragen worden. Neue Vorkommen zu finden, wird schwieriger und die Gewinnung teurer. Zudem ändert sich das Nachfrageprofil. Blei ist kaum noch gefragt, Kupfer, Nickel, Kobalt und Germanium dagegen mehr und mehr. Rohstoff ist nicht gleich Rohstoff. Problematisch aus europäischer Sicht ist die Tatsache, dass viele der Ressourcen an kritischen und strategischen Mineralien in einigen wenigen Ländern konzentriert sind. Rund die Hälfte des Kupfers, des Schlüsselmetalls der modernen Zivilisation, kommt beispielsweise aus Chile und Peru. Lithium kommt überwiegend aus Chile, Argentinien, China und Australien auf den Weltmarkt.
Kritische Mineralien für Zukunftstechnologien unverzichtbar
Kritisch heissen manche Mineralien, weil die Produktion sogar hochgradig konzentriert ist. 98% des Elements Bor wird in der Türkei abgebaut. Kobalt kommt zu 90% aus der Demokratischen Republik Kongo. Bei Germanium, Gallium, Indium, Terbium, Europium und weiteren sogenannten Seltenen Erden kontrolliert China den Grossteil der Ressourcen, aber auch die Technologien zur Förderung, Verarbeitung und Veredlung.
Wenn Mineralien «strategisch» werden
Viele der Seltenen Erden sind unverzichtbar für SmartPhones, Displays, Halbleiter, Datenzentren, Solar- und Windkraftwerke, E-Mobilität und weitere Anwendungen, deren Nachfrage anzieht. Die Exportkontingente werden von China schon seit 2010 restriktiv gehandhabt, in den vergangenen Jahren sogar verschärft. Es ist Teil des Handelskrieges mit den USA. Die Exploration nach alternativen Lagerstätten hat bisher nur bescheidene Erfolge gebracht. Etliche Projekte wurden auch von Bevölkerung oder Regierung abgelehnt oder gekippt. Ein grösseres Vorkommen im Norden Schwedens wird wohl nicht vor 2035 die Förderung aufnehmen.
Rohstoff-Insel Grönland im Visier
Dem Griff Trumps nach Grönland kommt daher eine signalhafte Bedeutung zu. Nur 57’000 Menschen leben auf einem Gebiet, das sieben mal grösser als Deutschland ist. Der grönländische Eisschild taut schnell ab, und die Bevölkerung geniesst weitgehende Autonomie, strebt aber nach vollständiger Unabhängigkeit von Dänemark. U.a. wurden bereits grosse Vorkommen von Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium nachgewiesen, also den Elementen, bei denen die Nachfrage in den nächsten Jahrzehnten am stärksten ansteigt. Laut der EU-Road Map zur Klimaneutralität bis 2050 impliziert diese eine Steigerung der Nachfrage für Kupfer um 1000%, bei Nickel sogar um 2000%. Beiläufig erwähnt: Die USA besetzten Grönland nach der Invasion Dänemarks durch das Deutschen Reich von 1940 bis 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde eine Militärbasis eingerichtet, die bis heute Bestand hat.
Kooperation Schweiz – EU
Die Schweiz ist zwar Sitz von einigen der weltweit grössten Rohstoff-Konzerne wie Glencore und Trafigura, doch bei der Rohstoff-Versorgung verlaufen die Handelsströme überwiegend durch die EU. Im Bericht für den Bundesrat heisst es zur Versorgungslage, dass die Industrie «hauptsächlich Halbfertigprodukte und Komponenten aus der EU verarbeitet». Abnehmer sind u.a. die Industrien Maschinenbau, Elektronik, Pharma, Nahrungsmittel, Chemie, Optik. Bei einigen Mineralien, darunter Kupfer, Graphit, Kobalt, Nickel, besteht eine starke Importkonzentration auf wenige Produktionsländer. Das Gesamtprofil der Schweiz unterscheidet sich kaum von dem der EU-Länder. Auch die Interessen sind gleich.
Diplomatie, Kreislaufwirtschaft und Innovationen durch Forschung
Die Schweiz engagiert sich in der Aussenwirtschaftspolitik u.a. für die Erleichterung von Importen und den Ausbau von Handelsabkommen. Konkret soll die Informationsbasis verbessert und ein periodischer Rohstoffbericht des Bundesrates zur Monitoring- und Steuerungsgrundlage werden. Auf nationaler Ebene sollen der Dialog mit Unternehmen und Verbänden, auch KMU, verbessert und Expertengruppen eingerichtet werden. International sollen die Beziehungen mit der EU weiter vertieft und auch Kooperationen und Investitionen geprüft werden. Kernpunkte beiben für die Schweiz die Fokussierung auf die Recycling-Wirtschaft sowie die Fortführung der Umweltpolitik mit der Förderung nachhaltiger Bewirtschaftung entlang des Lebenszyklus. Von hoher Bedeutung bleibt auch die Stärkung von Forschung & Innovation, beispielsweise die Entwicklung von Alternativmaterialien zur Substitution kritischer Mineralien. Bei vielen Zukunftsindustrien spielen die ETH und ihre Umgebung sowie weitere Forschungszentren global eine führende Rolle.
Kampf um Ressourcen und stabile Versorgung
Das bisher stabile Kanada ist insbesondere seit der russischen Invasion in der Ukraine ein Hoffnungsträger für Europa geworden. Die geo-politische Landkarte hat sich in den letzten Jahren gravierend geändert. China hat selbst einen grossen Rohstoffhunger und limitiert die Ausfuhren kritischer Mineralien zunehmend. China kontrolliert auch viele Minen in Südostasien, Afrika und Lateinamerika. Russland ist zwar sanktioniert, doch die Rohstoffe finden weiterhin ihren Weg zu den Endverbrauchern, auch als Gas im Westen, nur eben jetzt als LNG, da dieses nicht sanktioniert ist. Kanada mit seinen reichen Ressourcen hat sich als zuverlässiger langfristiger Partner bei der Versorgung mit kritischen Mineralien für Europa erwiesen. Der Ausbau der Förderung erfordert allerdings erst einmal Exploration, Planung, Infrastruktur und Finanzierung.
Kontrolle der Arktis
Kanada und auch Grönland sind nicht nur reich an Rohstoffen, sondern auch relativ bevölkerungsarm. Beide Länder liegen in arktischen Regionen und haben damit entsprechende Hohheitsansprüche. Und diese grenzen an die Russlands. Dazu kommt, dass sich das ewige Eis als Folge des Klimawandels schnell zurückzieht. Die Beringstrasse wird somit immer länger eisfrei. Sie verkürzt den Transportweg zwischen den USA und Ostasien um mehr als die Hälfte. Obwohl die Arktis geschützt werden soll, gibt es dort bereits Hunderte von Öl- & Gas-Projekten. Daran sind westliche Majors ebenso wie staatliche Ölgesellschaften beteiligt. Russland ist prominent vertreten und hat schnell in der plötzlich aufgeworfenen Grönland-Frage seine territorialen Ansprüche in der Arktis bekräftigt.
Recycling als Teil-Lösung
Die Welt ist offensichtlich unsicherer geworden, vor allem für Europa. Dies betrifft Lieferketten mit essenziellen Rohstoffen ebenso wie die Verteidigung und die territoriale Integrität. Mit Blick auf den Zugang zu kritischen und strategischen Mineralien ist die Fokussierung auf effiziente Recyclinglösungen, wie in der Schweiz praktiziert, ein wichtiger Weg, um Abhängigkeiten und hohe Kosten zu reduzieren. Ziel der EU ist es, den Anteil von Recyclingmaterial beim Verbrauch von Mineralien bis 2050 auf 25% zu erhöhen.
Treiber der Nachfrage
Ob Digitalisierung, Rechenzentren, KI oder Elektrifizierung der Mobilität – sie alle treiben den Bedarf an kritischen Rohstoffen exponenziell. Beispielsweise benötigen KI-gestützte Datenzentren aufgrund der Energiedichte rund 60% mehr Kupfer. Dazu treten nicht weniger dynamische Nachfragesteigerungen durch die rapide Entwicklung in Ländern wie Indien. Dort liegt der Kupfer-Verbrauch noch bei 0.3 kg pro Jahr und Kopf der Bevölkerung. In China sind es 7.1 kg, in Deutschland 13.7 kg.
Die aktuellen und prognostizierten Wachstumsraten in Indien liegen bei fast 7%. Indonesien ist ebenfalls zu einer Lokomotive der Weltwirtschaft geworden. Ein Teil der Wachstumsraten von 5% p.a. ist auf intensivierten Bergbau zurückzuführen. Demgegenüber bewegen sich Europa und die USA bei rund 2% BIP-Wachstum und China bei über 4%.
Fazit
In den hochtechnologisierten modernen Gesellschaften basiert nahezu alles wirtschaftliche Geschehen auf dem Vorhandensein von Kommunikations- und Versorgungsinfrastruktur, Energie, Mobilität sowie ungebremsten Güterströmen. Damit KI, Digitalisierung und Elektrifizierung funktionieren, braucht es in wachsendem Ausmass Investitionen, die zu einer grossen und steigenden Nachfrage nach Mineralien und Metallen führen. Viele davon sind aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften bislang unersetzlich und ausserdem relativ rar auf dem Planeten gesät. Die Versorgung mit diesen kritischen und strategischen Elementen ist für das Florieren der Wirtschaft essenziell. Das Thema rückt durch die aktuellen geopolitischen Krisen und Konflikte auch für die «neutrale» Schweiz umso mehr in den Vordergrund, als nun vom zukünftigen Präsidenten der USA auch offen Verletzungen der territorialen Integrität nicht ausgeschlossen werden.