BioVersys IPO: Kampf den tödlichen Keimen

Kapitalerhöhung soll 80 Mio. CHF bringen – Marktkapitalisierung von 213 Mio. CHF lässt Upside

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Immer mehr Bakterien sind resistent gegen herkömmliche Antibiotika. Bioverys entwickelt neuartige Medikamente für diesen und weitere Anwendungsbereiche. Bild: stock.adobe.com

Nun kommt mit dem Baseler Biotech-Unternehmen BioVersys das erste IPO des Jahres an der SIX. Es ist ein 2008 ausgegründeter Spin-out der ETH Zürich, der vom Pharma-Multi GSK cofinanziert wird. Der Emissionserlös soll überwiegend in die Phase III Studie des Lead-Kandidaten BV100 investiert werden.

Seit langer Zeit ist BioVersys das erste Schweizer Biotech-Unternehmen, das an die Heimatbörse geht. Es ist auch das erste Mal seit langem, dass ein Börsengang in der Schweiz zu einem Festpreis durchgeführt wird. Bis Mittwoch, 05. Februar, reicht die Zeichnungsfrist. Der Ausgabepreis wurde auf 36 CHF je Aktie festgesetzt. Zur Zeichnung stehen 2’083’333 Aktien zuzüglich 138’888 Aktien als Over-Allotment Option. Werden alle Aktien gezeichnet, fliessen der Gesellschaft 80 Mio. CHF zu. Die Market Cap stellt sich dann auf 213 Mio. CHF. Die Aktionäre GSK und AMR Fund investieren beim IPO nochmals 19.5 Mio. CHF, wovon 16 Mio. CHF auf den AMR Fund entfallen. Der AMR Fund ist auf Investitionen im Umfeld antimikrobieller Resistenzen fokussiert.

Der Free-Float wird sich auf bis zu 28% belaufen. Management und Direktoren unterwerfen sich einer Lock-up-Periode von 360 Tagen, bei sonstigen Aktionären sind es 180 Tage. Obwohl das Volumen überschaubar bleibt, sind Citi, UBS und Stifel im Konsortium. Selling Agents sind darüber hinaus Octavian und Mirabaud. Erster Handelstag ist voraussichtlich der 07. Februar. Am 10. Februar wird die Aktie in den SPI-Index aufgenommen.

Herausforderung: Antimikrobielle Resistenzen

Es braucht schon eine gute Story, um derzeit am Neuemissionsmarkt die Aufmerksamkeit der Investoren zu gewinnen. Und BioVersys hat eine gute Story, die zu überzeugen vermag. Die Covid-Pandemie hat eindrücklich vor Augen geführt, wie Gesellschaft und Wirtschaft rund um den Globus von winzigen Viren in die Knie gezwungen wurden. Was wenig bekannt ist: Rund 20% der in Kliniken eingewiesenen Covid-Patienten haben sich dort mit multiresistenten Super-Bakterien infiziert, was bei nicht wenigen zum Tod führte. Ähnlich ist es bei der Krebs-Therapie. Die zweithäufigste Todesursache der jährlich 9.8 Mio. Krebs-Patienten in Chemo-Therapie sind Infektionen mit multiresistenten Erregern wie S.aureus oder A-baumannii. Laut einer 2022 in der Wissenschaftspublikation «The Lancet» veröffentlichten Studie starben 2019 weltweit 1.27 Mio. Patienten direkt an Infektionen durch MDR-Erreger, wobei MDR für Multi-Drug-Resistant steht. Bei weiteren 5 Mio. Patienten waren solche Infektionen wesentlich für das Ableben mitverantwortlich.

Infektionskrankheiten bremsen Wachstum

Der volkswirtschaftliche Schaden durch Infektionskrankheiten wird gemeinhin unterschätzt. Das zeigt sich nicht nur daran, dass seit Jahrzehnten keine neuen antibakteriellen Wirkstoffklassen entdeckt oder entwickelt wurden, sondern auch daran, dass eigentlich nur noch die amerikanische Merck, Astra-Zeneca und GSK sowie Roche, Pfizer und Shionogi in dem Indikationsgebiet aktiv sind. Alle anderen Big-Pharma-Unternehmen haben sich sukzessive von der Forschung & Entwicklung verabschiedet. Erst die Covid-Pandemie hat bei Big Pharma zu neuem Interesse an Infektionskrankheiten geführt. Insofern ist es ein kluger Zug von BioVersys, GSK als Partner gewonnen zu haben. Das erschliesst zugleich das globale Distributionsnetz des Pharma-Multis. GSK plant Investitionen von 1 Mrd. USD in das Indikationsgebiet. In Zahlen gefasst wird von Experten erwartet, dass ab 2030 jährliche Kosten von weltweit 1 Billion USD durch MDR-Keime entstehen. Dies würde, so die Prognose, 1,1 Prozentpunkte vom globalen Wirtschaftswachstum aufzehren. Allein für die USA werden die Kosten auf 55 Mrd. USD jährlich geschätzt.

Aktueller Vogelgrippe-Ausbruch in den USA

Gleich zwei Infektionskrisen, die derzeit in den USA grassieren, lenken den Blick der Öffentlichkeit und auch der Investoren erneut auf das enorme Risiko, das Epidemien und Pandemien darstellen. Seit Monaten schon greift die Vogelgrippe in den USA um sich. Mehr als 100 Mio. Hühner wurden bereits getötet, aber auch Enten und andere Nutztiere sind betroffen. Der Preis für Eier ist in den USA deshalb bereits um fast 40% gestiegen. Es handelt sich um die neue und aggressivere Variante H5, die auf Wildvögel, aber auch auf Säugetiere wie Seelöwen, Delfine, Bären und Nager übergreift. Laut Experten besteht die Gefahr, dass die Welt nur eine Mutation vor einer Pan-Zoonose steht, d.h. das Virus springt von einer Spezies auf andere über. Bisher wurden 66 Fälle menschlicher Infektion in den USA von der CDC dokumentiert. Die Berichterstattung dazu in den Massenmedien ist kaum wahrnehmbar.

Aktueller Tuberkulose-Ausbruch in Kansas

Das gilt auch für den aktuellen Tuberkulose-Ausbruch in Kansas. Laut der US-Seuchenschutzbehörde CDC handelt es sich um 67 aktive Fälle, die seit 2024 aufgetreten sind. 384 Kontaktpersonen werden in einem Monitoring-Programm überwacht. TBC ist extrem ansteckend und wird über die Luft übertragen. Die Krankheit kann bei Infizierten erst nach Jahren mit Symptomen ausbrechen, jedoch ab der Erstinfektion an andere übertragen werden. 79 solcher latenter Infektionen wurden in Kansas seit letztem Jahr diagnostiziert. Es ist einer der schlimmsten TBC-Ausbrüche, die je in den USA verzeichnet wurden. Insgesamt wurden 2024 von der CDC 8649 Fälle in den USA erfasst. Laut WHO hat TBC bereits 2023 Covid-19 als Infektionskrankheit mit den meisten Todesfällen abgelöst.

Konzentration auf die gefährlichsten Erreger

Während die meisten neuen am Markt eingeführten Produkte auf MRSA-Keime abzielen, hat BioVersys sich auf spezifische Bakterien bei spezifischen Infektionen mit besonders hoher Sterblichkeitsrate fokussiert. Der Lead-Kandidat BV100 zielt auf sogenannte Hospital Infektionen, insbesondere Acinetobacter baumannii, ab. Diese betreffen hauptsächlich Infektionen von Lunge und Blutkreislauf. 50% der betroffenen Patienten sterben, da die Pathogene gegen die bisher eingesetzte Wirkstoffklasse der Carbapeneme, oder Reserve-Antibiotika, inzwischen zu 40% bis 70% resistent sind.

Markant verbesserte Überlebensraten

Das Besondere an dem Wirkstoff Rifabutin ist, dass er bereits seit Jahrzehnten erfolgreich und problemlos eingesetzt wird. 2018 entdeckten Forscher der University of Southern California, dass Rifabutin unter bestimmten Bedingungen sehr aktiv gegen A. baumannii ist. BioVersys lizenzierte das Konzept und konzentrierte die Forschung auf die weitere Entwicklung. Es zeigte sich, dass die Wirksamkeit durch einen neuen biotechnologischen Wirkmodus und die Verabreichung durch Injektion deutlich verbessert werden konnte. Die bisherigen Studien zeigen, dass bei einer optimierten, mit BV100 ergänzten Therapie aus mehreren Wirkstoffen die Überlebensraten um das Doppelte bis Vierfache erhöht werden konnten. Der «medical need» ist sehr überzeugend, und die erhöhte Wirksamkeit soll nun durch die Phase III Studie untermauert werden. Der adressierbare Markt für 2027 wird auf 4.8 Mrd. USD geschätzt. Die Peak Sales für BV100 erwartet BioVersys bei 800 Mio. USD.

Kriegsseuche Tuberkulose

Durch das Wiederaufflackern der TBC nicht nur in den USA, sondern ebenfalls in den Kriegsgebieten in der Ukraine, im Nahen Osten und Afrika hat auch der zweite fortgeschrittene Wirkstoff-Kandidat von BioVersys ungewollt Aktualität erlangt. Laut WHO gibt es jährlich weltweit 10 Mio. TB-Infektionen und 1.3 Mio. Todesfälle. Alpibectir wirkt speziell gegen Tuberkulose-Meningitis und MDR-Tuberkulose. Es handelt sich um eine neue chemische Entität (NCE), die gemeinsam mit dem Pasteur Institut in Lille, der Universität Lille und GSK entwickelt wurde. Alpibectir befindet sich in Phase IIb der klinischen Versuchsreihen. Es wird in Kombination mit anderen Therapeutika verabreicht. Basierend auf den Prognosen wird für 2028 ein adressierbares Marktvolumen von 1.1 Mrd. USD erwartet. Die Peak Sales für Alpibectir sieht BioVersys bei 400 Mio. USD.

Globale Märkte

Bei beiden Lead-Kandidaten werden zwei unterschiedliche Märkte bedient. Europa, USA und weitere entwickelte Länder sind durch eine vergleichsweise geringere, wenngleich stark zunehmende Anzahl von Infektionen gekennzeichnet. Aufgrund der hohen Behandlungskosten von mehreren hunderttausend USD pro Patient sind die auszuhandelnden Preise für wirkungsvolle neue Therapeutika entsprechend höher, insbesondere dann, wenn eine neue Therapie die Überlebensraten deutlich erhöht und so den Gesundheitssystemen eskalierende Kosten erspart. In China und den Emerging Markets ist dagegen die Anzahl der Infektionen um ein Vielfaches höher. Die Therapie-Kosten müssen hier entsprechend niedriger ausfallen, dafür liegen die benötigten Dosen vielfach höher.

Chancen und Risiken

BioVersys liefert, bei erfolgter Zulassung, wirkungsvolle Therapeutika, die buchstäblich über Leben oder Tod bei Infizierten entscheiden können. Und jeder kann ins Krankenhaus kommen und den gefährlichen Pathogenen ausgesetzt sein. Wenn auch nur Teillösungen für die optimierte Therapie geliefert werden, deren verbesserte Wirksamkeit begründet eine starke Nachfrage. Mit GSK als globalem Distributionspartner und drei BioVersys-Tochtergesellschaften in den USA, Frankreich und China sind beste Voraussetzungen für eine rasche Marktpenetration gegeben. Die Chancen auf Zulassung durch die FDA und andere Arzneimittelbehörden sind besser als bei den meisten Biotech-Therapeutika. Beim Lead-Kandidaten wird die Phase III Studie die gleichen überzeugenden Ergebnisse wie die Phase II Studie bringen, denn es ist dasselbe Studien-Design. Sie umfasst allerdings mehr Teilnehmer und soll so die Werte validieren. Dazu kommt, dass Therapeutika im Indikationsgebiet Infektionskrankheiten, die es bis zur Phase III geschafft haben, mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% auch zugelassen werden. Im Indikationsgebiet Onkologie liegt der Vergleichswert bei 36%. Das Ende der Phase III Studie bei BV100 wird für das zweite Halbjahr 2027 erwartet. Beim zweiten Kandidaten Alpibectir wird für das erste Halbjahr 2027 der Start der Phase III Studie angestrebt. Das Unternehmen erzielt bisher keine nennenswerten Umsätze und hat in den letzten fünf Jahren Verluste im Bereich 4 CHF bis 6 CHF je Aktie verzeichnet. Ende September 2024 lag der Liquiditätsbestand bei 23.6 Mio. CHF. Das Eigenkapital summierte sich auf 9.8 Mio. CHF, die Bilanzsumme lag bei 38.4 Mio. CHF.

Fazit

Wenn auch die erwarteten Zulassungen der beiden Lead-Kandidaten in der Zukunft liegen, die Chancen stehen relativ gut. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die FDA beiden Lead-Kandidaten «Fast Track Approval» Status verliehen hat. Zudem wurde das exklusive Patent in den USA um jeweils 5 Jahre verlängert. Die Erstzeichner brauchen also Geduld, um die möglichen Früchte ihrer Investition in BioVersys zu ernten. Allerdings ist es bei Biotech Aktien oft so, dass die Börse antizipiert und der Höhenflug schon vor dem eigentlichen Ereignis, der FDA-Zulassung, erfolgt. Die Anlage-Chancen erwachsen aus der geringen Marktkapitalisierung von 213 Mio. CHF und den prognostizierten Umsatzvolumina mit den neuen Therapeutika in Höhe von 1.2 Mrd. USD p.a. In der Entwicklungs-Pipeline befinden sich zudem weitere Kandidaten, die bis in zwei oder drei Jahren ebenfalls Fortschritte verzeichnen können. Die Risiken sind jedoch ebenfalls beträchtlich. Wettbewerber könnten wirksamere Therapien entwickeln und an den Markt bringen, das Preisregime könnte enger als erwartet ausfallen, die Kommerzialisierung könnte sich verzögern, Patentstreitigkeiten könnten aufkommen oder der designierte US-Gesundheitsminister Kennedy könnte seine Feindseligkeiten gegen die FDA ausweiten … Die Liste ist lang und kann im 328-seitigen Prospekt von interessierten Anlegern en detail studiert werden.

Ist die Zeichnung zu empfehlen? Nicht für jeden Anlegertyp scheint der Micro-Cap geeignet. Doch wer den «medical need» und das Marktpotenzial erkennt und einen gewissen Prozentsatz des Portfolios für riskantere Aktien mit entsprechend hohen Chancen für die Wertentwicklung vorgesehen hat, kann ein überschaubares Investment in BioVersys prüfen. Mit dem Emissionserlös ist BioVersys bis 2028 finanziert. Der Aktienkurs kann sich im besten Fall in den nächsten Jahren vervielfachen, aber im schlechtesten Fall auch ins Bodenlose fallen. Die Chancen scheinen jedoch zu überwiegen. Bestenfalls wird ein erfolgreiches IPO eine Initialzündung für Börsengänge junger innovativer Unternehmen an der SIX sein. BioVersys hat 2022 an der Sparks IPO Academy teilgenommen, was zeigt, dass die Bemühungen der SIX um neue Emittenten durchaus fruchtbar sind.

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