ESG Reporting: Sinn und Unsinn jenseits von Regulierungswut und Anti-Bürokratismus

Nachhaltigkeitsberichterstattung in der Kritik eines Positionspapiers von economiesuisse

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Wie weit darf die Nachhaltigkeitsberichterstattung gehen, und werden die Reglen zur Belastung? Damit hat sich economiesuisse in einer Umfrage auseinandergesetzt. Bild: stock.adobe.com

Niemand mag Bürokratie. Und doch wachsen die bürokratischen Apparate ungebremst. Organisationen tendieren eben dazu, sich auszubreiten. Es schadet daher nicht, immer wieder zu hinterfragen, ob die Mutationen des Bürokratismus überhaupt noch Sinn ergeben oder nicht. Der Dach- und Lobby-Verband der Schweizer Wirtschaft, economiesuisse, hat sich die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen vorgenommen und, wenig überraschend, damit in ein Wespennest gestochen.

Trotz der berechtigten Kritik an der überbordenden Regulierung greift das Positionspapier aber zu kurz. Die Informationsbedürfnisse der Investoren bleiben ebenso ausgeblendet wie die Produktanforderungen der Kunden oder die bei den gesuchten talentierten Fachkräften zu erfüllenden Voraussetzungen als sinnstiftender Arbeitgeber. Nachhaltigkeit ist eben vielschichtig.

Gegen den Wildwuchs

Grundsätzlich richtig ist die von economiesuisse geübte Kritik an dem Wildwuchs mit Blick auf ESG-Ratings, ESG-Berichterstattung, ESG-Kriterien und das so schnell entstandene ESG-«Öko-System». Dies besteht aus PR- und IR- sowie Rating-Agenturen, Fachmedien, Beratern, Expertengremien sowie teilweise höchst unterschiedlichen Methoden der Evaluierung und der Implementierung von Kennziffern, die selbst Experten nur schwer nachvollziehen können. Das Ergebnis ist Unsicherheit, Verwirrung und Orientierungslosigkeit nicht nur bei den direkt Betroffenen, sondern auch im öffentlichen Diskurs.

Konjunkturrisiko Regulierungslast

Zusammen mit der sonstigen Regulierungsflut wie beispielsweise umfangreichen Dokumentationspflichten ist verständlich, dass bei den 431 von economiesuisse befragten Unternehmen die Frustration und sogar Wut über weitere Vorschriften hochkocht. Daher rangiert bei den von den Umfrageteilnehmern identifizierten Risiken die Regulierungslast als Konjunkturrisiko gleich hoch wie die geopolitischen Spannungen. Das sind allerdings nur je 17% der Befragten! Die Nachhaltigkeitsberichterstattung stellt jedoch nur einen sehr kleinen Teil der Regulierungslast dar. Bisher sind nur die börsenkotierten und wirklich umsatzstarken, grossen Unternehmen zum Reporting von Nachhaltigkeitskennzahlen verpflichtet, KMU dagegen kaum oder gar nicht. Bei ihnen geht die Initiative vom CEO oder dem Verwaltungsrat aus, und auch der damit verbundene Work-Load wird in aller Regel von der Unternehmensführung und vielleicht wenigen Mitarbeitern gestemmt. Die Motive für das ESG-Engagement der KMU sind langfristiger Natur und auch vielfältig.

Die Regulierung wird laut der Mitglieder-Umfrage von economiesuisse als eines der grössten Konjunkturrisiken gesehen. Abb. www.economiesuisse.ch

Moden kommen und gehen am Beispiel der Banken

Nicht berücksichtigt wird, dass die zu Recht kritisierten, weiteren ausufernden Gesetzesvorhaben eigentlich schon ausgebremst sind. Der Green Deal der EU ist stark redimensioniert worden. Auch der Draghi-Plan zeichnet eine substanzielle Reduzierung des bürokratischen Aufwands vor. Mit Beginn der Ära Trump 2.0 hat zudem der Wind gedreht mit Blick auf die Klimapolitik, was auch in Europa Nachahmer finden dürfte. Besonders auffällig und beispielhaft ist, wie schnell und unerwartet plötzlich nahezu alle namhaften international operierende Banken vor einigen Jahren auf den ESG-Zug aufgesprungen sind und plötzlich Sustainability-Experten waren. Nicht weniger auffällig sollte sein, dass sich genau diese Banken jetzt in einem nicht weniger verblüffenden Rekordtempo aus Nachhaltigkeits-Allianzen zurückziehen – immer das Fähnchen im Wind.

Aufgeheizte Stimmungen und nüchterne Erfordernisse

Der Aufschrei gegen die Nachhaltigkeitsberichterstattung fällt somit nicht zufällig in eine Zeit, in der sich die Wünsche nach dem status quo ante, als die Welt vermeintlich noch in Ordnung war, übermächtig Ausdruck verleihen wollen. Dampf ablassen – warum nicht? Es ist durchaus «en vogue». Die im Positionspapier genannten Zahlen sind jedoch inkonsistent. Auf Seite 1 wird geschrieben, dass schweizweit Zehntausende Mitarbeitende für die Erfüllung der Regulierungsanforderungen notwendig sind, die Hunderte von Mio. CHF pro Jahr verschlingen. Doch auf Seite 3 ist es plötzlich die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Zehntausende Mitarbeitende bindet und Hunderte von Mio. CHF kostet. Damit sind Menge und Teilmenge gleich. Dies erscheint jedoch nicht plausibel, da nur ein Bruchteil der mit Regulierungsanforderungen Beschäftigten mit Emissionen, Wasserverbrauch etc. befasst ist. Eine weitere Unschärfe betrifft die Einordnung der EU-Taxonomie als 600-seitiges Gesetzeswerk. Es ist eine Taxonomie, also ein Klassifizierungssystem, nicht mehr und nicht weniger. Es ist zudem vorrangig für Investoren geschaffen, sodass diese ihr Risiko-Management verbessern können. Die im Positionspapier zum Ausdruck kommenden Meinungen, aber auch aufgestauten und angefachten Kollektiv-Emotionen sind durchaus nachvollziehbar, führen aber scheinbar nicht zu einer rationalen und wie es heisst «evidenzbasierten» Evaluierung.

Transparenz ist gut und basiert auf Fakten

Tatsache ist und bleibt dagegen, dass die gesetzliche Vorgabe der Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 kein «kicking the can down the road» mehr erlaubt. Es ist gut und ganz im Sinne des Gesetzes, der Kunden, der Zulieferer, der Mitarbeitenden, der Kommunen und der Öffentlichkeit, wenn die Unternehmen ihren Teil dazu beitragen – und darüber berichten. Viele tun das, und erstaunlicherweise sind gerade Schweizer KMU, wie die Unternehmen, deren Aktien auf OTC-X gehandelt werden, oft Vorreiter im nachhaltigen Wirtschaften, haben aber bis vor wenigen Jahren kaum darüber berichtet.

Klima- und Kulturwandel

Das hat sich geändert, und ein ganz wesentlicher Grund ist, dass die gesuchten Facharbeiter und talentierten Berufseinsteiger heute den zukünftigen Arbeitgeber nach geänderten Prioritäten auswählen. So gibt es Unternehmen, die Männer und Frauen gleich bezahlen, die meisten jedoch nicht. Es gibt immer mehr Unternehmen, die ihre Fahrzeugflotte elektrifizieren. Um den Müll reduzieren zu können, muss erst einmal ein Bewusstsein für dessen Entstehung respektive Vermeidung geschaffen werden. Erst danach nehmen die Mengen teilweise rapide ab. Ähnlich ist es bei Wasser- und Energieverbrauch. Die Tatsache, dass viele Unternehmen PV-Anlagen installiert haben, reduziert nicht nur die Emissionen, sondern auch die Energierechnung, was den Aktionären zugutekommt.

Vier Jahre Erkenntnisse der ESG-Umfrage von schweizeraktien.net

Die genannten Erkenntnisse entstammen der seit vier Jahren von schweizeraktien.net durchgeführten ESG-Umfrage unter KMU, deren Aktien auf OTC-X gehandelt werden. Die Teilnehmerzahl bewegte sich zwischen 34 und 49 Unternehmen aus allen vertretenen Branchen, darunter durchaus namhafte Unternehmen wie WWZ, Bobst, Themalbad Zurzach, Kongress + Kursaal Bern und Metall Zug. KMU haben weder die Zeit noch die Ressourcen, um die Daten für 300 oder 500 Fragen von Rating-Agenturen zu erheben und zu beantworten. schweizeraktien.net stellt deshalb je 10 simple Fragen zu Umwelt, Sozialem und Governance, deren Antworten zwar kein umfassendes und detailliertes Bild ergeben, aber doch repräsentativ und aussagekräftig sind. Darüberhinaus sind die Fragen ganz einfach mit Ja oder Nein zu beantworten.

Verbesserungen und Defizite

Gerade im Bereich Umwelt zeigt sich bei den meisten Fragen eine kontinuierliche Verbesserung über die Jahre. 88% der teilnehmenden Unternehmen haben 2024 ihre Energieeffizienz gesteigert und wollen dies auch weiterhin verfolgen. Im Bereich Soziales war der Standard von Anfang an hoch und verbessert sich weiter. 97% unternehmen Anstrengungen, damit Mitarbeitende Familie und Arbeit besser vereinbaren können. Bei der Governance dagegen ist und bleibt viel Spielraum für Verbesserungen, die jedoch nur marginal zu beobachten sind. Bei 59% der Unternehmen ist keine Regelgrenze für die Zugehörigkeit zum Verwaltungsrat definiert.

Bei 59% der von schweizeraktien.net befragten Unternehmen gibt es keine Grenze für die Dauer der Zugehörigkeit zum VR. Abb. schweizeraktien.net

Die wahren Motive für das ESG-Engagement der KMU

Für die Unternehmen ist die ESG-Berichterstattung vor allem wichtig für die externe Kommunikation …

Bei der letzten Umfrage von Ende 2024 war eine Zusatzfrage gestellt worden, um die wahren Motive für das ESG-Engagement der Unternehmen zu erforschen. Sie lautete: Wie wichtig ist die Umsetzung von ESG-Aspekten in Ihrem Unternehmen für … Danach werden im Einzelnen externe Kommunikation, Kunden, finanzieller Erfolg, Personalrekrutierung sowie Einhaltung von Gesetzen aufgeführt. Die Wichtigkeit war auf einer bis 10 reichenden Skala anzugeben. Wenig überraschend erhält Einhaltung von Gesetzen mit durchschnittlich 8.79 Punkten den höchsten Durchschnittswert. Doch externe Kommunikation erreicht mit 7.66 Punkten ebenfalls einen erstaunlich hohen Durchschnittswert. Nur für drei von 29 Antwortgebern ist es eher unwesentlich. Fast genauso hoch ist der Durchschnittwert von 7.55 Punkten bei den Kundenbedürfnissen. Knapp danach folgt mit 7.31 Punkten Personalrekrutierung. Den tiefsten Durchschnittswert verzeichnet mit 6.66 Punkten der finanzielle Erfolg.

… und für die Einhaltung von Gesetzen. Abb. schweizeraktien.net

Erstaunlich ist, dass alle Werte im oberen Drittel der Wichtigkeit angesiedelt sind und dass es abgesehen von den offensichtlichen Motivationen der Profiterzielung und der Gesetzeskonformität eben auch andere Interessensgruppen gibt, die von weitsichtigen Unternehmenslenkern nicht ignoriert werden – unabhängig von wechselnden Moden und Trends.

 

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