
Und dann manifestiert sich doch noch etwas Widerstand. Die LPSO Holding der ägyptischen Familie um Samih Sawiris offeriert gemäss Mitteilung vom 16. Dezember in einem freiwilligen öffentlichen Kaufangebot 5.60 CHF in bar für alle Titel der Immobilien- und Hotelgruppe Orascom Development Holding (ODH) und will die Gesellschaft so von der Börse nehmen. Das teilte die Gesellschaft am 16. Dezember mit, die Andienungsfrist läuft noch bis zum 5. Februar.
Die Sawiris-Familie besass bereits zuvor fast 78% der ODH-Aktien. Mit dem «Going Private» würde eine unrühmliche Geschichte an der Schweizer Börse ihr Ende finden. Die Titel wurden im Jahr 2008 zu einem Preis von 152 CHF bei Publikumsaktionären platziert. Obwohl die Meldung in der Vorweihnachtszeit kaum Wellen warf, häufen sich nun die Medienberichte und Aktionärsmeldungen, die das Angebot als viel zu tief – oder auch als «dreist» oder «Zumutung» beschreiben.

Desinteresse der Anleger ausgenutzt
Zwar betrug der Kurs anfangs Dezember 3.80 CHF und ODH konnte in der Going-Private-Offerte von einer Prämie von 40% sprechen. Doch mit Blick auf die Kursentwicklung der vergangenen Jahre und dem Gutachten des Unternehmenswerts, der zu diesem «fairen Wert» führt, geht bei vielen Aktionären der Hut hoch. Die Sprecher und Vertreter, die bisher für ODH in der Schweiz kommuniziert haben, gehen auf Tauchstation. Das hat mit der speziellen Situation zu tun: Die Familie Sawiris, die das Übernahmeangebot macht, ist auch beim Kaufobjekt die bestimmende Stimme. Ob das Management ODH selbst überrascht und enttäuscht ist vom Angebot, lässt sich deshalb nicht herausfinden.
Der Aktionär Andrin Renz hat in einem Blog-Eintrag andere Mitaktionäre aufgefordert, seinen Widerstand gegen dieses Angebot zu unterstützen. Ludwig Loretz, ehemaliger Urner FDP-Landrat und Unternehmer aus Andermatt, meint gegenüber schweizeraktien.net: «Angesichts dessen, dass im April 2023 noch Aktien für 7 CHF neu ausgegeben wurden, wäre das für mich der absolute Mindestpreis.» Dies wäre für ihn auch ein Commitment, dass die Firma an sich und an das Geschäftsmodell glaubt und Vertrauen darin hat. Auf seiner Website ist Loretz etwas weniger diplomatisch: Das Angebot sei eine «dreiste Sache»; es werde «schamlos» ausgenutzt, dass der breite Markt das Interesse an Orascom verloren habe, heisst es da.
Kapitalerhöhung fand kaum Beachtung
Naguib Sawiris, Verwaltungsratspräsident von ODH, gibt dem FDP-Landrat indirekt recht. In einem Artikel auf der Finanzplattform tippinpoint meint er, dass eine Art Vorentscheidung bereits bei der Kapitalerhöhung vor zwei Jahren gefallen sei. Weniger als 5% der Minderheitsaktionäre hätten damals an der Kapitalerhöhung zu 7 CHF teilgenommen. «Das war ein klares Zeichen dafür, dass das Interesse an der Aktie deutlich nachgelassen hatte», so Naguib Sawiris.
Rückblickend sei er sehr überrascht, frustriert und auch enttäuscht über die auf die Kapitalerhöhung folgende Reaktion des Aktienmarktes gewesen. Wieso er sich nicht bereits nach der missglückten Kapitalerhöhung dazu entschied, die Gesellschaft von der Börse zu nehmen, ist das Geheimnis des Sohns von Samih Sawiris, der 2022 von seinem charismatischen Vater das Präsidentenamt übernahm.
Lockvogel Landreserven
ODH wäre nicht das erste Unternehmen, dass nach dem Börsengang Probleme bekommt, an der Börse eine miserable Leistung zeigt und dann verschwindet. Aktionäre müssen damit leben: So wie sich eine Aktie zur Kursrakete entwickeln könnte, so kann sie auch abstürzen. Nicht umsonst heissen Aktien «Risikopapiere». ODH hatte mit Reiseeinschränkungen während der Pandemie, Konflikten im Nahen Osten und einer hohen Inflation immer wieder mit Rückschlägen zu kämpfen. Im Jahr 2008 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 568 Mio. CHF und einen Reingewinn von 116 Mio. CHF. Fünfzehn Jahr später lag der Umsatz bei 655 Mio. CHF und der Gewinn bei 54 Mio. CHF. Diese operative Flaute schlug auch auf den Aktienkurs durch.
Doch die Aktionäre engagierten sich nicht wegen der operativen Ergebnisse in ODH. Für Attraktivität sorgen die riesigen Landreserven, die zum Einstandspreis und damit mit erheblichen stillen Reserven in der Bilanz vorhanden sind. Dies kehrte auch das Management von ODH in den vergangenen Jahren immer wieder hervor. Etwa der CEO Omar El Hamamsy im Gespräch mit schweizeraktien.net im Oktober 2023: «Der Immobiliendienstleister CBRE hat bereits vor ein paar Jahren allein die Landreserve in El Gouna mit 2.3 Mrd. CHF bewertet.»
Auf einmal ohne Wert
Die Art und Weise, wie der Wert des Unternehmens für das Angebot zum Börsenrückzug berechnet wird, – und wie sich die Kommunikation des Unternehmens diesbezüglich innert Kürze komplett verändert hat, – sorgt bei den Aktionären für Ärger. Die Landreserven werden in der «Fairness Opinion» nicht berücksichtigt. Insgesamt besitzt ODH mehr als 100 Mio. m2 in sieben Ländern (Ägypten, Oman, Vereinigte Arabische Emirate, Montenegro, Schweiz, Grossbritannien, Marokko), wovon knapp 60% noch unerschlossen sind.
Gut ein Drittel davon entfällt auf die grösste Destination, El Gouna in Ägypten. Die ägyptischen Landreserven werden nur zu 53 Mio. CHF bilanziert. Der Wert der übrigen unerschlossenen Landreserven wird im Übernahmeangebot gar nicht berücksichtigt. Noch in einer Investoren-Präsentation im September 2024 wird der Wert der unerschlossenen Landreserven in El Gouna mit 1.2 Mrd. CHF veranschlagt.

Der Blickwinkel wird verändert
In der «Fairness Opinion», die von der Zürcher Corporate-Finance-Boutique IFBC im Auftrag des Verwaltungsrats von Orascom durchgeführt wurde, steht, dass «nur Immobilienprojekte in der Bewertung reflektiert werden, die sich derzeit in der Pipeline von Orascom Development Holding befinden und im Businessplan berücksichtigt sind». Dies ist umso erstaunlicher, weil das Management von ODH in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hinwies, dass das Unternehmen viel zu tief bewertet werde, weil diese Landreserven von den Anlegern nicht berücksichtigt würden.
Als Managing Partner von IFBC, die ihre «Fairness Opinion» vor allem auf die jüngste Aktienkursentwicklung abstützten, arbeitet unter anderem Thomas Vettiger. Er ist auch Mitglied der Übernahmekommission (UEK), einer Bundesbehörde. Das ist kein aussergewöhnliches Vorkommnis, sondern eine stossende Praxis in der «kleinteiligen» Schweiz.
«Squeeze-Out zu diesem Preis verhindern»
Investoren, die überzeugt sind, dass die Orascom-Aktien zu 5.60 CHF markant unterbewertet sind, werden die Andienung verweigern, Aktionär bleiben und hoffen, die Titel später zu einem besseren Preis veräussern zu können. Gemäss dem öffentlichen Kaufangebot der LPSO Holding wird diese ein Squeeze-Out-Verfahren durchführen, sobald sie mehr als 98% der Aktien besitzt. Verzichtet wird vorerst auf eine sogenannte Abfindungsfusion ab einem Schwellwert von 90%, zu einem späteren Zeitpunkt wird eine solche explizit nicht ausgeschlossen.
Der Aktionär Andrin Renz hat vor kurzem vom ODH-Verwaltungsrat ein Update des CBRE-Reports aus dem Jahr 2018 verlangt. Damals schätzte die CBRE-Group den Wert allein für die unbebauten Grundstücke in El Gouna auf 1,82 Mrd. USD, fast das 170-fache des Buchwerts. Gleichzeitig fordert Renz auch eine zweite unabhängige «Fairness Opinion» zum Übernahmepreis. «Ich muss auf jeden Fall ein Squeeze-Out zu diesem Preis verhindern», meint Renz auf die Frage nach seiner Motivation.
Zwiespältige Rolle der UBS
«Wir sehen dazu keinen Grund», sagt ODH-Unternehmenssprecher Ahmed Abou El Ella zu einer zweiten Fairness Opinion. Erstens sei diese von einem der renommiertesten Schweizer Experten in dieser Frage – IFBC – vorgenommen worden. Zweitens sähen die Analysten von UBS (4.00 CHF) und Kepler Cheuvreux (4.60 CHF) das Kursziel ebenfalls signifikant unter dem Angebotspreis. Drittens messe der Kapitalmarkt der Landreserve seit Jahren keinen höheren Wert bei – sowohl auf der Ebene der ODH selbst wie auch ihrer in Ägypten kotierten Tochtergesellschaft Orascom Development Egypt. Damit übernimmt ODH beim Going Private die Argumentation, die sie über Jahre als nicht korrekt dargestellt hatte.
Diese Analysteneinschätzungen, die wie IFBC die Landreserven nicht in ihre Berechnungen mit einbeziehen, verursachen bei den Investoren Stirnrunzeln – vor allem jene der UBS. Denn die Schweizer Grossbank begleitet die Familie Sawiris auch beim Going Private. «Zuerst günstig rechnen, dann von den Minderheitsaktionären zu tiefem Kurs zurückkaufen», kommt da manch einem desillusionierten Kleinanleger in den Sinn.
Gibt es einen ausserbörslichen Handel?
Ludwig Loretz rechnet vor, dass, wenn er die Landreserven in El Gouna mit einem Wert von 1.2 Mrd. CHF, wie im September vom Unternehmen präsentiert, ins Verhältnis zur Anzahl Aktien von rund 59,8 Mio. setze, dann komme er mit dieser rudimentären Kalkulation auf einen Wert von 20.06 CHF. Doch Hoffnung auf eine Nachbesserung hat Loretz keine. «Ich habe meinen letzten bescheidenen Anteil ODH abgestossen», sagt der Andermatter.
Auch wie es mit den Aktien weitergeht, die nicht angedient werden, ist noch offen. Orascom zeigt sich noch unentschlossen. Auf die Frage, ob ODH einen ausserbörslichen Handel etwa auf der Plattform OTC-X der Berner Kantonalbank (BEKB) organisieren wird, antwortet Ahmed Abou El Ella: «Das ist nicht ausgeschlossen, aber es wurde noch kein Entscheid gefällt.»
Boomerang für die Familie Sawiris?
Das Vorgehen der Familie Sawiris im Fall ODH könnte auf das Projekt in Andermatt zurückfallen. In der Schweiz wurden die Orascom Development Holding und das Projekt im Urner Alpental von Samih Sawiris vom breiten Publikum meist gleichgesetzt – obwohl ODH in Andermatt nur Minderheitsaktionärin ist. Dieser Rückzug von der Börse mit einer in den Augen vieler Aktionäre und Beobachter unfairen Abgeltung könnte zur Belastung für Sawiris zukünftige Projekte werden – in Andermatt oder am Vierwaldstättersee.
Das sieht ODH wenig erstaunlich nicht so. «Wir haben mit sehr vielen Aktionären persönlich gesprochen. Fast alle verstehen unseren Schritt. Die Erfolgsgeschichte des Projektes in Andermatt wird weitergehen, denn es ist nicht tangiert vom Delisting», sagt der Sprecher. Im Übrigen seien die die Urner nach wie vor sehr erfreut über die Entwicklung in Andermatt. Das habe sich Ende November wieder gezeigt beim sehr deutlichen Ergebnis der kantonalen Volksabstimmung zu «Isleten».
Kleinaktionäre haben Investitionen getragen
Die Abstimmung für einen Yachthafen am Urnersee, finanziert von Samih Sawiris, fand jedoch Ende November statt – vor der Ankündigung zum Going-Private. Ob es heute zu einem anderen Resultat kommen würde, lässt sich nicht sagen. Damals sprachen sich zwei Drittel der Urner Stimmbürger gegen die Initiative aus, die das Hotelprojekt in Isleten stoppen wollte.
Die Familie Sawiris wird – falls die Kleinaktionäre mit ihrem Widerstand erfolglos bleiben – das Unternehmen, das beim Börsenstart einen Marktwert von 3,5 Mrd. CHF aufwies, mit einem Aufwand von weniger als 90 Mio. ganz übernehmen können. Die fast 700 Mio., die durch den Börsengang und drei Kapitalerhöhungen in die Kassen von ODH flossen, gingen in verschiedene Projekte, welche die LPSO Holding nun privat weiterführt und entwickelt. Die entsprechenden Landreserven dafür sind ja vorhanden.